Bereits im vergangenen Jahrhundert wurde die Diskussion geführt, ob Bauingenieurinnen und Bauingenieure eher als Generalistinnen bzw. als Generalisten oder als Spezialistinnen bzw. Spezialisten ausgebildet werden sollen. Zu diesem Zeitpunkt war die diesbezügliche Diskussion allerdings eher hypothetisch bzw. in die Zukunft gewandt, da die Bauingenieurstudiengänge nahezu ausnahmslos dem Prinzip der Ausbildung zum Generalisten folgten. Konkret wurde diese Diskussion zu Beginn dieses Jahrtausends als sich, bedingt durch den Bologna-Prozess, das Studienangebot änderte. Um diese Veränderung, aber auch die grundlegenden Gedanken dieser Diskussion verstehen zu können, ist es zunächst notwendig zurückzublicken.
Historisch betrachtet ist der Bauingenieur aus der Tradition der Baumeister entstanden. Der Beruf des Baumeisters, der sowohl für die architektonische Gestaltung als auch die statischen Erfordernisse und die anderen technischen Belange verantwortlich zeichnete, teilte sich in die beiden Berufsbilder Architekt und Bauingenieur auf. Wie der Baumeister sind auch Architekt und Bauingenieur dem Ursprung nach Generalisten. Seit der Teilung in die beiden Berufsbilder hat sich das Bauingenieurwesen in seiner ursprünglichen Definition nicht mehr verändert und dies, obwohl zahlreiche neue Wissensgebiete hinzukamen und die traditionell vorhandenen Wissensgebiete sich stetig ausweiten. Damit hat sich das Bauingenieurwesen anders entwickelt als andere Ingenieurwissenschaften. So haben sich beispielsweise vom ursprünglichen Maschinenbau die Luft- und Raumfahrttechnik, der Schiffbau, die Verfahrenstechnik etc. als eigenständige Wissensgebiete abgespalten. Selbst das Wirtschaftsingenieurwesen, das sich von anderen ingenieurwissenschaftlichen Bereichen seit Mitte der 1960er-Jahre als eigenständiges Wissensgebiet absonderte, ist im Bauwesen eine vergleichsweise junge Entwicklung, die ihre Ursprünge im Wesentlichen erst zu Beginn dieses Jahrtausends hat. Zuvor wurde das gesamte Bauingenieurwesen sowohl an Fachhochschulen, den Vorgängern der Hochschulen für angewandte Wissenschaften, als auch an den Universitäten mit wenigen Ausnahmen allein durch die gleichnamigen Studiengänge abgebildet. Die heutige Vielfalt der Studiengänge im Bereich des Bauwesens gab es nicht.
Aufgrund des vorstehend Geschriebenen und des daraus resultierenden Berufsbilds entsprach daher die Ausbildung der Bauingenieurinnen und Bauingenieure in den bis in dieses Jahrtausend hinein angebotenen Diplomstudiengängen mit den Abschlüssen Dipl.-Ing. und Dipl.-Ing. (FH) mit graduellen Unterschieden in erster Linie der von Generalisten und erst in zweiter Linie der von Spezialisten.
80 unterschiedliche Studiengänge im Bauwesen
Durch die Bologna-Erklärung von 1999 wurden die Diplomstudiengänge durch Bachelor- und darauf aufbauende Masterstudiengänge ersetzt. Es war das erklärte Ziel des Bologna-Prozesses, den Hochschulen mehr Freiheiten in puncto Kreativität hinsichtlich der Ausweitung des Studienangebots zu geben. So entstanden auch im Bauwesen durch Abspaltung von Teilgebieten neue Bachelor- und Masterstudiengänge, die bewusst einen wesentlich höheren Grad der Spezialisierung aufweisen, als dies bei den nachfolgend noch zu erläuternden Vertiefungsrichtungen der Diplomstudiengänge der Fall war. Oftmals werden die Studieninhalte in diesen Studiengängen durch qualifiziertes Wissen aus anderen Fachgebieten als dem Bauingenieurwesen ergänzt. Desweiteren entstanden durch die Aufspaltung in Bachelor- und Masterstudiengang neue Möglichkeiten, auch unterschiedliche Typen von Studiengängen zu kombinieren; beispielsweise kann ein grundständiger Bachelorstudiengang mit einem spezialisierten Masterstudiengang kombiniert werden. Dies führte dazu, dass im Bereich des Bauwesens heute ca. 80 unterschiedliche Studiengänge angeboten werden. Zur Erläuterung: Unter grundständigem Studiengang wird ein Studiengang verstanden, der wie die früheren Diplomstudiengänge hinsichtlich der fachspezifischen Grundlagen, die im Curriculum oft als Grundfachstudium bezeichnet werden, die gesamte Breite des Bauingenieurwesens abbildet.
