Wir müssen uns als zentralen Teil verstehen!

Interview: Ingenieure und Baukultur

Deutsches Ingenieurblatt 03/2023
Aus der Branche
Kammern
Ingenieurbüro – Recht & Finanzen

Das Land Brandenburg nimmt die Baukultur in den Blick: Das Baukulturjahr 2023 soll für alle Themen der Baukultur sensibilisieren – und mit unterschiedlichen Veranstaltungen sowohl Fachleute als auch die breite Öffentlichkeit ansprechen.

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, bezeichnet Ingenieure als „zentrale Akteure der Baukultur“1. Doch wie nehmen sie die Rolle wahr? Wie können sie Baukultur als ihr Thema verstärkt in die tägliche Arbeit integrieren? Die Projektleiterin für den Tag der Baukultur Brandenburg, Viktoria Klawitter, befragt dazu Matthias Krebs, Ingenieur und Präsident der BBIK.

Wie definieren Sie den Begriff Baukultur?
Matthias Krebs: In der Erklärung von Davos heißt es: „Baukultur umfasst den gesamten Baubestand, einschließlich Denkmäler und anderer Elemente des Kulturerbes, sowie die Planung und Gestaltung von zeitgenössischen Gebäuden, Infrastrukturen, vom öffentlichen Raum und von Landschaften2.

Baukultur betrifft uns also alle – nicht nur beruflich, sondern auch privat. Es geht um das Miteinander, wie wollen wir gemeinsam leben und unsere Umwelt gestalten? Die, die wir jetzt leben, haben die Verantwortung für die Zukunft und gleichzeitig müssen wir mit unserem gebauten und gestalteten Erbe umgehen.

Wo sehen Sie den Schwerpunkt der Ingenieure in der Baukultur?
Matthias Krebs: Der Schwerpunkt, die andere Seite der Medaille von Baukultur, ist Nachhaltigkeit. Und ich meine nicht nur die Nachhaltigkeit, die wir Ingenieure verstehen. Die Kriterien für Nachhaltigkeit übersteigen den aktuellen Arbeitsbereich der Ingenieure. Der Bedarf an Wissen außerhalb unseres Tellerrands ist groß. Niemand aus unserer Branche wird sich dem entziehen können. Der Klimawandel zeigt uns seit langer Zeit den Weg, den wir gehen müssten. Aber erst der Krieg in der Ukraine zwingt uns als Gesellschaft, die Wege auch zu gehen, die längst klar abgesteckt sind. Der Krieg wirkt wie ein Katalysator: Bürokratien werden außer Kraft gesetzt und Prioritäten zugunsten erneuerbarer Energien verschoben.

Nachhaltigkeit bedeutet auch planen und bauen mit Verstand. Wenn ich mir die Dämmstoffdicken anschaue, die wir an unsere Häuser packen, dann entbehrt dies einer gehörigen Portion Verstand. Der entscheidende Punkt ist die Verfügbarkeit von regenerativen Energien am Gebäude oder in einem Quartier. Der einseitige Hype um bestimmte Baustoffe, aktuell beim Holz zu beobachten, wird der Problemlage nicht gerecht.

Bisher diskutieren wir die Nachhaltigkeit fast ausschließlich im Hochbau. Wann wird nachhaltig in der Infrastruktur geplant? Da ist ein riesiges Feld an Möglichkeiten und ich sehe einen enormen Nachholbedarf.

Das Thema ist längst in der Gesellschaft angekommen – mit Wucht bei unseren Kindern. Wer von unseren Ingenieuren die Nachhaltigkeit nicht als seinen Auftrag sieht, der wird in Zukunft keine Aufträge mehr haben. Unsere Auftraggebenden werden zukünftig ohne Beachtung der Nachhaltigkeit keine Finanzierungen und keine Kunden mehr haben.

Warum ist nachhaltiges Bauen noch kein Alltag?
Matthias Krebs: Nachhaltig Bauen ist nicht per se teurer. Die Dokumentationen dazu, etwa im Rahmen einer Zertifizierung, sind allerdings enorm. Ich hoffe, dass sich der Aufwand hier in Zukunft normalisiert. Oft ist es auch die Unkenntnis über bestimmte Kriterien – zum Beispiel soziologische Kriterien, Flora und Fauna oder auch Lichtverschmutzung –, die davon abhält, nachhaltig zu bauen.

Unseren Umgang mit Baustoffen sollten wir überprüfen. Die Definition, was ein nachhaltiger Baustoff ist, ist manchmal zu eng. Wichtig sind ein sachlicher Umgang mit Stoff und Eigenschaften sowie Regionalität. Für die richtige Auswahl sind Ingenieure zuständig. Je größer das Vertrauen, umso mehr Einflussmöglichkeiten haben die Planenden. Gemeinsam sind wir Teil der Gesellschaft und damit Teil des aktuellen Diskussionsraums. Auch Auftraggebende möchten „nur das Richtige machen“.

