Alles zu seiner Zeit

Eine geordnete Unternehmensübergabe ist Pflicht

Deutsches Ingenieurblatt 9/2019
Management

Viele Unternehmer schieben das Thema Unternehmensnachfolge auf die lange Bank. Dadurch gefährden sie oft ihr Lebenswerk. Denn außer der Suche nach einem geeigneten Nachfolger erfordert auch die geordnete Unternehmensübergabe Zeit.

Manch ein Unternehmer verhält sich, als sei er unsterblich. Er verschiebt das Regeln seiner Nachfolge oft so lange, dass ein strukturierter Stabwechsel kaum noch möglich ist – zum Beispiel aufgrund gesundheitlicher Probleme. Eine häufige Ursache hierfür ist: Vielen Firmeninhabern fällt das Abschiednehmen von ihrem Betrieb extrem schwer. Deshalb befassen sie sich im Vorfeld ungern mit Fragen wie:

  • Will ich die Macht überhaupt abgeben?
  • Würde ich es ertragen, wenn mein Nachfolger ein besserer (oder schlechterer) Unternehmer als ich wäre?
  • Was fange ich nach dem Ausscheiden mit meiner Zeit an?

Die Folge: Sie haben weder eine klare Perspektive für ihr Unternehmen, noch dafür, wie sich ihr Leben nach dem Stabwechsel gestalten soll. Entsprechend wankelmütig sind ihre Beschlüsse, und entsprechend schwer fällt es ihnen, zum Stichtag wirklich loszulassen. Besonders groß ist diese Gefahr, wenn es sich beim Nachfolger um den Sohn oder die Tochter handelt – auch aufgrund der emotionalen Familienbande. Deshalb sind gerade hier klare Absprachen nötig, wie die Übergabe geregelt wird und wer was im Verlauf dieses Prozesses zu sagen hat.

Den Nachwuchs nicht zur Nachfolge nötigen
Viele Unternehmensübergaben scheitern bereits daran, dass dem Nachfolger die nötige Qualifikation fehlt. Dies ist bei Familienbetrieben besonders oft der Fall. Denn in ihnen lautet die oberste Maxime bei der Auswahl des Nachfolgers oft: „Hauptsache, mein/unser Lebenswerk bleibt in der Familie.“ Am Beginn jeder Nachfolgeregelung sollte eine genaue Prüfung stehen:

  • Verfügt mein Sohn oder meine Tochter über das nötige Potenzial und die erforderlichen Persönlichkeitsmerkmale, um mittel oder langfristig den Betrieb zu führen? Und:
  • Ist dessen Übernahme überhaupt mit den  Lebensvorstellungen meines Sohns oder meiner Tochter vereinbar?

Erst danach sollte gemeinsam entschieden werden, ob der Nachwuchs eventuell in die elterlichen Fußstapfen tritt. Diese Entscheidung sollte, solange die Vorbereitung dauert, eine vorläufige sein. Denn der potenzielle Nachfolger entwickelt sich in dieser Zeit auch persönlich weiter. Das heißt, seine Wünsche, Bedürfnisse und Lebensziele verändern sich oft.

Mit der Planung früh beginnen
Die Vorbereitung auf die Nachfolge sollte mindestens zwei, drei Jahre dauern. Sie kann jedoch auch länger sein – abhängig davon,

  • welche Voraussetzungen der potenzielle Nachfolger bereits erfüllt,
  • wie komplex die Geschäftstätigkeit des Unternehmens und herausfordernd die künftige Geschäftsführertätigkeit ist und
  • welche Optimierungsmaßnahmen in operativer, steuerlicher und finanzieller Hinsicht in Zusammenhang mit der Unternehmensübergabe getroffen werden sollen.


Je früher sich Firmeninhaber Gedanken darüber machen, wer ihr Unternehmen weiterführen könnte, umso freier sind sie in ihrer Wahl:

  • Bereite ich eines meiner Kinder oder einen Mitarbeiter langfristig auf die Übernahme vor oder
  • suche ich einen geeigneten Nachfolger von außen?


Erfolgt die Nachfolgersuche hingegen kurzfristig, können sie nur hoffen, einen geeigneten „fertigen“ Nachfolger von außen zu finden – einen Nachfolger zudem, der das nötige „Kleingeld“ hat. Denn dann läuft der Prozess in der Regel auf einen Unternehmensverkauf hinaus.

Den Kandidaten gezielt vorbereiten
Bei der (Vorbereitung auf die) Übergabe des Betriebs an den potenziellen Nachfolger lassen sich vier Phasen unterscheiden:

  • Testphase,
  • Qualifizierungsphase,
  • Bindungsphase und
  • Übergabephase.

