Die Vivantes Service GmbH, ein Klinikbetreiber in Berlin, hat die Wärmeversorgung ihres Klinikums in Neukölln ab 2017 komplett überarbeitet. Bei der Umstellung gab es vor allem zwei große Herausforderungen: Die neuen Erzeugungsanlagen mussten bei laufendem Betrieb in das bestehende Kesselhaus integriert werden, das gleichzeitig umgebaut werden sollte. Im Zuge dessen erfolgte der Rückbau der alten Dampfversorgung und die gesamte Wärmeversorgung für die Klinik sowie die Zentralsterilisations-Anlage (ZSVA) wurde neu errichtet.
Der Umbau des Klinikums Neukölln war notwendig, da die veränderte Gesetzeslage durch die Energieeinsparverordnung EnEV die Beheizung mit Dampfkesseln nicht mehr zuließ. Zudem waren die 300 Meter langen Rücklaufrohre ins Heizhaus durch anfallendes Kondensat stark korrodiert. Die Umstellung auf eine modernere Versorgung stellte dabei kein leichtes Unterfangen dar, denn das Klinikum verteilt sich mit seinen 1.000 Belegmit Thermalöl besitzt. Dieser spezielle Wärmeträger mit einem Siedepunkt von 360 °C sollte zukünftig die für die Sterilisation notwendigen hohen Vorlauftemperaturen von 180 °C in der ZSVA sicherstellen.
Da das Ingenieur- und Beratungsunternehmen Gammel Engineering GmbH aus Abensberg in Niederbayern mit dem Einsatz von Thermalölkesseln Expertise und Referenzen hat, ging der Zuschlag nach einer öffentlichen Ausschreibung für die komplette Planungsleistung an sie. Dies umfasste die Bestandsaufnahme ebenso wie die Gesamt-, System-, Genehmigungs- und Ausführungsplanung inklusive Ausschreibung und Vergabe.
Neben der Nutzung von synthetischem Thermalöl für die ZVSA waren einige Vorgaben zu beachten, die sich aufgrund des Objekts und Machbarkeitsstudien ergaben: So musste die alte Dampfheizung vollständig auf ein neues Nahwärmesystem umgestellt werden. Dieses sollte die Versorgung mit Blockheizkraftwerken und Spitzenlastkesseln gewährleisten und so auch einen Großteil des Strombedarfs decken. Zudem war vorgesehen, die neuen Erzeugungsanlagen bei laufendem Betrieb in das bestehende Kesselhaus zu integrieren, da eine Betriebsruhe für das Klinikum ausgeschlossen war. Deshalb war der Umbau des Gebäudes unumgänglich. Nicht verändert werden konnten dagegen die dort bestehenden Medienkanäle über etwa 300 Meter Länge, in denen auch die neue Wärmeverteilung mit untergebracht werden musste.
Nutzung bestehender Gebäude
Zwischen dem Planungsstart, der Inbetriebnahme und der Übergabe der neuen Energieversorgung durch das Klinikum verging einige Zeit, was durch die ursprünglich vorgesehene Nutzung des alten Kesselhauses bedingt war. Nach der Ausschreibung 2016 wurde bei den Ingenieurleistungen vereinbarungsgemäß im Frühjahr 2017 mit den Planungen begonnen. Über das Jahr 2018 liefen die Ausschreibungen für Technik und Ausführung. Während dieser Zeit stellte sich heraus, dass einige der zu nutzenden Räume stark schadstoffbelastet waren. Besonders betroffen war dabei das alte Kesselhaus. Deshalb kam es zu einer Unterbrechung und eine zweite Entwurfsplanung war notwendig. Der tatsächliche Baubeginn fand deshalb erst im Winter 2018/2019 statt.
„Weil die komplette Erneuerung während des Betriebs stattfinden musste, wurden bis März 2020 zunächst die beiden neuen Spitzenlast-Warmwasserkessel aufgebaut, dabetten auf 20 Hektar Fläche. „Wenn man an einem solchen Standort die über viele Jahre gewachsene zentrale Energieversorgung ändert, gibt es wichtige Querverbindungen, von denen man nichts weiß“, benennt Projektleiter Thomas Winkler, Gammel-Ingenieur, eine der großen Hürden, die die Planungen von Anfang an begleiteten. Die Betreiber waren zudem explizit auf der Suche nach einem Ingenieurbüro, das auch fundierte Erfahrungen nach die alten Dampfkessel demontiert. Die Dampfversorgung musste für einige Zeit mit einer Interimslösung sichergestellt werden“, berichtet Winkler. Darauf folgte die Schadstoffsanierung mit Gebäude-Um- und -Anbau am Kesselhaus. Erst nach deren Abschluss standen die Installation von Blockheizkraftwerk und Thermalöl-Anlage auf dem Ablaufplan. Das Einbringen der neuen Anlagenteile wurde erschwert durch die Enge der Räumlichkeiten: So wies beispielsweise die Zufahrt zum Wirtschaftshof gerade mal eine Breite von 3,50 Metern auf.
