Liebe Leserinnen und Leser,
wir hatten die Wahl. Gefühlt seit Beginn des Jahres schien alles auf dieses wichtige Ereignis hinzudeuten. Jede Politikeraussage wurde auf ihre Kompetenz und Strahlkraft in Wahlzeiten überprüft, jedem Termin eine Bedeutung anorakelt. Wer sich von der – gesteuerten – Aufregung nicht anstecken ließ, versuchte hinter dem Wahlkampf die wichtigen Themen zu erkennen, sich ein Bild von den Leistungen der Protagonisten zu machen sowie Zieldefinitionen, die über den Stichtag 26. September hinausgehen könnten, zu identifizieren. Ein typisches Wahljahr eben.
Die Ergebnisse liegen vor; viele meinen zu wissen, in wessen Händen die Wähler für die kommende Legislaturperiode gern die Verantwortung sähen. Was letztlich daraus wird, werden die Koalitionsverhandlungen zeigen.
Und wie immer, wenn Menschen sich um ein Mandat bemühen oder für ein bestimmtes Amt kandidieren, werden wir erst im Lauf der Zeit wissen, ob sie das erfüllen konnten, was sie versprochen und wir uns erhofft haben. Dass Erwartungen so leicht nicht zu erfüllen sind, weiß jeder, der schon einmal ein Amt übernommen hat. Das beginnt bereits im Schulalter mit den Klassensprechern, setzt sich im Erwachsenenleben über die verschiedensten Engagements im Privaten oder Beruf fort und reicht bei manchen Menschen sogar bis weit ins Rentenalter hinein.
Natürlich gibt es auch bei den Posten eine Hierarchie. Da gibt es die, auf die sich mehrere Personen ernsthaft bewerben da attraktiv und das Image aufwertend; und dann noch die, die man sich schönreden muss und mehr oder weniger zwangsverpflichtet wird, weil keiner der Anderen Lust dazu hat.
In Berlin beginnt nun das große Stühlerücken. Zahlreiche Jobs werden verteilt, Teams neu zusammengestellt, es gibt Pöstchen und Positionen – nicht nur in der Hauptstadt-Politik. Der Austausch erfolgt auch mit politischen Akteuren aus den Ländern, nachgeordneten Behörden und anderen Organisationen.
Die Erwartungshaltung ist auch hier hoch. Mit einem Amt übernehmen wir Verantwortung: für Menschen, für Finanzen, für die Umwelt, für vereins-, berufspolitische oder gesellschaftliche Ziele, für notwendige Veränderungen. Für den – wie auch immer definierten – Erfolg. Nicht alles lässt sich in einer Wahlperiode umsetzen. Manchmal kann es schon ausreichend sein, solide Grundlagen zu schaffen, auf denen diejenigen, die danach kommen, aufbauen können.
Es ist eine Herausforderung, sowohl in der „großen“ Politik als auch in der „kleinen“, zielstrebig einen nachhaltigen Weg einzuschlagen, der manches zum Besseren verändert, aber nie jedes Problem zur Zufriedenheit aller lösen kann. Nicht jeder ist dafür gemacht, sich Projekten zu widmen, die eines langen Atems bedürfen oder Themen zu beackern, die ihm fremd sind. Zu verlockend ist da die Möglichkeit, sich im Tagesgeschäft lieber die Rosinen herauszupicken. Wer sich allerdings dauerhaft der Unterstützung Dritter sicher sein möchte, muss die wirklich drängenden Themen angehen. Das wird in der Regel mit Vertrauen und Unterstützung auch in schwierigen Zeiten honoriert.