Steigende Anforderungen beim Hochwasserschutz

Wassersensibles Planen und Bauen

Deutsches Ingenieurblatt 04/2022

Für den Hochwasserschutz von Siedlungen und Gebäuden gilt in Europa die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie, die einen risikobasierten Ansatz verfolgt. Mit dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) setzen wir die Richtlinie in nationales Recht um, aber unser anvisierter Grundschutz ist heute schon zu niedrig angesetzt, da er sich nur am größten Hochwasserereignis orientiert, das in den vergangenen 100 Jahren vorgekommen ist (HQ 100). Extremereignisse wie das Hochwasser im Ahrtal können wir nicht komplett in den Griff bekommen, aber da Hochwasser häufiger und gewaltiger auftreten werden, ist ein erhöhter Schutz wünschenswert. Die in diesem Beitrag vorgestellten Maßnahmen kommen dafür in Frage.

Schutzgrad am Risiko und am potenziellen Schaden ausrichten: Ein risikobasierter Hochwasserschutz setzt Maßnahmen um, die sich am potenziellen Schaden und dem größten Hochwasserereignis der vergangenen 100 (oder besser gar 500 Jahre) orientieren. Übersteigen die Baukosten von neuen Schutzmaßnahmen den Schaden, der an den Gebäuden und der Infrastruktur entstehen kann, nehmen die Behörden in manchen Bundesländern von der Umsetzung der Maßnahmen Abstand. Ist beispielsweise in Baden-Württemberg der erwartbare Schaden kleiner als die Projektkosten eines Hochwasserschutzes, kann der Schutzgrad reduziert werden, bis die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen gegeben ist. In Bayern hingegen sollen alle Siedlungen den gleichen Schutz bekommen.

Den Schutzgrad auch an der Wirtschaftlichkeit auszurichten, ist ein durchaus zielführendes Vorgehen für die Behörden. Der Hintergrund ist die immense Höhe der möglichen Schäden: Mitte September 2021 hat die Finanzaufsicht BaFin ermittelt, dass die Versicherer und Rückversicherer mit einem Schaden von bis zu 8,2 Mrd. Euro aus dem Juli-Hochwasser rechnen.

Hochwasserschutz individuell anpassen: Von ganz Deutschland gibt es Hochwassergefahrenkarten, die die Bundesländer online zur Verfügung stellen, und die als Planungsgrundlage bei Neu- und Umbauten dienen. Doch wir alle wissen, dass mit dem Klimawandel mehr und mehr Extremwetterereignisse auf uns zu kommen, sodass die Werte der Hochwassergefahrenkarten schon jetzt vorsorglich angepasst werden sollten. Manche Länder haben das bereits im Blick, doch der Trend muss sich noch durchsetzen. Außerdem werden mit dem One-size-fits-all-Ansatz zur Risikobewertung auch die Details in den jeweiligen Regionen zu wenig berücksichtigt.

Im erst kürzlich so stark vom Hochwasser betroffenen Ahrtal zeigt die Analyse, dass selbst mit einem nach den aktuellen Hochwassergefahrenkarten recht umfänglichen Hochwasserschutz wenig erreicht worden wäre. Wir werden damit leben müssen, dass wir die sehr extremen Ereignisse nicht komplett abdecken können – aber in Deutschland sind wir selbst auf die immer häufigeren HQ-100-Ereignisse nicht vollständig vorbereitet. Die Planer müssen beim Blick auf die Gefahrenkarten verstärkt auch den Überlastfall beachten, wenn die HQ-100-Maßnahmen nicht mehr ausreichen, und sollten sich präventive Maßnahmen hier als wirtschaftlich erweisen, diese entsprechend anpassen.

So lassen sich Gefahrengebiete schützen: Für den Schutz von Städten und Gemeinden vor Hochwasser bietet sich ein dreifacher Schutz an. Jede einzelne Maßnahme sollten die Planer ausreichend berücksichtigen: Erstens sollte natürlicher Rückhalt für das Wasser genutzt werden, zweitens technische Schutzvorrichtungen gebaut und drittens Hochwasservorsorge betrieben werden. In Gemeinden ist meist mehr Raum für diese Maßnahmen verfügbar als in Städten, wo Lösungen schwieriger sind und cleverer gedacht werden müssen.