Ist das Thema in der Ausbildung an den Hochschulen und Universitäten präsent genug?
Matthias Krebs: Dies zu bejahen, wäre vermessen. Ich sehe die theoretischen Kenntnisse, gleichzeitig vermisse ich die praktische Umsetzung. Die Problematik ist nicht neu, meine Antwort hätte vor 20 Jahren ebenfalls so gelautet. Ich denke, duale Studiengänge könnten hier Abhilfe schaffen.

Wie setzen Sie Baukultur in Ihrer täglichen Arbeit um?
Matthias Krebs: Wenn meine Mitarbeitenden und ich bereit sind, unsere Namen an unsere geplanten und gebauten Gebäude zu heften, haben wir schon vieles richtig gemacht. Baukultur ist für mich vor allem der Prozess: der Umgang mit Auftraggebenden, Mitarbeitenden in den Verwaltungen, mit Lieferunternehmen, Handwerkern und Handwerkerinnen – und mit dem eigenen Team. Den gleichen Anspruch habe ich in meiner Funktion als Präsident unserer Brandenburgischen Ingenieurkammer.

Wie gestaltet die BBIK den Schwerpunkt Baukultur?
Matthias Krebs: Die Aufgabe der Ingenieurkammer ist es, das Ingenieurwesen im Interesse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der Baukultur unter Beachtung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zu fördern.3 So steht es im Artikel 12 im ersten Absatz im Brandenburgischen Ingenieurgesetz. Baukultur ist in Brandenburg als Thema gesetzt!
Deswegen sind wir gemeinsam mit der Brandenburgischen Architektenkammer und dem Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg die Baukulturinitiative Brandenburg. Das Jahr 2023 haben wir zum Baukulturjahr ausgerufen – in Kooperation mit Kulturland Brandenburg.

Wir nutzen das Jahr, um Baukultur verstärkt in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und in der Kammerarbeit und bei den Mitgliedern zu verankern. Dies tun wir durch unterschiedliche Formate: Am 21. März findet der erste Landeskonvent Baukultur statt, im September feiern wir den Tag der Baukultur und der Baukulturpreis Brandenburg wird bereits zum 8. Mal in Zusammenarbeit mit der Brandenburgischen Architektenkammer verliehen. Die BBIK hat sich dabei dafür eingesetzt, dass in diesem Jahr eine neue Kategorie in den Kriterienkatalog aufgenommen wurde: Ingenieurbauwerke und Ingenieurleistungen. Ein großer Schritt in Richtung Sichtbarkeit der Ingenieure! Themen wie Holzbau, Bauen im Bestand und ökologisches Bauen werden weiterhin in Fortbildungen und Fachtagungen behandelt. Zudem wurde ein neuer Ausschuss ins Leben gerufen: Baukultur.


Warum sind Baukulturpreise auch gerade für Ingenieure wichtig?
Matthias Krebs: Die Plattform „Baukulturpreis“ ist genial: breite Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation im großen Rahmen. Man hat die Möglichkeit, Gespräche mit Vertretern aus Politik und Verwaltung zu führen, trifft potenzielle Auftraggebende und Multiplikatoren. Egoistisch betrachtet bekommt man eine tolle Bühne geboten, sich und seine Arbeit zu präsentieren – im Sinn von „Tue Gutes und berichte darüber!“ Wir Ingenieure müssen uns als zentralen Teil der Baukultur verstehen – und entsprechend handeln! Es ist an uns, Ideen zu entwickeln und Lösungsansätze zu finden, damit wir den folgenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen. 

Brandenburgischer Baukulturpreis 2023

Ausgezeichnet werden beispielhafte Leistungen und Werke der Stadtentwicklung, der Landschafts- und Freiraumplanung, der Architektur sowie des Ingenieurwesens (Bauwerke, Tragwerke, technische Gebäudeausrüstung, Energieversorgung, Infrastruktur), die im Land Brandenburg realisiert worden sind. Die Werke sollen eine hohe gestalterische Qualität und starke Innovationskraft aufweisen, überdurchschnittlich nachhaltig sein und von gesellschaftlichem Engagement zeugen.

Der Baukulturpreis wird von der Brandenburgischen Ingenieurkammer (BBIK) und der Brandenburgischen Architektenkammer (BA) mit Unterstützung des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg alle zwei Jahre ausgelobt.
Auslobungsunterlagen und weitere Informationen unter www.bbik.de

1In Brandenburgische Ingenieurkammer (Hrsg.): Moderne Helden. Ingenieure in Brandenburg. 25 Jahre Brandenburgische Ingenieurkammer 1994-2019, 2019

2 Erklärung von Davos 2018: Eine hohe Baukultur für Europa (www.davosdeclaration2018.ch)

3 Brandenburgisches Ingenieurgesetz (BbgIngG) vom 25. Januar 2016, Artikel 12

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