Stromversorgung größtenteils durch eigene Erzeugungsanlagen gedeckt
Zukünftig deckt die Thermalöl-Anlage ganzjährig den Wärmebedarf der Sterilisationsanlagen ab. Zwei Thermalölkessel mit je 800 kW Leistung sorgen für die gesicherte Versorgung des Klinikums mit Hochtemperaturwärme bei einer Vorlauftemperatur von 180 °C. Die Kessel, jeweils mit Zweistoffbrennern für Heizöl und Erdgas ausgestattet, werden abwechselnd betrieben, um eine möglichst lange Lebensdauer zu gewährleisten. Zudem wurde ein Innio-Jenbacher-Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 2.000 Kilowatt (kW) elektrischer Leistung installiert. Dazu musste die bestehende Elektroschaltanlage komplett erneuert werden, da sie die Verbindung zum vorgelagerten Stromversorgungsnetz garantiert. Durch das erdgasversorgte BHKW kann ein erheblicher Teil der Stromversorgung im Haus gewährleistet werden, wobei eine ergänzende Versorgung „von außen“ erfolgt. Dasselbe gilt für die Wärmeversorgung auf dem weitverzweigten Klinikgelände: Wenn die Wärme aus dem BHKW mit 2.000 kW Wärmeleistung nicht zur Versorgung ausreicht, wird der zusätzliche Bedarf über die beiden Spitzenlast-Warmwasserkessel mit je 4.000 kW gedeckt. Zudem können die beiden Spitzenlastkessel neben Erdgas auch mit Heizöl betrieben werden.
Dabei war das Zusammenführen alter und das Setzen neuer Leitungen kein leichtes Unterfangen: „Es stellte sich teilweise als schwierig heraus, für die Neuverlegung der Wärmeleitungen zwischen den Gebäuden auf dem 20-Hektar-Standort passende Trassen zu finden“, so Winkler. „Es sind auch immer wieder Querverbindungen aufgetaucht, die vorab nicht bekannt waren.“ Die beteiligten Ingenieure konnten sich aufgrund ihrer Projekterfahrung aber darauf einstellen und flexibel auf die Änderungen im Bestand reagieren, ohne das Gesamtkonzept aus den Augen zu verlieren. Auch der erhöhte Klinikbetrieb während der Corona-Pandemie war eine Herausforderung und sorgte für eine weitere Verzögerung, gefährdete das Projekt aber generell nicht. Die Fertigstellung und Übergabe des neuen Energiesystems verschoben sich daher bis weit ins Jahr 2021 hinein.
Auftraggeber ziehen positive Bilanz
Trotz der Verzögerungen und Herausforderungen zeigt sich Architekt Friedrich Schubarth-Engelschall, der zuständige Projektleiter der Vivantes Service GmbH, zufrieden: „Die Arbeitsweise der Ingenieure wirkte durchweg sehr stabilisierend trotz des Ausscheidens meines Vorgängers. Üblicherweise sind solche Wechsel der Projektleitung kritische Phasen“, berichtet Schubarth-Engelschall. „Insbesondere in der Einarbeitung fachfremder Akteure waren sie sehr hilfreich und transparent. So ist es den Ingenieuren mit ständiger fachlicher Präsenz und konsequenter Kommunikation gelungen, das Projekt ohne gravierende Unterbrechungen fortzuführen und letztendlich gegen alle Hindernisse erfolgreich abzuschließen.“
Auch der stellvertretende Fachbereichsleiter Bau bei Vivantes fühlte sich als Bauherr stets sehr gut betreut. Dabei deckten die beteiligten Ingenieure auch Projektschnittstellen ab, die über das eigentlich ingenieurfachliche Agieren hinausgingen, wie z. B. die Kommunikation mit einer Vielzahl an Berliner Behörden. Im Zuge dessen wurden die komplexen Anforderungen der BImSchV (Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) stets überblickt und auch im langlaufenden Projekt erfolgreich umgesetzt. Dabei markiert der Umbau der Energieversorgung einen weiteren Schritt der Vivantes-Klinik Neukölln, ihre Energiespar- und -Effizienzaktivitäten zu erhöhen. Schon seit vielen Jahren gilt die Klinik als eines der nachhaltigsten Krankenhäuser deutschlandweit. In Berlin liegt das Klinikum Neukölln dabei ziemlich weit vorn: Es ist laut Medienberichten das einzige der Hauptstadt, das das Bund-Gütesiegel „Energie sparendes Krankenhaus“ tragen darf.