Konkret bedeuten die ersten beiden Maßnahmen: Wenn der Fluss oder Bach die großen Wassermengen nicht mehr fassen kann, werden erstens Rückhalteflächen genutzt, die gefahrlos überschwemmt werden können. Zu den natürlichen Rückhalteflächen gehören etwa Auenwälder, Muldenflächen, Moore oder landwirtschaftliche Felder, die bereits in den akkuraten Überflutungskarten der Behörden erfasst sind. Die Karten werden bundesweit regelmäßig aktualisiert. Können solche natürlichen Flächen nicht aktiviert werden, kann der Rückhalt von Wasser auch technisch geschaffen werden – etwa durch künstliche Rückhaltebecken, die oft durch Dammbau entstehen. Die technischen Schutzvorrichtungen umfassen beispielsweise auch Ufermauern. Im Grunde geht es immer um die Umsetzung von Ideen, wie man größere Wassermengen umleiten, schneller durchleiten oder rückhalten kann, um den Pegel zu steuern.

Bei der Vorsorge an den Worst Case denken: Drittens können durch eine geeignete Hochwasservorsorge und eine richtige Alarmierung Schäden vermieden und Leben gerettet werden. Es kommt dabei auf den richtigen Informationsablauf an; so sollten beispielsweise wichtige Personen nicht ohne Vertretung im Urlaub sein. In jeder Region sollten eine Notfallplanung ausgearbeitet werden, Sandsäcke bereitliegen, Dammsperren eingerichtet sein. Damit im Krisenfall alle Maßnahmen perfekt ablaufen, sind Übungen notwendig und die Bevölkerung muss aufgeklärt werden: Wie muss der oder die Einzelne sich verhalten, um sich zu schützen? In der Schweiz sind Unternehmen zum Beispiel verpflichtet, ein Hochwasser-Notfallkonzept auszuarbeiten. Dies macht Sinn, denn gerade Firmen sollten immer auch an den Worst Case denken, ganz gleich, wo sie sitzen. Erinnern wir uns: Im Ahrtal sind während der Flut Gabelstapler durch die Werksgelände geschwommen.

Den Wasserabfluss in Siedlungen gewährleisten: Für die Entwässerung von Liegenschaften ist das Kanalnetz ein wesentliches Element. Dabei nutzen wir in Deutschland selten einen Mischwasserkanal, sondern ein sogenanntes Trennsystem: Das Abwasser und Niederschlagswasser werden getrennt abgeführt. Die meisten Kanäle sind sehr alt und können maximal Wassermassen bis HQ 5 oder HQ 10 abführen – bei einem HQ-100-Ereignis hingegen ist das System überlastet. Die Gullis können das Wasser nicht schlucken.

Aber das Kanalnetz auf ein HQ-100-Ereignis auszubauen, wäre nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch schwer umsetzbar – und angesichts des oben genannten dreifachen Schutzes auch nicht die optimale Lösung. Das alte Kanalnetz muss zwar aus baulicher Sicht ohnehin in Schuss gehalten und erneuert werden, ein Ausbau wäre aber wenig zielführend und würde das Hochwasserproblem nicht wirklich lösen. Gegebenenfalls wäre es eine gute Lösung, Hochwasserkorridore auf den Straßen zu bauen, die technische Maßnahmen an Gewässern ergänzen oder gar ihre Funktion übernehmen. Die Schweiz macht es vor.

Vorbild Schweiz: Gewässer bekommen Raum: In den wenigsten Siedlungsräumen ist ein Schutz vor HQ 100 vollumfänglich vorhanden, daher sollten diese Gemeinden Hochwasserkorridore in Erwägung ziehen. Die Schweiz hat hierfür einen sogenannten Gewässerraum festgelegt: Das ist der Platz, den ein Gewässer haben sollte, um auch bei Hochwasser keine Gebäude zu gefährden und ökologisch wertvolle Gewässerfunktionen zu ermöglichen. Es kommt vor, dass in diesem Raum bereits Gebäude stehen, die einen Objektschutz benötigen. Aber im definierten Gewässerraum dürfen keine neuen Gebäude errichtet werden – auch nicht dort, wo ein Haus abgerissen wurde.

