Hamburg, Bremen und Berlin haben als Stadtstaaten zukünftig besondere Aufgaben zu bewältigen. Bezahlbarkeit des Wohnraums, Brückenbau, Wasser, Natur und Immissionen sind nur einige Schlagworte, die ständig diskutiert werden. Als Kernaufgabe lässt sich festhalten, dass Ingenieure, Stadtplaner und viele weitere Gewerke des Bauwesens in den kommenden 20 Jahren den Stadtumbau organisieren müssen. Eine interdisziplinäre Arbeitsweise erleichtert nicht nur den kollegialen Umgang miteinander, sondern könnte auch als Mittel für mehr städtische Aufenthaltsqualität fungieren.
Das innerstädtische Zusammenleben kristallisiert sich mehr und mehr als eine große Zukunftsaufgabe heraus. Die Planung auf der grünen Wiese wird aktuell durch zahlreiche komplexe Flächen abgelöst, die nicht mehr ohne weiteres beherrschbar sind. Neben Bauplanungs- und Bauordnungsrecht greifen die vielen Aspekte aus Planung, Bau und Betrieb ineinander und müssen partiell betrachtet werden. Das Grundgesetz der Stadt ist u. a. an der Gestaltung des öffentlichen Raums abzulesen. Das Hamburger Prinzip „mehr Stadt in der Stadt“ könnte durch die Steigerung zwischenmenschlicher Kommunikationen ergänzt werden und folglich für mehr Aufenthaltsqualität sorgen. Doch wie lassen sich gelungene Kommunikationen im öffentlichen Raum feststellen?
K – wie Kommunikationsfaktor
Kommunikation lässt sich speziell in Straßen und auf Plätzen messen. Mittels 100 Indikatoren aus 21 interdisziplinären Themengebieten kann mithilfe nur einer Zahl eine quantitative Aussage getroffen werden. In einer Punkteskala von Null bis Fünf können Straßenzüge und Platzflächen miteinander verglichen werden. Dieses Bewertungskonzept fand bereits in einigen Bachelorarbeiten sowie in einer Masterarbeit Anwendung und wurde zusätzlich Bestandteil einer Studentenexkursion in Hamburg. Aktuell befindet sich das Verfahren n einer erweiterten Testphase und soll zukünftig eine Datengrundlage bereitstellen. Als Untersuchungsraum dient die Bundeshaupt stadt Berlin. Kommunikationsstrategien sind heutzutage ein probates Mittel zur Bewältigung schwerer Aufgaben. Der öffentliche Raum wurde über Jahre hinweg untersucht und mit Theorien konnotiert. Die Kommunikationstheorie, welche unmittelbar beim Menschen ansetzt, ist in Bezug auf die Bewertungvon Straßen und Plätzen neu. Das Planen aus der Fußgängerperspektive ist für künftige städtebauliche Projekte ein wesentlicher Bestandteil zur Steuerung des Gelingens von Kommunikation im öffentlichen Raum.
Gespeicherte Empfindungen
Planerinnen und Planer tragen bei der umgebungsorientierten Gestaltung öffentlicher Räume große Verantwortung, da Kommunikationen unter anderem durch bauliche Objekte beeinflusst werden. Über Wahrnehmungen analysiert der Mensch das Umfeld und speichert die Empfindungen ab. Diese werden kontinuierlich mit bereits erlebten Situationen bgeglichen und vor Ort als gut oder schlecht bewertet. Hinzu lassen sich direkte Kommunikationen on Mensch zu Mensch ergänzen, die sich aus Wahrnehmungen der Mimik und Gestik zusammensetzen. Folglich ist es möglich,den Raum mit seinen baulichen Anlagen sowie menschlichen Individuen zu verstehen. Es entsteht ein komplexes soziales System, das über äußere Einflüsse gespeist wird. Die ses reproduziert sich solange von selbst, wie es Wahrnehmungen von Menschen zulassen. Infrastrukturplaner des Bauwesens sind dazu angehalten, Objekte im öffentlichen Raum so zu gestalten, dass sie zu positiven, gelungenen Kommunikationen anregen und folglich stabile, soziale Systeme entstehen lassen.
Praktisches Werkzeug
Das Indikatorenset eignet sich als handliches Werkzeug, um innerhalb des öffentlichen Raums Defizite festzustellen. Im direkten Ortskontakt werden die 100 Indikatoren bewertet und beeinflussen in der Aufsummierung der Punktwerte den Kommunikationsfaktor, kurz K-Faktor. Indikatoren mit unzureichender Bewertung werden in der Bewertungsmatrix sichtbar und erfordern geeignete Umgestaltungsmaßnahmen. Der Fokus liegt stets in der Erfüllung von zwischenmenschlichen Kommunikationen, die überall im Straßenraum auftreten. Am Beispiel des Bewertungsblocks „Begehbarkeit des Straßenraums“ wird die Verknüpfung zur Kommunikation deutlich. Dieser Themenblock beinhaltet sechs Indikatoren: Straßenkrümmung, Querungsanlagen, Oberflächengestaltung, Gehkomfort, städtebauliche Proportionen und Seitenraumeinteilung. Eine Krümmung des Straßenraums ermuntert flanierende Menschen zur fortschreitenden Bewegung und verhindert einen monotonen Eindruck. Ausreichende Querungsanlagen fördern die Kommunikationsaktivität, da ein sicherer Straßenübertritt besonders für ältere Menschen von großer Bedeutung ist und demzufolge die Verkehrsanlage auch angenommen wird. Eine ansprechende Oberflächengestaltung verbleibt im Gedächtnis, sodass diese Wahrnehmung mit anderen Straßenoberflächen verglichen werden kann. Ein anmutiges Kleinsteinmosaik mit Farbe und Struktur wirkt prägender als eine graue Betonoberfläche. Ein angemessener Gehkomfort ohne Wurzeleinwüchse, Stolperstellen oder Schlaglöcher ist ein weiteres Element, was für gelungene Kommunikationen sorgt. Die Menschen werden eine gut ausgebaute Fußverkehrsanlage eher annehmen als eine, die mit Unsicherheiten behaftet ist. Die städtebaulichen Proportionen, sprich das Breitenverhältnis von Asphaltband für Fahrzeuge und Fußverkehrsanlage ist ebenso wichtig für die Aufenthaltsqualität. Sofern Fußgänger den Eindruck haben, sie seien im Verkehr benachteiligt, könnte der Ort im schlimmsten Fall gemieden werden. Selbst innerhalb des Seitenraums sind die Ansprüche des Fußgängers groß. Das Vorhandensein eines zum fließenden Verkehr abgrenzenden Unterstreifens s owie eine ausreichend breite Gehbahn sind essenzielle Bausteine für gelungene Kommunikationen. Es folgen weitere Themenkomplexe, die analog zum Beispiel der „Begehbarkeit“ bewertet werden sollten. Zu nennen sind u. a. Beleuchtung, Sitzgelegenheiten, Lärm sowie Sicherheit und Sauberkeit, aber auch Begrünung, Barrierefreiheit und Fassadengestaltung. Sofern alle 21 Themenkomplexe beurteilt wurden, ergibt sich eine Gesamtpunktzahl, die sich in den K-Faktor übersetzen lässt. Ein K-Faktor von fünf deutet auf sehr gute Kommunikation, bei 2,5 hingegen ist das Ergebnis schon ausreichend und bewegt sich in die negative Richtung.
Anwendbarkeit im Entscheidungsprozess Das quantitative Verfahren bringt den Vorteil mit, dass es sich als gutachterliche Ergänzung eignet. Argumentativ können in Stellungnahmen Schwerpunkte sofort aufgezeigt und begründet werden. Eine lange Textfassung zumLesen mehrerer Seiten ist nicht notwendig, da ein Blick in die Punktetabelle genügt. Alle 100 Indikatoren wurden mittels intensiver Literaturrecherche erarbeitet und sind die Aspekte, welche tagtäglich diskutiert werden. Der Kommunikationsfaktor gilt als gebündelte Checkliste, der die wichtigsten Schwerpunkte der kommunikativen Straßenraumgestaltung festhält. Denkbar ist es auch, mit Hilfe von Bürgerbeteiligungen die örtlichen Anwohner in den Bewertungsprozess der Straße zu integrieren. Die Excel-Lösung lässt sich gut bedienen, Applikationen für Smartphones würden noch mehr Menschen erreichen. Der Aufbau des Indikatorensets hat bereits jetzt den Anspruch, subjektive Strömungen zu minimieren. Abseits vom schriftlichen Textgutachten existiert am Ende nur eine Zahl, die sich aus vielen Einzelpunkten zusammensetzt. Diese Punktevergabe ist intersubjektiv nachvollziehbar und kann durch Vergleichsbewertungen anderer Personen validiert werden. Zusätzlich wird für jeden Indikatoreine Kurzbeschreibung vorgegeben, sodass sich die Bewertungen bereits bei der Punktevergabe in einem Rahmen bewegen. Ein gutes Beispiel wäre hier der Erwartungshorizont bei einer schriftlichen Klausur. In der Aufsummierung aller Noten ergibt sich eine Zeugnisnote pro Fach, sodass im Mittelwert über alle Fächer hinweg ein Numerus clausus errechnet werden ann. Der K-Faktor baut auf dem gleichen Prinzip auf und könnte in Verwaltungen, Planungsbüros nd bei Entscheidungsträgern Anwendung finden.