Mit Kopf und Körper aussteigen

Fit für Veränderungen

Deutsches Ingenieurblatt 04/2019
Management

Unsere körperliche und geistige Fitness beeinflusst unsere Kreativität. Wenn wir müde und abgespannt sind, beschreitet unser Geist keine neuen Denkwege. Das gilt es gerade in Zeiten, in denen sich die sogenannte digitale Transformation der Wirtschaft vollzieht, beim betrieblichen Gesundheitsmanagement zu bedenken.

Wer kennt die Situation nicht? Stundenlang  brüten wir im Büro über der Lösung für eine  Aufgabe. Sie fällt uns nicht ein. Kaum sind wir jedoch zuhause, haben das Radio angeschaltet und im Sessel Platz genommen, plötzlich ist sie da: die Idee. Wir müssen sie nur nochumsetzen. Oder: Seit Tagen grübeln wir über  eine neue Strategie, wie wir ein Ziel erreichen. Alles scheint in unserem Kopf festgerostet; nur unbefriedigende Lösungen fallen uns ein. Doch dann abends im Restaurant lässt ein Bekannter eine Bemerkung fallen, und plötzlich macht es „klick“. Wir haben die Lösung;  ie ist so einfach und doch so genial, dass wir uns wundern, dass wir sie nicht bereits früher fanden.

Im zweiten Fall wissen wir zumindest, was  uns auf die zündende Idee brachte: die Bemerkung des Bekannten. Im ersten Fall werden wir es vermutlich nie wissen: War es der Geruch der Bratkartoffeln aus der Küche, die  Nähe unserer Liebsten oder die Bequemlichkeit unserer Freizeithose? Beiden Beispielen ist jedoch gemeinsam: Sie beziehen sich auf Situationen, in denen wir uns entspannen und wohl in unserer Haut fühlen – Situationen also, in denen uns kein Stress, kein Zeitdruck und keine Angstzustände plagen, weshalb unsere Gedanken sich frei entfalten und neue Wege beschreiten können.

Jede schöpferische Tätigkeit  erfordert Kreativität
Womit wir bereits beim Thema Kreativität  wären. Viele Menschen glauben: Manche Personen verfügen über sie, anderen fehlt sie völlig. Diese Annahme ist falsch! Denn ihr liegt meist ein Kreativitätsverständnis zugrunde, das sich rein auf Tätigkeiten im musischkünstlerischen oder graphisch-gestalterischen Bereich bezieht. Doch Kreativität ist bei allen schöpferischen Tätigkeiten gefragt – beim Entwickeln neuer technischer Lösungen ebenso wie in der Musik, und beim Entdecken und Erschließen neuer Geschäftsfelder ebenso wie in der Malerei. Kreativität brauchen wir immer, wenn wir neue Wege beschreiten müssen, um Aufgaben zu lösen – und dies ist in einer von rascher Veränderung sowie sinkender Planbarkeit geprägten Welt und in einer Zeit, in der sich die digitale Transformation der Wirtschaft vollzieht, sehr oft der Fall.

Wie oft wir in unserem Lebens- und  Arbeitsalltag kreativ sein müssen, sei an zwei einfachen Beispielen erläutert. Angenommen, Kinder fragen uns, wie eine Glühbirne funktioniert. Dann müssen wir ihnen dies in ihrerSprache erklären. Das erfordert Kreativität,  da wir auf Begriffe wie elektrische Spannung, Volt, Ampere verzichten müssen. Ähnlich verhält es sich im beruflichen Bereich, wenn wir vor einer neuen Herausforderung stehen. Auch dann müssen wir meist vom gewohnten Vorgehen abweichen und einen neuen Lösungsweg finden. Stets, wenn wir gewohnte Denk- und Verhaltensmuster aufgeben und neue Wege beschreiten müssen, ist Kreativität gefragt.