Der Bologna-Prozess brachte es mit sich, dass Bachelor- und Masterstudiengänge im Bereich des Bauwesens sowohl an Universitäten als auch an Hochschulen für angewandte Wissenschaften sowie dualen Hochschulen angeboten werden. Somit kann man im Folgenden hinsichtlich der Frage „Generalist oder Spezialist" weitgehend auf eine Unterscheidung nach Hochschulart verzichten, da ohnehin ein Wechsel der Hochschule nach dem Bachelorabschluss möglich ist. Ebenso werden bei den aufgezeigten Studienvarianten Bachelor- und Masterstudiengang gemeinsam dargestellt. Dennoch ist eine getrennte Betrachtung möglich. Wichtig ist es noch festzustellen, dass zwischen der Spezialisierung im Studium und derjenigen, welche später im Beruf stattfindet, unterschieden werden muss. Im Folgenden geht es um diejenige im Studium.
Studiengangkombinationen und ihre Ausprägungen:
1. Studiengangkombination
Die erste hier betrachtete Kombination aus Bachelor- und Masterstudiengang vereint in sich die früheren Diplomstudiengänge der Fachhochschulen und die der Universitäten. Den heutigen grundständigen Bachelorstudiengängen des Bauingenieurwesens entsprechen die früheren grundständigen Diplomstudiengänge an Fachhochschulen. Die heutige Kombination aus grundständigem Bachelor- und konsekutivem Masterstudiengang entspricht dem früheren Diplomstudiengang an Universitäten. Somit führen auch die beiden heutigen Studiengänge hinsichtlich der Ausprägung der Studieninhalte zum Generalisten.
Im Bachelorstudiengang wird aufbauend auf den theoretischen Grundlagen weitgehend die gesamte Breite des Bauingenieurwesens abgebildet und je nach Hochschulart, Universität oder Hochschule für angewandte Wissenschaften eine gewisse Spezialisierung durch die Wahl einer sogenannten Vertiefungsrichtung oder eines bestimmten Fächerkanons vorgenommen. Der konsekutiv darauf aufbauende Masterstudiengang stellt dann die vertiefte Fortführung des bereits im Bachelorstudiengang erworbenen Wissens dar. Hierbei erfolgt dann eine Spezialisierung in einem oder zwei der klassischen Vertiefungsgebiete des Bauingenieurwesens: „Konstruktiver Ingenieurbau“, „Wasserbau“, „Verkehr und Infrastruktur“, „Geotechnik“ oder „Baumanagement“. Neben der fachspezifischen Vertiefung werden aber auch weitere vertiefende theoretische Grundlagen im Masterstudiengang vermittelt. Die Studierenden werden durch diese Vertiefung im gleichen Wissensgebiet auf ein – verglichen mit einem Bachelorstudiengang – höheres Niveau der Denkschule gebracht. Ziel ist es dabei Methodenkompetenz (Welche nachstehend näher erläutert wird.) zu erlangen.
Die große Bedeutung der Denkschule:
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass wir, was leider allzu oft geschieht, Studiengänge nicht allein nach dem vermittelten Wissen und dem Praxisbezug beurteilen sollten. Mindestens genauso wichtig ist die durch das Studium vermittelte Denkschule. Die Denkschule führt uns zunächst über die Fachkompetenz zur Problemlösungs- und Handlungskompetenz. Auf einer höheren Stufe der Denkschule ermöglichen uns die darin erworbenen Fähigkeiten, nicht in der Fachkompetenz und der Problemlösungskompetenz zu verharren, sondern uns in Richtung Methodenkompetenz weiterzuentwickeln. Problemstellungen auf unterschiedlichen Fach- und Wissensgebieten werden gewissermaßen aus einer übergeordneten, verallgemeinerten Sicht hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten betrachtet und nicht als singuläre, quasi nebeneinanderstehende Probleme gesehen. Methodenkompetenz ermöglicht uns somit, Lösungsmethoden von einem Wissensgebiet auf ein anderes zu übertragen und eigenständig neues Wissen zu generieren. Wenn heute von Seiten der Praxis bei Absolventinnen und Absolventen eine – gegenüber früher – geringer entwickelte Fähigkeit beklagt wird, sich selbständig in neue Aufgabenstellungen einarbeiten zu können, so hat die vielfach vernachlässigte Denkschule sicherlich einen bedeutenden Anteil an dieser Entwicklung.
