Bei ihren Einsätzen in aller Welt haben es Ingenieure ohne Grenzen oft mit besonderen Herausforderungen zu tun. Materialbeschaffung, Logistik, Bürokratie oder schlicht die Witterungsbedingungen sind zuweilen die kritischen Punkte innerhalb eines Projekts. Dann sind zusätzlich zum Ingenieursverstand Organisationsgeschick, Improvisationstalent oder Kommunikationsstärke gefragt.
Jedes Projekt ist ein Unikat und stellt spezifische Anforderungen. Das ist auch in Deutschland so. Wenn man jedoch in Tansania Zisternen, in Simbabwe eine Schule und in Nepal erdbebensichere Häuser bauen will, muss man sich auf Hindernisse gefasst machen, die man von hiesigen Baustellen nicht in gleichem Maß gewohnt ist.
Tansania: Kein Wasser, aber weite Wege
Beim Bau von Regenwasserspeichern im Nordwesten Tansanias beispielsweise besteht das größte Problem darin, dass die erforderlichen Bauteile und Materialien im lokalen Handel nicht immer in der gewünschten Qualität verfügbar sind. Dies gilt vor allem für Betonstahl und Zement. Das Angebot unterliegt schlicht nicht vorhersagbaren Veränderungen, sodass oft Baustoffe kurzfristig aus großer Entfernung herangeschafft werden müssen, um die Projekte im geplanten Zeitrahmen abzuschließen. Zunächst muss jedoch ermittelt werden, wo das erforderliche Material zu bekommen ist – bevor sich das nächste Problem stellt: Transportmittel und Kraftstoff sind ebenfalls oft Mangelware.
Dennoch hat Ingenieure ohne Grenzen gemeinsam mit der tansanischen Organisation Mavuno seit 2008 über 230 Zisternen gebaut, die in der Regenzeit das Wasser sammeln und in der Trockenzeit zur Verfügung stellen. Allein 2019 werden Zisternen mit einem Fassungsvermögen von 400.000 Litern gebaut, wodurch weiteren 7500 Menschen der ganzjährige Zugang zu Wasser ermöglicht wird. Die Zisternen verbessern die Lebensbedingungen wesentlich: Krankheiten wie Typhus, Cholera und Durchfall werden eingedämmt und lange Wege zu weit entfernten, gegebenenfalls verschmutzen Wasserlöchern vermieden. So können die Kinder zur Schule gehen und die Erwachsenen haben mehr Zeit dafür, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Simbabwe: Kein Strom, aber jede Menge Regen
In einer durch Zwangsumsiedlungen entstandenen informellen Siedlung am Rand von Harare baut Ingenieure ohne Grenzen seit 2012 mit dem Partner Vision & Hope ein neues Schulgebäude, um die rund 500 Kinder aus der Umgebung wetterunabhängig ganzjährig unterrichten zu können. Drei Bauabschnitte sind mittlerweile fertiggestellt, am vierten wird derzeit gearbeitet. Zuvor fand der Unterricht im Freien statt und musste witterungsbedingt oft ausfallen.
Die Hauptschwierigkeit in dieser Siedlung besteht im Fehlen von fließend Wasser und Elektrizität. Viele Arbeiten, die in Deutschland selbstverständlich mit Maschinen erledigt werden, wie Mörtel anrühren, Holzbauteile zusägen und der Transport von Baustoffen auf der Baustelle, müssen von Hand ausgeführt werden.
Außerdem beeinflusst das Wetter die Bauprozesse erheblich. Während der Regenzeit steigt nämlich der Grundwasserspiegel bis knapp unter die Erdoberfläche an, sodass die Fundamente unbedingt vor Beginn der Regenzeit gebaut werden müssen. Dieser Umstand ist bestimmend für alle Bauzeitenpläne.
Eine weitere Herausforderung betrifft das Material. Um Erfahrungen mit der Erstellung der Rundbögen zu sammeln, die das zentrale Tragelement des Gebäudes bilden, wurde in Stuttgart vorab ein Prototyp gemauert. Dafür hatte ein großer Hersteller die Ziegel gesponsert. In Simbabwe stellte sich dann aber heraus, dass die dort verfügbaren Ziegel nicht so maßhaltig sind wie die beim Probebau verwendeten. Deshalb mussten Tausende von Steinen per Hand sortiert werden, um die brauchbaren herauszusuchen.
Der Aufwand hat sich gelohnt, denn die Schule findet großen Zuspruch. Sie wurde mittlerweile zu einem Identifikationsobjekt der Siedlung und die Schulanmeldungen haben sich seit Fertigstellung des ersten Bauabschnitts mehr als verdoppelt.
Nepal: Ingenieure an der Grenze
Während mehrerer starker Erdbeben zwischen April und Juli 2015 wurden in vielen Regionen Nepals zahlreiche Gebäude beschädigt oder zerstört. In manchen Dörfern waren bis zu 90 % des Bestands betroffen. Ingenieure ohne Grenzen war bereits kurz nach den Beben vor Ort, um gemeinsam mit der Nepal-Hilfe Biberach den Wiederaufbau zu unterstützen sowie sanierungsfähige Häuser zu ertüchtigen.
Die Hilfe konnte jedoch nicht wie geplant anlaufen, weil eine Blockade an der Grenze zu Indien lange Zeit wichtige Kraftstoff- und Materialtransporte nach Nepal unterband. Indigene Volksgruppen, die sich durch die neue nepalesische Verfassung benachteiligt fühlten, wollten durch die Sperrungen ihre politischen Forderungen durchsetzen. Sie nahmen in Kauf, dass die 1,5 Millionen obdachlos gewordenen Menschen durch den nahenden Winter zunehmend in Gefahr gerieten. Wie andere Hilfsorganisationen auch, war Ingenieure ohne Grenzen zur Untätigkeit verdammt.
Im Februar 2017 konnten die Arbeiten im Projektort Lurpung endlich begonnen werden. Ende desselben Jahrs wurde ein Musterhaus für erdbebensichere Bauweise fertiggestellt. Um die Standsicherheit des Gebäudes gegenüber dem Vorgängerbauwerk zu erhöhen, wurden Stahlbeton-Ringanker und Stahldiagonalen eingebaut. Diese Maßnahmen wurden in Abstimmung mit einem nepalesischen Professor für Erdbebensicherheit geplant und ausgeführt. Anfang 2019 wurde das Gebäude dann feierlich eingeweiht.
Engagement mit Wirkung
Über 1000 Ehrenamtliche engagieren sich bei Ingenieure ohne Grenzen. Sie verbindet die Motivation, Menschen in weniger entwickelten Regionen der Welt mit ihrem Ingenieurswissen zu unterstützen. Vermutlich sind es auch die speziellen Herausforderungen in den Projektländern, die den Reiz dieser Arbeit ausmachen. So werden Fähigkeiten erworben, die durch Studium und Praktika in Deutschland kaum vermittelt werden können. Und nicht zuletzt entschädigt ein erfolgreicher Projektabschluss für alle Beschwerlichkeiten auf dem Weg dorthin. Dies wiederum ist bei Projekten in Deutschland nicht anders.