Je langfristiger die Übergabe geplant wird, umso fließender lässt sich der Wechsel an der Unternehmensspitze gestalten. Dies ist gerade bei mittelständischen Betrieben wichtig. Denn bei ihnen ist das Vertrauen der Geschäftspartner und Mitarbeiter in das Unternehmen meist stark an die Person des Inhabers gebunden. Dieses Vertrauen muss sich der Nachfolger erst erarbeiten. Während der Testphase arbeiten der Firmeninhaber und der mögliche Nachfolger mehrere Wochen miteinander im Betrieb, um zu prüfen, ob sie miteinander auskommen. Zeigt sich dabei, dass die Erwartungen zum Beispiel bezüglich Unternehmensführung und -entwicklung unüberbrückbar sind, ist es besser, sich frühzeitig vom gemeinsamen Vorhaben „Nachfolge“ zu verabschieden. Gelangen hingegen beide Seiten zur Überzeugung, „es könnte gelingen“, beginnt die Qualifizierungsphase. Firmeninhaber und Nachfolger prüfen nun gemeinsam:

  • Welche Fähigkeiten und Qualifikationen bringt der künftige Unternehmer bereits mit?
  • Welche benötigt er noch? Und:
  • Wie kann er diese erwerben?

Je jünger der Nachfolgekandidat ist, umso genauer kann dessen Aus- oder Weiterbildung auf die Anforderungen des Betriebs ausgerichtet werden. Das Können ist entscheidend Das Ziel der Qualifizierung sollte sein: Der Nachfolger erwirbt alle nötigen Kompetenzen, um den Betrieb mit Erfolg zu führen. Das entsprechende theoretische Know-how allein genügt nicht – praktische Erfahrung ist unabdingbar. Ob sich ein Nachfolger aus dem Familienkreis diese Kompetenzen am besten über eine Lehre, verschiedene Praktika und/oder ein Studium aneignet, hängt unter anderem von der Branche, dem Geschäftsfeld des Unternehmens und dessen Größe ab. Parallel zur Qualifizierung sollten alle finanziellen, steuerlichen und erbrechtlichen Fragen geklärt werden. Dies wird bei Familienbetrieben oft dadurch erschwert, dass Privat- und Betriebsvermögen nicht klar getrennt sind. Zuweilen muss das Unternehmen sogar umgegründet werden, um die Interessen aller Beteiligten zu wahren – zum Beispiel die des Noch-Inhabers bezüglich einer finanziellen Absicherung nach dem Ausscheiden. Aus der Interessen-Gemengelage erwachsen oft Konflikte, die, wenn sie nicht früh erkannt und gelöst werden, die innerfamiliären Beziehungen dauerhaft belasten. Deshalb ist es ratsam, zum Klären dieser Fragen externe Berater hinzuzuziehen. Neben dem Steuerberater und einem Rechtsanwalt oder Notar sollte ein Unternehmensberater den Übergabeprozess begleiten. Die Verantwortung schrittweise delegieren Ist die Qualifizierung abgeschlossen und die Übergabe rechtlich unter Dach und Fach, kann die Bindungsphase beginnen. Sie dauert im Idealfall maximal zwei Jahre. Während dieser Phase durchläuft der Nachfolger alle wichtigen Positionen im Betrieb bis auf die des Geschäftsführers. So lernt er die Mitarbeiter und Geschäftspartner kennen und macht sich mit den betrieblichen Abläufen vertraut. Bei internen Nachfolgen sollte in dieser Phase noch ein Ausstieg möglich sein, wenn sich zum Beispiel zeigt: Wider alle Erwartungen ist der Sohn oder die Tochter für den Job „Unternehmer“ doch ungeeignet.

Für externe Nachfolgen gibt es derartige Ausstiegsregelungen eher nicht, denn in der Regel › hängt eine Finanzierung an dem Prozess und der scheidende Unternehmer gibt sukzessive die Entscheidungsbefugnisse an den Nachfolger ab, der das Unternehmen somit in dieser Periode bereits nachhaltig verändert. Auf die Bindungsphase folgt meist nahtlos die Übergabephase. Nun rückt der Nachfolger mit in die Unternehmensspitze. Wenn möglich, sollten „Senior“ und „Junior“ zunächst als Doppelspitze agieren. Dies gelingt am besten, wenn sie sich die Aufgaben teilen. Wichtig ist in dieser Phase, in der der künftige Chef zwar bereits zur Unternehmensspitze   zählt, jedoch oft noch nicht der Inhaber des Betriebs ist, dass er über ausreichend Handlungs- und Entscheidungsspielräume verfügt. Denn wenn der „Junior-Chef“ für jede wichtige Entscheidung im Tagesgeschäft erst das „Okay“ der Eigentümer einholen muss, wird er weder von den Kunden, noch Mitarbeitern ernst genommen. Auch ihn motiviert das nicht.

Das Ausscheiden des Seniors klar terminieren
Die Zeit der Doppelspitze sollte im Vorfeld begrenzt werden. Dauert sie zu lange oder wird das geplante Ende immer wieder hinausgeschoben, signalisiert dies den Mitarbeitern und Geschäftspartnern:

  • Der Nachfolger ist noch nicht genügend kompetent („... und wird es eventuell nie“).

Und/oder:

  • Der „Senior“ kann nicht loslassen.

Beides erzeugt Misstrauen, schwächt die Position des Nachfolgers und kann den Erfolg des Betriebs nachhaltig gefährden.