Spezialisierung erst nach einem umfassenden Überblick:
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass bezüglich des Studienangebots das Bauwesen grundständig, d. h. durch das Studienziel „Ausbildung zur Generalistin bzw. zum Generalisten“, geprägt ist. Daher stellt die grundständige, „klassische“ Studiengangkombination auch heute die am häufigsten angebotene Studienvariante dar. Verglichen mit den nachfolgend dargestellten Varianten ist sie am wenigsten spezialisiert. Die Spezialisierung findet erst spät im Studium und vor allem auch in der Berufspraxis statt. Dies mag möglicherweise als Nachteil angesehen werden. Der Vorteil dieser Studiengangkombination ist aber, dass man erst dann die Spezialisierung vornimmt, wenn man einen umfassenden Überblick über das Bauingenieurwesen gewonnen hat. So kann ein Absolvent des Wasserbaus auch noch zu Berufsbeginn entscheiden, ob er in der Siedlungswasserwirtschaft tätig sein möchte oder lieber Hafenanlagen plant. Ein konstruktiver Ingenieur kann seinen künftigen beruflichen Schwerpunkt im Spannbetonbrückenbau, im Bau von Windkraftanlagen oder im Hochbau sehen. Desweiteren besitzt man mit dieser Kombination auch die größtmögliche Flexibilität hinsichtlich des späteren Arbeitsplatzes. So findet man Absolventen des konstruktiven Ingenieurbaus auch im Bereich Verkehrswegebau, in der Geotechnik oder im Baumanagement. Ohne die im Grundfachstudium erworbenen Kenntnisse auf den jeweils anderen Gebieten wäre dies nicht denkbar. Die Möglichkeit, auch während des Berufslebens sein Tätigkeitfeld zu verändern, ist gegeben. So ist es nicht unüblich, dass konstruktive Ingenieure oder Wasserbauer vom Konstruktionsbüro in das Baumanagement wechseln. Grundsätzlich ist festzustellen, dass derart ausgebildete Bauingenieurinnen und Bauingenieure vielseitig im Beruf einsetzbar sind.
2. Studiengangkombination: Höhere Spezialisierung im Studium
Eine zweite, stärker spezialisierte Studiengangvariante stellt die Kombination eines grundständigen Bachelorstudiengangs mit einem nicht konsekutiven Masterstudiengang dar. Für den Bachelorstudiengang gilt das bereits genannte. Der Masterstudiengang weist hier bezüglich der Studieninhalte aus dem Bauwesen eine wesentlich höhere Spezialisierung auf, als dies bei den Vertiefungsrichtungen eines konsekutiven Masterstudiengangs der Fall ist. Die Inhalte des Masterstudiengangs können aber auch einem vollkommen anderen Wissensgebiet entstammen. Bei dieser Studiengangkombination findet keine Vertiefung des bisherigen Wissens statt, sondern es werden im Wesentlichen den grundlegenden Kenntnissen aus dem Bauingenieurwesen die grundlegenden Kenntnisse aus einem anderen Wissensgebiet hinzugefügt. Im ersten Fall können die Inhalte des Masterstudiengangs beispielsweise aus dem Bereich der Bauphysik, des Brandschutzes, der Holztechnik, der Fassadentechnik, des nachhaltigen Bauens, des Bauens im Bestand, des Facility Managements, der Energieeffizienz etc. kommen. Im zweiten Fall handelt es sich um Studiengänge, die sich mit Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie Recht beschäftigen, wie Business Administration, Immobilienwirtschaft, internationales Management etc. Diese Studiengänge stehen aber in unmittelbarer Konkurrenz zu einem Bachelorstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen Bau verbunden mit einem konsekutiven Masterstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen Bau.