Woraus sich unsere Kreativität  speist
Inwieweit wir dazu fähig sind, hängt von vielen Faktoren ab – unter anderem: a. Unserer Kompetenz. Wenn wir nicht wissen, wie eine Glühbirne funktioniert, können wir es auch nicht unseren Kindern erklären. Wir können ihnen höchstens eine Phantasiegeschichte erzählen. Ebenso verhält es sich im beruflichen Bereich, wenn wir beispielsweise fachfremden Personen (Mitarbeitern, Kunden, Kollegen) komplexe Zusammenhänge möglichst einfach in deren Sprache erklären müssen.

b. Unserer Erfahrung. Wenn wir Kindern schon oft schwierige Zusammenhänge erklärt  haben, wissen wir, welches Vorverständnis sie in der Regel haben, und könnendies bei unseren Erklärungsversuchen  berücksichtigen. Entsprechendes gilt für Gespräche mit Kunden/Mitarbeitern im beruflichen Alltag. Auch hier hilft uns unsereErfahrung, um ihre Sprache zu sprechen.   . Unserer körperlichen und geistigen Verfassung. Wenn wir müde und abgespannt sind, bringen wir beim Beantworten der Fragen unserer Kinder wenig Geduld und Phantasie auf. Entweder wir sagen einfach „Das verstehst du noch nicht.“ oder wir reagieren  ereizt, wenn sie unsere Erklärung nicht sogleich verstehen. Auch hier bestehen Parallelen zum Berufsalltag: Dort zeigen wir ebenfalls häufig eine Abwehrhaltung („Das  geht nicht, weil... .“), wenn wir uns schlapp, müde oder überfordert fühlen, wenn eine neue Aufgabe an uns herangetragen wird. Oder wir reagieren gestresst und gereizt. Unsere Muskulatur verspannt sich. Unser Puls und unser Blutdruck steigen sowie unsere Atemfrequenz und -tiefe. Und wir verfallen in ein lineares, starres Denken – ein Zustand, der das Finden kreativer Lösungen blockiert.

Oft merken wir dies selbst. Das lässt uns  noch weiter in Stress und Panik verfallen und unsere Unfähigkeit, das Problem zu lösen, potenziert sich. Aus diesem Teufelskreis können wir nur ausbrechen, wenn wir die Reaktionen  unseres Körpers kennen; und wenn wir mit Strategien vertraut sind, um Stress abzubauen bzw. das Entstehen von Stress zu vermeiden. Dann können wir in Situationen, die Stress erzeugen, Handlungen vornehmen, die den körperlichen Reaktionen entgegensteuern. Beispiele für eine solche Momentan-Entspannung sind:

  • betontes Ausatmen, 
  • Aufsagen eines persönlichen Leitsatzes wie „Ganz ruhig bleiben!“, 
  • Entspannen aller Muskeln, die wir gerade nicht benötigen, und versuchen, sich beim Ausatmen jeweils noch weiter zu entspannen.

Hierdurch lässt sich oft eine momentane Erleichterung erschaffen.Die einzige Ausnahme: Unser Anspannungsniveau ist schon so hoch, dass ein Abbau des angestauten Stresses mit so einfachen Techniken nicht mehr möglichist.

Die moderne Arbeitswelt  ist voller Stressoren
Die Gefahr, dass dies geschieht, ist in der modernen Gesellschaft und Arbeitswelt hoch, denn in ihr folgt auf die meisten Situationen, die in unserem Körper Stressreaktionen auslösen, keine völlige Entspannung.Der nächste Stressor (so werden die Stress  auslösenden Faktoren genannt) folgt bereits, bevor die körperlichen Reaktionen, die der vorangegangene auslöste, abgeklungen sind.

Wir kennen solche Situationen aus unserem Alltag: Gerade haben wir den Telefonhörer aufgelegt und wollen uns eine Gesprächsnotiz machen, schon klingelt das Telefon  erneut. Kaum ist das zweite Telefonat beendet, und wir überlegen, was wir nach dem ersten notieren wollten, schon öffnet sich die Tür, und ein Kollege fragt „Können Sie mal kurz  ...?“ Ein Reiz, ein Stressor, jagt den anderen.

Durch die Vielzahl kurz aufeinander folgender Reize erhöht sich der Spannungszustand unseres Körpers. Wird er nicht zwischenzeitlich gesenkt, treten auf Dauer stressbedingte körperliche Beschwerden auf. Dies können u. a. sein:

  • Rückenschmerzen, 
  • Kopfschmerzen,
  • Hautprobleme, 
  • Magen-Darmbeschwerden, 
  • Herzerkrankungen, 
  • Bluthochdruck, 
  • Potenzstörungen.


Unsere Stressresistenz und Resilienz erhöhen
Dieser Entwicklung können wir entgegensteuern. Wir lernen entweder, Stress zu bewältigen und/oder unsere Stressresistenz – auch Resilienz genannt – zu erhöhen. Wie stark undschnell wir gestresst reagieren, hängt sehr von  unserem körperlichen und geistigen Befinden ab.

