Mit dem positiven Votum der SPD-Mitglieder Anfang März dieses Jahres für eine Große Koalition hat das monatelange Ringen um die Bildung einer neuen Bundesregierung ein Ende gefunden. Was aber bringt der Koalitionsvertrag für die Ingenieurinnen und Ingenieure? Welche Berücksichtigung haben die Impulse aus den Wahlprüfsteinen der planenden Berufe gefunden, die die BIngK gemeinsam mit weiteren Organisationen entwickelt hat?
Um es vorweg zu nehmen: Der Koalitionsvertrag enthält aus Sicht der Bundesingenieurkammer Licht und Schatten. Es ist uns gelungen, viele Standpunkte deutlich zu machen und Forderungen zu platzieren. Eines der wesentlichen Anliegen fand jedoch leider kein Gehör: das Hoffen auf eine Zusammenführung von Hochbau und Verkehrsinfrastruktur zu einem einheitlichen Ressort. Wir wünschen uns, dass dieses Manko durch eine gute ressortübergreifende Zusammenarbeit der beiden zuständigen Häuser – des Bundesinnenministeriums als das künftig für den Hochbau zuständige Haus und des Bundesverkehrsministeriums – wettgemacht werden kann. Dem gegenüber stehen jedoch viele Punkte, bei denen sich die politische Arbeit der Bundesingenieurkammer – allein oder im Verbund mit anderen – bezahlt gemacht hat:
HOAI
Im Hinblick auf das laufende Gerichtsverfahren wegen der Mindest- und der Höchstsätze vor dem EuGH, das die EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitet hat, konnten wir auch von der neuen Bundesregierung ein klares Bekenntnis für den Erhalt der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) erreichen. Die HOAI sei ein „unverzichtbares Instrument zur Sicherung von Bauqualität und Baukultur und Voraussetzung eines fairen Leistungswettbewerbs“, so der Wortlaut im Koalitionsvertrag. Zugleich wurde damit ein klares Signal in Richtung Brüssel gesendet, dass sich die EU-Kommission nur auf die Dinge beschränken soll, für die sie zuständig ist und bei denen ein gesamteuropäisches Tätigwerden notwendig und erforderlich ist.
Kammerwesen und Freiberuflichkeit
In die gleiche Richtung zielt auch das Eintreten der Koalitionspartner für den Erhalt eines starken Kammerwesens und der beruflichen Selbstverwaltung. Mit der Aussage, dass die Freien Berufe einen wichtigen Beitrag zum Allgemeinwohl leisten und sich die Regierungsparteien daher für deren Belange einsetzen und die notwendigen Voraussetzungen für die unabhängige und qualitativ wertvolle Erbringung gewährleisten wollen, wird dies zusätzlich noch unterstrichen.
Auftragswesen | Vergaberecht
CDU/CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag einen deutlichen Fokus auf den Mittelstand gelegt. Öffentliche Aufträge sind daher zwingend mittelstandsfreundlich zu gestalten. Die noch nicht fertiggestellten Öffentlich-Privaten-Partnerschaften („ÖPP“) sollen nur dann realisiert werden, wenn deren Wirtschaftlichkeit auf Basis der mit dem Bundesrechnungshof abgestimmten Regularien transparent nachgewiesen worden sei. Auch wenn Überlegungen zur anwenderorientierten Weiterentwicklung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) angemahnt werden, soll an ihr grundsätzlich festgehalten werden. Sie garantiere gute Bauleistungen und habe sich als faire und wettbewerbsneutrale Verfahrensregelung erwiesen.
Investitionshochlauf für die Verkehrsinfrastruktur
Einen Schwerpunkt legen die Regierungsparteien nach wie vor auf den Erhalt der Infrastrukturen vor dem Neu- und Ausbau. Die Mittel des sog. „Investitionshochlaufs“ sollen dabei auf dem aktuellen Niveau erhalten bleiben und damit die Finanzierung dringend erforderlicher Infrastrukturvorhaben sicherstellen. Zudem wird die sogenannte „Überjährigkeit“ der zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel gewährleistet. Mithilfe eines neuen Planungs- und Baubeschleunigungsgesetzes soll zudem künftig schneller geplant und gebaut werden können – und zwar vor allem durch frühzeitigere Bürgerbeteiligung, weniger Bürokratie und gezielteren Personaleinsatz. Zurückzuführen ist dieses Vorhaben auf das „Innovationsforum Planungsbeschleunigung“ des BMVI, in dem auch die Bundesingenieurkammer in der vergangenen Legislaturperiode mitgewirkt hat.