Die höhere Spezialisierung im Studium bewirkt eine größere Berufsnähe und führt in der Regel zu einer geringeren Einarbeitungszeit bei Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern. Sie bewirkt bezüglich des Arbeitsmarkts einerseits eine geringere Angebotsvielfalt, andererseits ist aber auch eine geringere Konkurrenzsituation gegeben. Spezialisierung kann in Zeiten einer schwachen Konjunktur die Situation auf dem Arbeitsmarkt prinzipiell erschweren. Da bei dieser Kombination der Bachelorstudiengang grundständig ist, verfügen Absolventinnen und Absolventen dieser Kombination über eine breit angelegte Basis, die – neben der Spezialisierung im Masterstudiengang – auch Flexibilität garantiert.
3. Studiengangkombination: Die am stärksten spezialisierte Variante
Die dritte, am stärksten spezialisierte Studiengangvariante besteht aus einem bereits spezialisierten Bachelorstudiengang auf dem konsekutiv ein entsprechender Masterstudiengang aufbaut. Beispiele für solche Studiengänge gibt es auf dem Gebiet des Holzingenieurwesens bzw. der Holztechnik, des Infrastrukturmanagements, des Umwelt- und Ressourcenmanagements, der Gebäudetechnik, des Facility Managements etc. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Berufsnähe in dieser Studiengangkombination am größten. Sie wird häufig an dualen Hochschulen angeboten. Gerade bei den hochspezialisierten Bachelorstudiengängen gilt es zu beachten, dass es Bachelorstudiengänge gibt, zu denen kein konsekutiver Masterstudiengang existiert. Hier sollten Studieninteressentinnen und Studieninteressenten vor Beginn des Bachelorstudiums darauf achten, welcher Masterstudiengang als sinnvolle fortführende Studienmöglichkeit in Frage kommen könnte. Diese Überlegung sollte man selbst dann vorsorglich anstellen, wenn man eigentlich plant, keinen Masterstudiengang zu absolvieren. Grundsätzlich sollte man sich diese Möglichkeit immer offenhalten. Es bedarf an dieser Stelle auch des Hinweises, dass bei hochspezialisierten Studiengängen, gerade wenn sie relativ neu sind, von Seiten der Berufspraxis eine gewisse Zurückhaltung bestehen kann. Bei kleineren Büros und Firmen mehr als bei großen. Meist ist der Grund mangelnde Information. Wenn man diesbezüglich Bedenken verspürt, sollte man sich vor Studienbeginn in der Berufspraxis informieren.
Im Zuge des Variantenvergleichs wurden die Bachelorstudiengänge ausführlich bewertet. Für den Fall, dass nur ein Bachelorstudiengang absolviert werden soll, sei noch eine abschließende vergleichende Bemerkung angefügt. Der grundständige Bachelorstudiengang ist durch seine Vielseitigkeit geprägt und daher sehr flexibel einsetzbar. Mit spezialisierten Bachelorstudiengängen werden fachliche Nischen und Tätigkeitsfelder, die neu entstanden sind bzw. schon länger bestehen, aber sich stark ausgeweitet haben, abgedeckt. Wichtig bei diesen Studiengängen ist, dass sie über ein ganzes Berufsleben hinweg tragen und nicht zu sehr einem Zeitgeist geschuldet sind.
Fazit zum Studium
Es ist nicht möglich, das Bauingenieurwesen in seiner ganzen Breite und vor allem Tiefe in einem Studium abzubilden. Daher sind die vorstehend erläuterten Studienvarianten entstanden. Je nach Variante ist graduell unterschiedlich eine weitere Spezialisierung im Beruf notwendig. Naturgemäß ist dieser Spezialisierungsbedarf in der ersten Variante am größten. Sogesehen sind alle Bauingenieurinnen und Bauingenieure aus der Berufssicht betrachtet Spezialisten. Wir müssen bei den Begriffen „Generalist" und „Spezialist" aber unterscheiden, ob wir diese Differenzierung auf das Studium oder auf den Beruf beziehen. Dies wird später noch an Beispielen erläutert werden. Zunächst soll anhand der Vielfalt der Tätigkeitsfelder verdeutlicht werden, weshalb eine Spezialisierung im Beruf zwingend notwendig ist.