Deshalb sollten wir nicht nur die Reaktionen  unseres Körpers sowie gewisse Stressmanagement- Methoden kennen, wir sollten uns auch gesund (körpergerecht) ernähren; außerdem regelmäßig und ausdauernd Sport treiben. Die Betonung liegt hierbei auf regelmäßig und ausdauernd, denn nur dann wirkt sich Sport positiv auf unseren Körper aus:

  • der Blutdruck sinkt,
  • die Herzfrequenz und der Sauerstoffbedarf nehmen ab,
  • der LDL-Cholesterinanteil am Gesamtcholesterin  inkt, der HDL-Anteil steigt,
  • der Körperfettanteil reduziert sich, die Blutfließeigenschaften und der Zuckerstoffwechsel verbessern sich.

Außerdem werden durch Ausdauersport Stresshormone abgebaut und Endorphine, körpereigene  Hormone, die entspannend wirken, aufgebaut. Deshalb verbessert Ausdauersport auch unser geistiges Befinden. Unser Kopf wird wieder frei zum Denken.

Neue Verhaltensmuster entwickeln Oft haben sich jedoch beruflich stark engagierte  Personen im Lauf ihres Lebens Verhaltensmusterangewöhnt, die ihrem körperlichen und geistigen Wohlbefinden eher schaden als nützen. Diese aufzugeben, fällt ihnen schwer  – auch weil ihnen im Alltag vieles oft wichtiger erscheint, als auf das langfristige Bewahren ihrer Gesundheit und Leistungskraft zu achten. Das haben auch viele Unternehmen erkannt. Deshalb verknüpfen sie bei ihrer betrieblichen Gesundheitsprävention oft folgende drei Elemente miteinander: › medizinischer Check-up, › Information über die gesundheitsrelevanten Themen Ernährung, Bewegung, Stress/ Entspannung, › Training eines gesundheitsfördernden Verhaltens durch Gesundheitssport und Entspannungstechniken. Sie praktizieren sozusagen nützen. Diese aufzugeben, fällt ihnen schwer  – auch weil ihnen im Alltag vieles oft wichtiger erscheint, als auf das langfristige Bewahren ihrer Gesundheit und Leistungskraft zu achten. Das haben auch viele Unternehmen erkannt. Deshalb verknüpfen sie bei ihrer betrieblichen Gesundheitsprävention oft folgende drei Elemente miteinander:

  •  medizinischer Check-up, 
  • Information über die gesundheitsrelevantenThemen Ernährung, Bewegung, Stress/  Entspannung,
  • Training eines gesundheitsfördernden Verhaltens  durch Gesundheitssport und Entspannungstechniken.

Sie praktizieren sozusagen einen „pädagogischen“ Drei-Schritt. 
Schritt 1: Ein medizinischer Check-up informiert die Teilnehmer über ihre aktuellen, individuellen Gesundheitsdaten und Risikofaktoren.

Schritt 2: Mediziner, Sport- und Ernährungswissenschaftler  erläutern ihnen, ›

  • was die Daten bedeuten,
  • wie sie aufgrund der Körperreaktionen zustande kommen und
  • wie sie durch bewusste Ernährung, Ausdauersport und Stressmanagement positiv beeinflusst werden können.

Schritt 3: Die Teilnehmer üben unter fachlicher Anleitung ein neues gesundheitsförderndes Verhalten.

Geistesblitze verdichten sich zu Erkenntnis 
Ein solches Präventionskonzept baut folglich auf denselben Elementen auf, die auch Voraussetzung für das Entfalten von Kreativität sind:
a. Eine adäquate geistige und körperliche  Verfassung (sie dokumentiert sich in dem  edizinischen Befund des Check-ups),
b. Kompetenz (sie entsteht durch das Vermitteln von Wissen über gesundheitsrelevante Themen),
c. Erfahrung (sie resultiert aus dem Trainieren/ Einüben eines gesundheitsfördernden Verhaltens).

Deshalb führt dieser Präventionsansatz bei den Teilnehmern meist zu einem Aha-Erlebnis,  das zu einer langfristigen Veränderung ihres Verhaltens führt. Dies entspricht dem Geistesblitz, den wir oft nach langem Suchen nach kreativen Lösungen plötzlich haben. Er entsteht nicht zufällig; er ist das Ergebnis von Kompetenz und Erfahrung, die sich unter stimulierenden Rahmenbedingungen zu einerneuen Erkenntnis verdichten.

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