Wohnungsbau
Angesichts der allgemeinen Wohnraumknappheit haben sich die Koalitionspartner auf eine weitreichende Wohnraumoffensive verständigt. Erreicht werden soll, dass 1,5 Millionen Wohnungen und Eigenheime errichtet werden – und zwar sowohl frei finanziert, als auch öffentlich gefördert. Hierzu gehört auch, dass der Bestand an bezahlbarem Wohnraum gesichert werden soll. Das in der letzten Legislaturperiode eingerichtete „Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen“, an dem sich auch die Bundesingenieurkammer beteiligt hat, soll dabei fortgeführt werden. Der Bund will künftig sicherstellen, dass die Kommunen bei der Aktivierung von Bauland und der Sicherung bezahlbaren Wohnens Unterstützung bekommen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) soll ihnen zu diesen Zwecken bundeseigene Grundstücke im beschleunigten Verfahren zur Verfügung stellen können. Auch sollen unter anderem das Planungsrecht und immissionsschutzrechtliche Vorgaben besser aufeinander abgestimmt, steuerliche Anreize gesetzt und insbesondere die Eigentumsbildung für Familien durch das sogenannte „Baukindergeld“ gefördert werden.
Stadtentwicklung und Baukultur
Mit der künftigen Städtebaupolitik sollen die Städte „zukunftsfest“ gemacht werden. Dazu gehören Investitionen in eine moderne Infrastruktur, zum Beispiel in den Bereichen Mobilität, Energie und Digitalisierung, aber auch die Sicherstellung der Einbindung der Bürger in die Prozesse der Stadtentwicklung. Die Bundesstiftung Baukultur, in der sich auch die Bundesingenieurkammer engagiert, soll als wichtige Institution zur Förderung der Baukultur ausgebaut und gestärkt werden.
Stärkung ländlicher Räume
Das Programm „Innovation und Strukturwandel“ soll insbesondere strukturschwache Regionen massiv fördern. Dazu gehörten auch ein Ausbau der Innovationskompetenz an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie die Vernetzung von Innovationsakteuren vor Ort. Ziel soll es sein, die Kluft zwischen Städten und ländlichen Regionen zu verringern und so auch die Abwanderungsbewegungen einzudämmen. Dies soll durch die Erarbeitung einer Strategie zur Zukunft der bezahlbaren und nachhaltigen Mobilität geschehen, die ein ganzes Bündel an Maßnahmen umfassen wird: von der Förderung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und des Schienenverkehrs über den Ausbau der Elektromobilität bis hin zur Nutzung effizienter digitaler Verkehrssysteme.
Bildung
Um dem immer prekärer werdenden Fachkräftemangel insbesondere in den technischen Berufen entgegenzuwirken, haben sich die Koalitionäre auf eine „Offensive für Bildung, Forschung und Digitalisierung“ verständigt. Neben den notwendigen Mitteln für Schulsanierungsmaßnahmen und dem Ausbau der Bildungsinfrastruktur soll ein deutlicher Fokus auf die MINT-Bildung und die Vorbereitung auf ein Leben und Arbeiten in der digitalen Welt gelegt werden. Bund und Länder wollen im Bereich der Schul-, aber auch im Bereich der Hochschulbildung künftig stärker zusammenarbeiten. Auch die berufliche Bildung und die Weiterbildung sollen langfristig nachhaltiger gefördert werden. Speziell für die Bauwirtschaft soll eine gemeinsame Initiative angeschoben werden, um ein Maßnahmenbündel gegen den Arbeitskräftemangel zu entwickeln.
Erfreulich ist in diesem Kontext, dass die Bundesingenieurkammer bei den Koalitionsparteien erreicht hat, sich für die hohe Qualität der Ausbildung von Ingenieuren einsetzen zu wollen.