Die vielfältigen Arbeitsbereiche der Bauingenieurinnen und -ingenieure
Die Arbeitsbereiche der Bauingenieurinnen und Bauingenieure sind breit gefächert. Bauingenieure planen, konstruieren, berechnen, kalkulieren und bauen Gebäude, Brücken, Industrieanlagen, Sendetürme, Straßen, Schienenwege, Wasserstraßen, Flughäfen, Tunnel, Kläranlagen, Hafenanlagen, Talsperren etc. Sie sind im Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung, der Klärtechnik, der gesamten Abfallwirtschaft einschließlich Recycling, dem Hochwasserschutz und der Gewässerrenaturierung tätig und garantieren somit den Schutz und Erhalt unserer Umwelt. In der Energiewirtschaft sind Flusskraftwerke, Pumpspeicherwerke und Windkraftanlagen zu nennen. Gründungstechnische Fragen gehören ebenso zum Aufgabenbereich der Bauingenieure wie das ständig an Bedeutung zunehmende Gebiet der Bauerhaltung und der Bausanierung. Die Betrachtung eines Bauwerks über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg bis hin zum Rückbau und zur Wiederverwertung unter Einbeziehung der Energiebilanz ist ein stetig wachsendes Arbeitsgebiet. Bauingenieure sind aber auch im Anlagenbau und anderen angrenzenden Gebieten des Maschinenbaus anzutreffen.
Die Tätigkeit der Bauingenieure wird in erster Linie über das Bauen wahrgenommen, tatsächlich aber sind Bauingenieure in hohem Maß im Bereich der Dienstleistung beschäftigt. So sind Bauingenieure in der Verkehrs- und Umwelttechnik nicht nur für den Bau, sondern auch für den Betrieb und den Unterhalt der Anlagen verantwortlich. Bauingenieure sind für die Verkehrssteuerung in Städten ebenso zuständig wie für die Organisation des Fahrbetriebs der Deutschen Bahn AG und des öffentlichen Nahverkehrs. Zunehmend weitet sich der Dienstleistungsbereich aus. Verwaltungsgebäude, Flughafenterminals, Messehallen etc. werden von Bauingenieuren während ihrer gesamten Nutzungsdauer betreut. Hier ist mit dem Facility Management ein vollkommen neuer Aufgabenbereich für Bauingenieure entstanden. Im öffentlichen Dienst stellen Bauingenieure die größte Gruppe unter den dort beschäftigten Ingenieuren dar. Sie sind bei Kommunen, Landratsämtern, Regierungspräsidien und Ministerien beschäftigt. Selbst bei Berufsfeuerwehren sind Bauingenieure in leitender Funktion tätig. Weitere Tätigkeitsfelder finden Bauingenieure in den Bauverwaltungen von großen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, als Sachverständige bei Banken, Bausparkassen und Versicherungen sowie als Fachberater für Baustoffe, Bausanierungen etc.
Der Einsatz von Generalisten hängt von der Aufgabe ab
Wenn man diese unterschiedlichen Aufgabenbereiche sieht, wird die vorstehende Feststellung, dass Bauingenieurinnen und Bauingenieure grundsätzlich Spezialisten sind, deutlich. Da man aber zwischen Beruf und Studium unterscheiden muss, stellt sich dennoch die Frage: Benötigen Ingenieurinnen oder Ingenieure für ihren Tätigkeitsbereich eine Ausbildung als Generalist oder als Spezialist? Aus der späteren Spezialisierung im Beruf folgt nicht zwangsläufig die vorangehende Spezialisierung im Studium. Dies wird an zwei Beispielen deutlich: Beschäftigt sich ein Ingenieur mit hoch komplexen Glaskonstruktionen oder mit Problemen der Befestigungstechnik, so benötigt er keine Kenntnisse aus den Bereichen Wasserbau oder Verkehr und Infrastruktur. Hier ist eine Ausbildung als Generalist nicht notwendig. Plant sie oder er hingegen eine Straße oder eine Bahnstrecke, so ist es gleichgültig, ob man Sachbearbeiter oder Führungskraft ist, es wird erwartet, dass die planenden Ingenieurinnen und Ingenieure auch über Kenntnisse im konstruktiven Ingenieurbau, in der Geotechnik und im Baumanagement verfügen. Sachbearbeiter und Führungskraft sind in diesen Bereichen – bezogen auf das gesamte Berufsfeld Bauingenieurwesen – Spezialisten, sie sind aber in der Regel hinsichtlich ihres Studiums Generalisten. Man würde wahrscheinlich erwarten, dass der Begriff Generalist in erster Linie mit Führungsaufgaben verbunden ist. Dies trifft im Bauwesen sicherlich auch zu, allerdings nur teilweise. Der Einsatz von Generalisten hängt eben nicht nur von der Position in der beruflichen Hierarchie, sondern auch sehr stark von der zu bewältigenden Aufgabe ab.