Wenn die Mitarbeiter den Chefsessel übernehmen

Von Mirella Kahn

Für eine besondere Alternative der Unternehmensübernahme haben sich die Inhaber des mittelständischen hannoverschen Unternehmens umwelttechnik & ingenieure GmbH – kurz: u&i entschieden: Sie verkauften ihr Unternehmen an die eigenen Mitarbeiter – um dessen unabhängigen Charakter zu wahren und es nicht in einem Großkonzern verschwinden zu lassen.

Die Diplomingenieure Manfred Schubert, Thomas Schücke und Nils Oldhafer gründeten 1993 das Ingenieurbüro umwelttechnik & ingenieure GmbH, auch, weil sie sich nicht den Regeln und Befindlichkeiten in zentral organisierten Unternehmen beugen wollten. Mit dieser geschaffenen Unabhängigkeit standen die drei Gründer 25 Jahre später vor der Aufgabe „ihr“ Unternehmen nach und nach fit für einen Generationenwechsel zu machen. Über zwei Jahre wurden Verhandlungen mit diversen Konzernen geführt, die reges Interesse am Kauf der umwelttechnik & ingenieure GmbH zeigten. Mit einem Käufer standen sie bereits kurz vor der Vertragsunterzeichnung. Dann machten die drei Gründer allerdings einen Rückzieher, weil sie ihr „Baby“ nicht in fremde Hände geben wollten. Denn wie die meisten mittelständischen Unternehmer haben Schubert, Schücke und Oldhafer sehr viel Herzblut in ihr Unternehmen gesteckt und den Wunsch, dass das Ingenieurbüro mit der gleichen Unabhängigkeit und Leidenschaft in die Zukunft geht. 

Die drei Gründer standen also erneut vor der Frage der Unternehmensnachfolge: Wer ist geeignet, die umwelttechnik & ingenieure GmbH weiterzuführen? Die Antwort darauf war der Verkauf des Unternehmens an die Mitarbeiter von u&i. Diese hatten – auch wenn alle Ersparnisse zusammengelegt worden wären – nicht die finanziellen Mittel, ein Unternehmen zu kaufen, dessen Wert sich im Millionenbereich befindet. Inhaber und Mitarbeiter, allen voran Thomas Schücke, stellten sich dennoch der Aufgabe und entwickelten ein Modell, mit dem es funktioniert: Jeder der 40 u&i-Mitarbeiter hat die Chance, sich mit einer Einlage von mindestens 5.000 € zu beteiligen. Durch die Beteiligung von 20 Mitarbeitern, Thomas Schücke und Nils Oldhafer kam ein beträchtliches Stammkapital zusammen. Mit diesem Stammkapital wurde die ui Mitarbeiterbeteiligungs-GmbH gegründet, welche durch die drei geschäftsführenden Gesellschafter Mirella Kahn, Margret Rauschnabel und Dr. Tammo Rebling vertreten wird. 

Am 20.12.2018 wurde durch die Mitarbeiterbeteiligungs- GmbH der Kaufvertrag über 85 % der Geschäftsanteile der umwelttechnik & ingenieure GmbH unterschrieben. Finanziert wird der Kauf durch einen Kredit der Hausbank, der durch die Gewinnausschüttungen von u&i an die ui Mitarbeiterbeteiligungs-GmbH zurückgezahlt wird. Die übrigen 15 % werden nun von einem langjährigen Geschäftspartner aus Hong Kong gehalten. Dieser Verkauf an einen Partner aus Hong Kong unterstreicht die zunehmend internationale Ausrichtung von u&i.

Die umwelttechnik & ingenieure GmbH hat nun also zwei Gesellschafter – die ui Mitarbeiterbeteiligungs-GmbH und den Geschäftspartner aus Hong Kong. Manfred Schubert ist mit Gründung der ui Mitarbeiterbeteiligungs- GmbH aus dem Unternehmen ausgeschieden. Thomas Schücke und Nils Oldhafer sind weiterhin die operativen Geschäftsführer von u&i und gleichzeitig Gesellschafter der ui Mitarbeiterbeteiligungs- GmbH, werden sich jedoch nun in vielen Entscheidungen eng mit ihren neuen Gesellschaftern abstimmen. In dieser neuen Struktur soll ein Management entstehen, welches den Anforderungen von Führung in einer globalisierten Welt gerecht wird, in der das Unternehmen mittel- und langfristig eine Selbstorganisation mit einer extrem flachen Hierarchie wird. Entscheidungsstrukturen und Verantwortung werden auf die Schultern Vieler verteilt, ohne dass die Schnelligkeit und Flexibilität, die u&i ausmachen, verloren gehen. Aus Sicht der alten und neuen Gesellschafter sind hierdurch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der umwelttechnik & ingenieure GmbH erfüllt. Mit einem großen Schritt geht u&i auf diese Weise in Richtung eines modernen und zukunftsorientierten Unternehmens, in welchem Mitarbeiter aktiv an Entscheidungsprozessen und auch am Erfolg des Unternehmens beteiligt werden. Gleichzeitig bleibt die bewährte Unabhängigkeit des Unternehmens von Großkonzernen und die damit verbundene Unternehmenskultur erhalten – denn wer kennt und lebt das Unternehmen besser als die eigenen Mitarbeiter?

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