Digitalisierung
Auch wenn es künftig keinen Verantwortlichen in der Bundesregierung auf Ministerebene geben wird, setzen die Koalitionsparteien doch richtigerweise einen deutlichen Schwerpunkt auf die Digitalisierung. Allein die Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) findet zweimal im Koalitionsvertrag Erwähnung. Die Regierungsparteien gehen dabei davon aus, dass BIM Kosten reduziert und die Risiken von Terminüberschreitungen minimiert. Für neu zu planende Verkehrs- infrastrukturprojekte soll BIM daher „baldmöglichst zur Anwendung“ kommen. Der in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitete Stufenplan sah ja bereits die verpflichtende Anwendung von BIM im Verkehrsinfrastrukturbereich ab dem Jahr 2020 vor.
Für den Hochbau wurde vereinbart, dass auch hier die Digitalisierung des Planens und Bauens in der gesamten Wertschöpfungskette Bau vorangetrieben werden soll. Dazu gehöre auch die Weiterentwicklung von BIM für alle Planungs- und Baudisziplinen. Explizit Erwähnung findet an dieser Stelle, dass die Interessen „des Mittelstands und kleinerer Planungsbüros“ berücksichtigt werden müssen. Der Bundesingenieurkammer war es an dieser Stelle ein besonderes Anliegen, dass dieser Passus Eingang in den Koalitionsvertrag findet. Nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass die kleineren Planungsbüros den Anschluss verlieren. Es müssen alle mitgenommen werden und die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass durch BIM nicht ein Verdrängungswettbewerb zugunsten der großen Unternehmen stattfindet.
Auch zum Thema „digitale Infrastruktur“ äußert sich der Koalitionsvertrag, denn Digitalisierung setzt zwingend eine adäquate Infrastruktur voraus. Der Gestaltung der „Gigabit-Gesellschaft“ wird seitens der Koalitionspartner aus diesem Grund höchste Priorität eingeräumt. Dazu gehört ein flächendeckender Ausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025, d. h. Glasfaser in jeder Region und Gemeinde. Dazu soll u. a. ein Gigabit-Investitionsfonds aufgesetzt werden, der aus den Erlösen durch die Vergabe der UMTS- und 5G-Lizenzen gespeist werden soll.
Energieeffizienz
Für die Erreichung der Klimaziele und zur Beschleunigung der Energiewende wollen die Koalitionäre die Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien im Gebäudebereich weiter voranbringen. Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen, Technologieoffenheit, Vereinfachung und Freiwilligkeit finden in diesem Zusammenhang ausdrücklich Erwähnung. Auch das Ordnungsrecht soll vereinfacht und die Vorschriften der EnEV, des EnergieeinsparG und des EEWärmeG sollen in einem modernen Gebäudeenergiegesetz zusammengeführt werden. Die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung, der Ausbau der Energieberatung und die Nutzung von innovativen Entwicklungen in der Gebäudetechnik sind weitere Bausteine, die im Koalitionsvertrag genannt werden. Gleichzeitig soll mit der schon jetzt arbeitenden Baukostensenkungskommission dafür gesorgt werden, dass Bauen künftig preiswerter und nicht teurer wird.
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD lässt darüber hinaus einen deutlichen Fokus auf mehr Innovation erkennen. „Deutschland muss ein Innovationsland bleiben“, wird in diesem Kontext richtigerweise betont. Daher wolle man gemeinsam mit den Ländern und der Wirtschaft dafür Sorge tragen, dass bis 2025 mindestens 3,5 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung aufgewendet werden. Auch die Hightech-Strategie soll als Ressort- und Innovationsstrategie weiterentwickelt und auf die „großen Herausforderungen Digitalisierung, Gesundheit, Klima und Energie, Sicherheit und soziale Innovationen und die Zukunft der Arbeit fokussiert“ werden.
Fazit: Mit den genannten Punkten finden sich viele Anliegen der Planer wieder, die wir in unseren gemeinsamen Wahlprüfsteinen vor der Wahl aufgelistet haben und den Parteien zukommen ließen. Natürlich ist Papier geduldig, die kommenden Wochen und Monate werden wir daher dafür nutzen, dass aus den bis dato nur genannten Vorhaben und Plänen auch Realität wird.