Der Weg vom Generalisten zum Spezialisten ist immer möglich
Von Bauingenieurinnen und Bauingenieuren wird erwartet, dass sie weit über das eigene Berufsfeld hinausblicken. So arbeiten Bauingenieure im Bereich des Städtebaus und der Regionalplanung mit Architekten, Landschaftsarchitekten, Volkswirten und Soziologen, im Bereich der Trinkwasseraufbereitung und der Klärtechnik mit Tragwerksplanern, Biologen, Chemikern, Chemie- und Verfahrensingenieuren eng zusammen. Von Bauingenieuren wird daher erwartet, dass sie bereit sind, beim Zusammenwirken der Spezialisten Führungsaufgaben zu übernehmen. Die Auseinandersetzung mit juristischen Fragestellungen ist ebenso Teil des Berufs wie das betriebswirtschaftliche Denken. Auch für diese berufsfeldübergreifenden Aufgaben benötigt man Generalisten.
Die Frage „Generalist oder Spezialist?" wird in erster Linie durch das Studium und nicht durch die Berufsausübung bestimmt. Wer einen grundständigen Bachelor- und konsekutiven Masterstudiengang absolvierte, wird aufgrund seiner im Studium erworbenen Methodenkompetenz immer im Sinn eines Generalisten denken, auch wenn er sich in seinem Berufsleben längst spezialisiert hat. Der Weg vom Generalisten zum Spezialisten ist immer möglich, umgekehrt eher nicht. Im zweiten Fall müsste man gewissermaßen im Beruf einen Teil der fachlichen Grundlagen des Grundfachstudiums nachholen. Erfahrungsgemäß ist es schwieriger, Grundlagenwissen nachzuholen, als sich Spezialwissen anzueignen. Daher ist es notwendig, bei der Studiengangwahl abzuwägen, welchen Weg man einschlagen möchte – Generalist oder Spezialist. Beide finden im Bauingenieurwesen ihre Berechtigung. Der größeren Flexibilität einer generalistischen Ausbildung steht die größere Berufsnähe der spezialisierten Ausbildung gegenüber. Generalistisch angelegte Studiengänge verfügen meist über einen höheren Anteil an mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen. Der kommunikative Anteil am Berufsalltag ist beim Generalisten tendenziell höher. Wer zielgerichtet in einer wohldefinierten fachlichen Umgebung arbeiten möchte, wird sich eher für die Tätigkeit als Spezialist entscheiden.
Welcher Studiengang passt zur eigenen Persönlichkeit
Wie zu Beginn ausgeführt, stellen spezialisierte Studiengänge im Bauwesen eine durch den Bologna-Prozess bedingte Entwicklung dieses Jahrtausends dar. Da diese Entwicklung parallel zu einer fast durchgängig guten Baukonjunktur mit Ingenieurmangel erfolgte bzw. erfolgt, lassen sich keine verlässlichen vergleichenden Aussagen zu den Arbeitsmarktchancen von generalistisch oder spezialisiert ausgebildeten Ingenieurinnen und Ingenieuren ableiten. In Zeiten von Fachkräftemangel reagiert der Arbeitsmarkt bekanntlich flexibler und weniger selektiv. Für Studienbewerberinnen und Studienbewerber sollten die Arbeitsmarktchancen ohnehin nicht an vorderster Stelle bei der Studiengangwahl stehen, da sie im Hinblick auf das gesamte Berufsleben nicht vorhersehbar sind. Viel wichtiger ist für künftige Studierende hingegen, sich – anders als früher – sehr intensiv mit der Frage zu beschäftigen, welcher Studiengang aus dem nun wesentlich differenzierteren Studienangebot inhaltlich und perspektivisch zu der eigenen Persönlichkeit passt. Man hat heute, wenn man im Bauwesen tätig sein möchte, nicht nur einen Studiengang zur Auswahl wie es, abgesehen von wenigen Ausnahmen, vor der Jahrtausendwende der Fall war. Für Arbeitgeber bedeutet diese Situation, dass die differenzierteren Studiengänge eine dem Stellenprofil exakter entsprechende Besetzung ermöglichen. Dies erfordert aufgrund der vertieften Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Studiengangprofil allerdings einen meist höheren Aufwand bei der Einstellung von Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern.