Editorial

Deutsches Ingenieurblatt 07-08/2022
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,
Lieferschwierigkeiten, Personalengpässe, Inflation. Konjunkturumfragen dieser Tage bewerten trotz voller Auftragsbücher am Bau die Zukunft kritisch. Insbesondere die Verschärfung des Ingenieurmangels setzt den Büros zu. Seit vielen Jahren bemüht sich der Berufsstand mit unterschiedlichen Formaten vom Schülerwettbewerb über universitäre Informationsveranstaltungen für die Berufswahl Ingenieurin/Ingenieur zu werben. Durchaus erfolgreich, insbesondere unter dem Aspekt, dass mittlerweile zahlreiche junge Frauen ihren Abschluss in Ingenieurwissenschaften haben oder diesen anstreben.

Dennoch bleibt der Umstand bestehen, dass in der Arbeitswelt viel mehr
Ingenieure benötigt werden, als Berufseinsteiger nachkommen. Und nach wie vor entscheiden sich viele junge Menschen trotz der Aussicht auf sichere Arbeitsplätze, einen abwechslungsreichen und kreativen Beruf oder einem guten Einkommen und vielversprechenden Karrieremöglichkeiten dann doch für einen anderen akademischen Werdegang.

Das Bauingenieurwesen in seiner ganzen Breite und Tiefe in einem einzigen Studium abzubilden, ist unmöglich. Aus diesem Grund stehen junge Menschen mit dem Berufswusch (Bau)Ingenieur heute durch den Bologna-Prozess vor einer Vielzahl an Studienvarianten, die graduell unterschiedlich eine weitere Spezialisierung im Beruf notwendig machen. Hier eine Entscheidung zu treffen, welcher Weg am besten zu einem passen könnte, stellt viele vor eine enorme Herausforderung. Insbesondere, wenn die Eltern aus einem völlig anderen Berufsumfeld kommen und eine entsprechende Vorprägung oder Laufbahnempfehlung nicht gegeben ist.

Nun wird die Tätigkeit von den am Bau beschäftigten Ingenieurinnen und Ingenieuren zunächst in erster Linie über das Bauen wahrgenommen. Tatsächlich wird ihr Berufsalltag mittlerweile in hohem Maße auch von Aufgaben bestimmt, die im Bereich der Dienstleistung liegen. Kaum eine bauliche Anlage kommt heute noch ohne für den Betrieb und den Unterhalt der Anlagen verantwortliche Ingenieure aus. Von den Vertreterinnen und Vertretern des Berufsstands wird erwartet, dass sie weit über das eigene Berufsfeld hinausschauen, mit anderen Gewerken im Bereich des Bauens eng zusammenarbeiten und bei diesem Zusammenwirken der Spezialisten Führungsaufgaben übernehmen. Die Auseinandersetzung mit juristischen Fragestellungen ist heutzutage ebenso Teil des Berufs wie das betriebswirtschaftliche Denken.

Diese Vielseitigkeit beim Ausüben des Ingenieurberufs sollte in den Kampagnen zur Nachwuchsgewinnung noch stärker betont werden. Auch im Hinblick auf die Interessenten, die sich dann doch für einen wirtschaftswissenschaftlichen Studiengang entscheiden, weil sie – vereinfacht ausgedrückt – in ihrem Berufsalltag lieber „Projekte managen“ oder Führungsaufgaben übernehmen möchten und den Beruf des Ingenieurs lediglich unter dem Aspekt eines Spezialisten beispielsweise für Hoch- oder Tiefbau betrachten.

Mit welchen Fragen sich künftige Studierende auseinandersetzen sollten, um aus dem differenzierten Studienangebot das auszuwählen, was inhaltlich am besten zur eigenen Persönlichkeit und der beruflichen (Wunsch-)Perspektive passt, greift ein Beitrag in dieser Ausgabe auf. Es ist demnach bereits bei der Studiengangwahl notwendig, genau abzuwägen, welchen Weg man einschlagen möchte, ob man sich eher als Generalist oder lieber als Spezialist sieht. Beide finden im Ingenieurwesen ihre Berechtigung. An dieser zentralen Stelle mit entsprechenden Informationen aktiv bei der Entscheidungsfindung behilflich zu sein und die gesamte Bandbreite des beruflichen Spektrums aufzuzeigen, könnte manchen Unentschlossenen ganz neue – und für den Berufsstand förderliche – Perspektiven eröffnen.

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