Objekte individuell vor Hochwasser schützen: Wenn ein Objekt im Gewässerraum steht und einen besonderen Hochwasserschutz benötigt, helfen Drainagen nicht. Zu den Maßnahmen, die Objekte resilienter machen, gehören beispielsweise größere Fundamente, auf denen die Mauern erhöht werden können. Doch können Gebäude nicht nur höher gebaut werden, auch wasserdichte Fenster und Türen, Schotts für Tiefgaragen und eine Nachverdichtung im Raum sorgen im Ernstfall für zusätzlichen Schutz.

Im Grunde sollten alle Objekte auch eine sogenannte „nasse Vorsorge“ haben: Was passiert beispielsweise, wenn Wasser ins Gebäude eindringt, und wie kann der Schaden minimiert werden? Es geht darum, die Heizung zu sichern, die Haustechnik nicht unbedingt im Keller zu installieren, den Strom zu sichern etc. Für diesen Schutz ist jeder Objektbesitzer selbst verantwortlich und er wird von manchen Versicherungen auch gefordert.

Besonderer Schutz von Sonderrisiko-Objekten: Die Kommunen und ihre Stadtwerke betreiben sogenannte Sonderrisiko-Objekte, die auch bei Naturgefahren wie Hochwasser reibungslos funktionieren müssen. Insbesondere die Strom- oder Wasserversorgung sollte niemals ausfallen, denn die Folgeschäden sind hoch – gerade für die lokale Wirtschaft.

Selbst bei Sonderrisiko-Objekten liegt die Hochwasserschutz-Vorgabe des Umweltbundesamts bei gerade einmal HQ 100. In der offiziellen Störfallverordnung sind die Risiken rund um Hochwasser nicht geregelt. Am Rhein in Baden-Württemberg gilt die Schutzklasse 4 (sehr hoch) für Objekte mit Sonderrisiken wie konventionelle Kraftwerke oder Raffinerien mit überregionaler Bedeutung. Der Hochwasserschutz wird bei diesen Einrichtungen als Einzelfall bewertet und eingerichtet. Neuerdings auch mit Klimafaktor.

Das Risikomanagement bei Hochwasser muss im Grunde jede Kommune selbst betreiben und es gibt oft Nachlässigkeiten wegen mangelnder Regulierung. Es besteht beispielsweise keine Verpflichtung für die Kommunen, in die Hochwasserkarten zu schauen, bevor ein neues Bauvorhaben startet. Bauingenieure sollten hier deshalb wachsam sein und bei Bedarf auf den Hochwasserschutz aufmerksam machen.

Fazit: Hochwasserschutz wird uns weiter begleiten
Jeder Bauingenieur sollte in seinem Studium von den diversen Maßnahmen für den Hochwasserschutz gehört haben. Eine umfassende, zielführende Hochwasservorsorge ist zwar aufwendig, im Katastrophenfall sind gute Schutzmaßnahmen jedoch unerlässlich. Gerade bei Sonderrisiko-Objekten sollten die Bauingenieure aus den Ämtern der Bundesländer daher etwas genauer hinschauen und den Hochwasserschutz erhöhen, um Folgeschäden zu minimieren.

Insgesamt kann man sagen: Wir haben in Deutschland immer noch nicht das notwendige Schutzlevel erreicht – ob bei Städten, Gemeinden oder Objekten. Wir kennen die Schwachstellen, denn die Hochwassergefahrenkarten werden von den Behörden laufend nachgeführt. Das ist eine wichtige Basis für die Umsetzung. Doch nun gilt es, die notwendigen Maßnahmen auch so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen – denn das nächste Hochwasser wartet bekanntlich nicht.

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