Liebe Leserinnen und Leser,
„Wie wollen wir leben?“, fragt die Dachzeile eines Beitrags dieser Ausgabe. Zwei Masterabsolventen der Ingenieurwissenschaften haben zur nachhaltigen Stadtentwicklung und dem Potenzial von Quartieren geforscht und Vorschläge erarbeitet, wie diese sich weiterentwickeln sollten. Es ist ein spannendes Thema, das in Bezug auf die Bau- und wohnungspolitische Lage in Deutschland aktueller nicht sein könnte. Dass wir uns in der Betrachtung nicht ausschließlich auf die Anzahl der erforderlichen Wohnungen beschränken können, ist in der Branche bereits seit Jahren bekannt. Wer baut, muss heutzutage auch immer die Interessen aller Beteiligten und Betroffenen im Blick haben. Gentrifizierung, Segregation, demografischer Wandel, Zuwanderung, Infrastrukturmaßnahmen, Versorgungsstabilität. Schlagworte, die den Planenden leicht von den Lippen kommen (müssen), denn es geht nicht mehr darum, lediglich bauliche Lücken zu schließen. Jede Stadt, jeder Stadtteil, jedes Quartier muss in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Auch, um den gesellschaftlichen Herausforderungen in Zukunft gewachsen sein zu können – ohne einer geschlossenen Siedlungsbildung Vorschub zu leisten oder der Verödung ganzer Straßenzüge, denen die ursprüngliche Bestimmung abhandengekommen ist.
Wenn wir über Quartiersbildung reden, haben die Verantwortlichen mittlerweile häufig das Ziel vor Augen, langfristig sowohl wirtschaftlich als auch kulturell und strukturell eine gesunde Mischung aller gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen. Aus- und Abgrenzung von bestimmten Bevölkerungsteilen, die Klassifizierung nach einkommensstarken und einkommensschwachen Wohngebieten, führt – das hat sich in der Vergangenheit häufig genug gezeigt – lediglich dazu, die Kluft zwischen den Menschen zu vergrößern und Integration unnötig zu erschweren. Das Ideal einer heterogenen Gesellschaft hat dabei nichts mit sozialromantischen Mätzchen zu tun. Vielmehr sind zahlreiche humanitäre Aspekte zu beachten, wenn wir Lebensräume neu denken. Da wäre in Deutschland beispielsweise auch der Umstand maßgebend, dass wir eine alternde Gesellschaft sind. Es geht uns gut und dank unserer ausgebauten Infrastruktur, unseres Gesundheitswesens und zahlreicher anderer Faktoren können die Menschen in unserem Land ein hohes Alter erreichen; und häufig selbstbestimmt und unabhängig von den unterschiedlichsten Stadien ihrer Mobilität und ihres Wohlbefindens ihren Alltag bestreiten.
Und dann ist da ein weiterer Fakt, den wir nicht von der Hand weisen können: Ende 2020 waren 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Konflikten und Verfolgung. 86 % der Geflüchteten weltweit leben in Entwicklungsländern, 80 % aller Vertriebenen in Regionen, in denen akute Ernährungsunsicherheit und Unterernährung herrschen. Die Zahlen steigen kontinuierlich weiter. Hunger, Kämpfe und Klimakatastrophen zwingen viele Millionen Menschen dazu, Hilfe und Schutz in anderen Regionen oder Ländern zu suchen.
Nachlesen lässt sich das unter anderem auf den Seiten der UNO-Flüchtlingshilfe.
Wir können schon lange nicht mehr davon ausgehen, dass Flucht und Vertreibung ein kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen sind. Ganze Völker sind erzwungenermaßen auf Wanderung, weitere werden hinzukommen. Das wird natürlich auch Einfluss auf unser Zusammenleben haben. Eine flexible, offene und integrativ agierende Gesellschaft, die Zuwanderung unter anderem als Chance begreift, tut sich selbst einen Gefallen, wenn sie Raum für jeden schafft, der in Deutschland eine neue Zukunft sucht und Teil unserer Lebensweise werden möchte. Das aktive Einbinden unserer Mitmenschen, sowohl emotional als auch örtlich, ist dabei ein wichtiger Impuls.