Vor über 42 Jahren lernten Dr. Werner Meihorst und ich uns kennen. Ich war damals ein junger Beratender Ingenieur, er arbeitete als Prüfingenieur und Baugrundsachverständiger. Häufig sprachen wir über den Berufsstand – er war zu dem Zeitpunkt unseres Kennenlernens bereits intensiv mit der Vorbereitung der Ingenieurkammergründung in Niedersachsen beschäftigt. Insbesondere über die Bedeutung der Freiberuflichkeit und die hohe Verantwortung von Ingenieuren waren wir uns immer einig. Denn die Arbeit von Freiberuflern, als akademisch ausgebildete Spezialisten, ist von Laien nicht kontrollier- und auch nicht einschätzbar. Das ist einer der Gründe, warum sie der Gesellschaft gegenüber eine besondere Verantwortung tragen. Im besten Fall arbeiten Freiberufler, so die Essenz unserer Gespräche, in erster Linie qualitätsorientiert und weniger aus Gewinnstreben.
Eine angemessene Honorierung ihrer Leistung habe dieser besonderen Verantwortung zu entsprechen, was ja zumeist auf Basis einer Honorarordnung umgesetzt wird. Es war Werner Meihorst und mir immer ein Anliegen, das, was für viele Freiberufler (z. B. Mediziner) selbstverständlich ist, auch für Ingenieure zu erreichen. Über die Zustimmung der Beratenden Ingenieure zur Gründung einer Kammer waren wir uns in dieser bewegten Zeit sicher, auch bei allen selbständigen und in Ingenieurbüros beschäftigten Ingenieuren gab es eine große Offenheit zur Idee einer Kammer. Lediglich bei den Beschäftigten in der Industrie (z. B. Siemens, VW, etc.) stieß der Gedanke einer Kammermitgliedschaft auf weniger Verständnis. Trotz ihrer großen Verantwortung für alle technischen Entwicklungen war es für die in der Industrie tätigen Ingenieure nicht naheliegend, einer Kammer beizutreten. Obwohl im politischen Umfeld zur Pflichtverkammerung als Qualitätssicherung für Freiberufler Konsens herrschte, war diese Struktur für Ingenieure nicht selbstverständlich.
Werner Meihorst erreichte dann politisch zumindest eine freiwillige Verkammerung von Ingenieuren, für Freiberufler ein Sonderfall. Lediglich für die Beratenden Ingenieure wurde pflichtgemäß eine Kammermitgliedschaft eingeführt. Im Gründungsjahr der Ingenieurkammer Niedersachsen 1990 wurde Dr. Meihorst dann auch ihr erster Präsident. Kurz zuvor hatte er bereits den Zusammenschluss einiger Länderingenieurkammern zur Bundesingenieurkammer erreicht. Auch in der BIngK wurde er der erste Präsident und blieb bis 1996 im Amt.
Für alle überraschend teilte er uns 1996 seinen Rückzug aus den Ämtern mit und schlug Prof. Victor Rizkallah als seinen Nachfolger in Niedersachsen vor, dem ich 2004 ins Amt folgte. In diesen acht Jahren nahm Dr. Meihorst noch oft an zahlreichen Vertreterversammlungen und Vorstandssitzungen teil und hielt auch immer wieder philosophische Vorträge. Wir beide blieben stets in engem Kontakt und auch nach meiner Wahl zum Präsidenten 2004 in Niedersachsen und 2012 in der BIngK pflegten wir einen ständigen Austausch. Die Themen, die uns bewegten, waren seit der Zeit unseres Kennenlernens gleichgeblieben. Immer stand die große Verantwortung der Ingenieure und die Wertschätzung für den Berufsstand im Mittelpunkt seines und meines Wirkens.
Werner Meihorst zeigte sich mit der Entwicklung der Kammern auf Landes- und Bundesebene stets sehr zufrieden und bestärkte uns in vielem. Erst nach dem Tod seiner Gattin und vielleicht auch bedingt durch die Coronapandemie riss unser Kontakt ein wenig ab und er beschäftigte sich mehr mit allgemeinen und religionsphilosophischen Themen. Er und seine stets konstruktive Meinung wird uns sehr fehlen.
Ich erinnere mich gut an unsere erste Begegnung im Jahr 1958 in Hannover, am damaligen Lehrstuhl für Bodenmechanik und Energiewasserbau an der Technischen Hochschule Hannover. Im Sommer des Jahres, nach Abschluss meines Studiums in Kairo/Ägypten, kam ich nach Deutschland mit dem Ziel, hier zu promovieren. Die Suche nach einer Doktorandenstelle erwies sich als problematisch. An allen Lehrstühlen betrugen die Wartezeiten für Ausländer, die nicht Stipendiaten der Regierung waren, mehrere Jahre. Ich versuchte es unter anderem an der TH Hannover und erhielt als Gesprächstermin den 3.8.1958. Es war Werner Meihorst, damals Doktorand, der mich freundlich bei diesem Termin empfing, über die Lage und Chancen am Lehrstuhl informierte und berichtete, dass auch hier lange Wartezeiten unvermeidbar wären.
Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich in den folgenden sechs Jahrzehnten zwischen uns Freundschaft, Kollegialität und Verbundenheit. Wir beide sind Jahrgang 1933 und Bauingenieure mit der Vertiefung Geotechnik. Wir promovierten am selben Lehrstuhl und beim selben Doktorvater und waren danach als Beratende Ingenieure tätig. Nach der Promotion trennten sich unsere Berufswege: Meihorst wurde Partner in einem Ingenieurbüro, ich strebte den Weg der Habilitation mit dem Ziel an, Hochschullehrer zu werden. So begann die für mich längste Freundschaft, die fast 64 Jahre andauerte. Es liegt nahe, dass die schmerzliche Nachricht vom Tode Werner Meihorsts zahlreiche Erinnerungen und Gedanken nicht nur bei mir hervorruft, denn nahezu alle Kolleginnen, Kollegen, Freunde und Mitkämpfer haben Werner Meihorst als eine außergewöhnliche Persönlichkeit erleben dürfen. Er verstand es – mit Energie und Geduld – anderen Personen zuzuhören, sie dann aber auch von seinen eigenen Ideen und Visionen überzeugen zu können. Seine Weitsicht und seine Weltsicht öffneten ihm Türen und Tore. Faszinierend war es, wie er über viele Jahre Gespräche mit Politikern, Medien und Verbänden plante und organisierte, um sein Hauptziel, die Gründung der „Ingenieurkammer Niedersachsen“, zu erreichen. Er musste damals manche Hindernisse beseitigen und viel Zeit aufwenden, um mit der ihm eigenen Weitsicht den steinigen Weg zu ebnen.
Werner Meihorst war stets ein Freund und verlässlicher Partner, der es auch mit Menschen zu tun hatte, die ihm nicht immer mit gleicher Geduld und gleichem Verständnis begegneten – und manchmal auch gegebene Versprechen nicht halten konnten.
Wir beide mussten erleben, dass Erfahrungen Menschen und Maßstäbe verändern können, dass man aber gleichwohl das Ziel nicht aus den Augen verlieren darf. Ich erinnere mich daran, dass er überglücklich war, als er endlich vom Wirtschaftsministerium die amtliche Genehmigung zur Gründung der „Ingenieurkammer Niedersachsen“ erhielt, obwohl das Ministerium, als Aufsichtsbehörde, eine „Pflichtmitgliedschaft“ ablehnte. Der Erfolg gab ihm Recht, als sich schnell nach der Gründung die ersten 1.500 Personen als Kammermitglieder angemeldet hatten.
Im Sommer 1996 rief mich Werner Meihorst an und teilte mir mit, dass man mich für seine Nachfolge als Präsident der Ingenieurkammer nominieren möchte. Er selbst strebte als Gründungspräsident keine weitere Amtszeit an.
Bis zur Übernahme meines Amts und auch danach fanden oft persönliche, vertrauliche Sitzungen mit Werner Meihorst statt, um über unsere Vorstellungen zum Ausbau der Mitgliedschaft in der Kammer zu beraten. Die Zahl der „freiwilligen Kammermitglieder“ sollte intensiviert werden und wir sprachen über die großen Ressourcen an Tausenden Studierenden an den Niedersächsischen Hochschulen zur Gewinnung junger Absolventinnen und Absolventen als „freiwillige Mitglieder“.
Nach verschiedenen Besuchen von niedersächsischen Hochschulen wurden dort Ziele und Bedeutung des Ingenieurberufes erläutert und man warb für eine freiwillige Mitgliedschaft in der noch jungen Kammer. Der Erfolg zeigte sich in der Verdoppelung der Zahl der Kammermitglieder innerhalb weniger Jahre – mit steigender Tendenz. Werner Meihorst unterstützte mich bei diesem Vorhaben uneigennützig und selbstverständlich: genauso wie bei der Umsetzung gemeinsamer Ideen, wie zum Beispiel Innovationen und Anpassungen in der Kammerarbeit, Ausbau der Vereidigung und der Bestellung von Sachverständigen, Einführung des Sachverständigentags gemeinsam mit Ingenieuren und Juristen, Einführung des Neujahrsempfangs der Kammer, Gründung der Stiftung der Ingenieurkammer Niedersachsen und bei der Neuausrichtung der jungen Ingenieurakademie. Auch die Kooperation mit den Hochschulen in Niedersachsen, mit der Bauindustrie, mit der Wirtschaft, mit anderen Kammern und mit der Versicherungswirtschaft wurde gemeinsam ausgebaut.
Werner Meihorst hat sich mit seinem Wirken für die „Ingenieurkammer Niedersachsen“ bleibende Verdienste erworben. Wir werden die Erinnerung an ihn stets mit Würde und Dankbarkeit im Herzen tragen und uns bemühen, die Interessen der Ingenieure und des Ingenieurberufs in der Gesellschaft in seinem Sinne auch weiterhin erfolgreich zu vertreten.