Im Hamburger Stadtteil Iserbrook zeigt ein in die Jahre gekommener Wohnbau aus den 1960er-Jahren, was sich mit Aufstockung und Sanierung machen lässt: Zwei neue Geschosse in Holzbauweise krönen den Bestandsbau und verwandeln ihn in ein modernes, siebengeschossiges Wohnhaus.
Hamburg hat eine neue alte Wohnanlage: im Wientapperweg 18 und 20 im Stadtteil Iserbrook, einer beliebten und sehr grünen Wohngegend. Der Stadtteil zählt zu den sogenannten Elbvororten und ist auch wegen seiner guten Infrastruktur sehr gefragt. Denn neben den Einrichtungen des täglichen Bedarfs befinden sich Ärzte, Apotheken, Kindergärten und Schulen in unmittelbarer Nähe. Selbst das Elbe-Einkaufszentrum (EEZ) erreicht man in fünf Busminutenund mit der S-Bahn ist man in wenigen Minuten im Stadtzentrum.
Die Deutsche Invest Immobilien GmbH, kurz d.i.i., hat in Iserbrook zwei fünfgeschossige Wohngebäude aus dem Jahr 1964 gekauft. Sie sollten saniert und aufgestockt und damit den jeweils 25 Bestandswohnungen acht neue hinzugefügt werden.
Bei den zwei Wohnblöcken handelte es sich um unterkellerte Gebäude in Massivbauweise mit einer Flachdachkonstruktion. Sie sollten jeweils mit zwei Geschossen inHolzbauweise aufgestockt werden und mit einem neuen, zentralen Aufzug zu erschließen sein. Mit der Aufstockung und der Bestandssanierung erhielten nicht nur die neuen Wohnungen großzügige Balkone, sondern auch alle alten.Daraus ergibt sich ein einheitliches Gesamtbild.
Machbarkeitsstudie klärte die Vorgehensweise
Den Entwurf für die Aufstockungen lieferte das Architekturbüro Mann Schneberger aus Mainz. Diesen galt es im Hinblick auf die technische Machbarkeit der Sanierung ganz allgemein und im Anschluss daran speziell auf die technischeMachbarkeit in Kombination mit einer zweigeschossigen Aufstockung in Holzbauweise zu überprüfen.
Dass die Aufstockung als Holzbau ausgeführt werden sollte, war von Anfang an klar. Der Architekt hatte schon im Vorfeld geklärt, dass eine Aufstockung aufgrund des Gewichts lediglich in Holzbauweise möglich sei, da dieFundamente keine Lastreserven mehr hatten. Mit mehr Gewicht wäre eine Bodenverbesserung oder eine Unterfangung beziehungsweise eine Vergrößerung der Fundamente erforderlich geworden, was den finanziellen Rahmen bei Weitem gesprengt hätte. Eine Option mit einem anderen Material hat man daher nicht in Betracht gezogen.
Die Mainzer Architekten kannten die holzbauerfahrenen Ingenieure von Pirmin Jung aus Sinzig und holten sie zur Unterstützung für alle Holzbaufragen mit ins Boot.
Alt und Neu auf einen gemeinsamen Nenner bringen
Die beiden rund 16 m hohen Bestandsbauten bestehen aus zwei etwa 23,50 m langen und zwischen 8,10 m und 9,60 m tiefen Gebäudehälften, von denen eine Hälfte leicht aus der Horizontalen gedreht ist. Ein zentraler Zwischenbau mit Treppenhaus und Aufzug verbindet sie, sodass der Gesamteindruck eines quadratischen Gebäudes mit Vor- und Rücksprüngen entsteht.
Für die Rekonstruktion der Bestandsgebäude und der darin verbauten Materialien lieferte das Hamburger Stadtarchiv umfangreiche Unterlagen und trug maßgebend zur schnellen Überprüfung der Machbarkeit bei. So sind die beiden Wohnblöcke im Wesentlichen aus Ziegelstein-Mauerwerk und 12 cm dicken Stahlbeton- Geschossdecken errichtet.
Die alte Statik gab außerdem Auskunft darüber, wo die lastabtragenden Wände und Bauteile des Bestands zu finden waren. Das ermöglichte den Ingenieuren festzustellen, dass einer Aufstockung nichts im Wege stand. Sie entwickelten das neue Tragwerk auf Basis des vom Architekten vorgegebenen Grundrisses so, dass die Lasten mit einer wirtschaftlichen Konstruktion in den Bestand abgetragen werden konnten.
Hier warf insbesondere der Brandschutz eine der wesentlichen Fragen auf. Denn durch die Aufstockung rutschen die Wohnblöcke von der Gebäudeklasse 4 GK 4) in die Gebäudeklasse 5 (GK 5). Damit erhöhte sichauch die Anforderung an die Feuerwiderstandsklasse auf F90. Das hatte unter anderem zur Folge, dass zur Nachweissicherung die Bewehrungsüberdeckungen der Bestandsdecken bzw. Dachdecke überprüft werden mussten. Doch zu guter Letzt zeigte sich, dass sie F90 erfüllen.
Konzept aus Holz-Beton-Verbund-Decken und Holztafelbau-Wänden
Der zurückspringende Dachaufsatz der bestehendenWohnblöcke wurde bis zur Decke über dem fünften Geschoss abgetragen. Das Grundkonzept der Aufstockung sah Holz-Beton-Verbund(HBV)-Decken und Außenwände in Holztafelbauweise vor. Für die Holzkomponenteder Verbunddecken hat man Brettschicht(BS-)Holz gewählt. Die Wohnungstrennwände sollten ebenfalls in Holztafelbauweise ausgeführt werden.
Aus diesem Grundkonzept hat sich dann die aufwändige Detaillierung ergeben; aufwändig vor allem in Bezug auf die Ausführung der Anschlüsse zur Einleitung der Vertikallastenbzw. der Aussteifungs- und Zuglasten aus der Aufstockung in den Bestandsbau.
Ringanker und Aufkantungen zur Lastableitung von Neu in Alt
Als Basis für die Aufstockung erhielt die Bestandsdachdecke rundum über den Außenwänden eine Betonaufkantung bzw. einen Ringanker – sowie Aufkantungen in den Achsen der tragenden Wände darunter. Ringanker und Aufkantungen dienen der ersten Decke der Aufstockung ls Auflagerbalken.
Diese Decke setzt sich aus 18 cm dicken BS-Holz-Elementen zusammen, die zu einer Scheibe verbunden sind.
Dazu wurden die Elemente an den Längsseiten ausgefälzt und über eingelegte OSB-Bretter miteinander verschraubt, quer dazu kamen Zugeisen zum Einsatz. Die Ränder der BS-Holz-Decke wurden mit dem Ringanker verdübelt, sodass Lasten rundum in die Außenwändedes Bestands abgeleitet werden können.
Die ursprüngliche Stahlbeton-Dachdecke trägt selbst keine Lasten, sie wird lediglich überbaut, sodass ein Hohlraum zwischen alter Dachdecke und neuer Geschossdecke entsteht. Dieser Hohlraum ließsich optimal nutzen, um die von oben kommenden Leitungen verziehen, in den Bestand weiterführenund anschließen zu können.
Analog zur ersten Decke wurde auch die Decke zwischen erstem und zweitem Aufstockungsgeschoss (d = 12 cm) sowie die Dachdecke (d = 18 cm) aus BSHolz- lementen ausgeführt. Die beiden Geschossdecken erhielten vor Ort 8 cm bzw. 12 cm Aufbeton mit einer Lage Zugbewehrung. Zur Herstellung des schubfestenund tragfähigen Verbunds zwischen Holz und Beton wurden 16 cm breite und 2 cm tiefe Kerben in die BS-Holz-Scheiben eingefräst und Schrauben senkrechteingedreht. So können die Vorteile beider Baustoffe kombiniert werden: Holz übernimmt die Zug-,Beton die Druckkräfte.
Verbunddecken liefern guten Brand- und Schallschutz
Auf die Betonschichten der Verbunddecken folgen jeweils eine 8 cm dicke Ausgleichsschicht, 3 cm Trittschalldämmung, 7 cm Zement-Heizestrich und 14 mm aufgeklebtes Parkett. Zusammen mit der abgehängten Decke ergibt sich ein Deckenpaket von knapp 51 cm.
Über die ausgeprägte Scheibenwirkung der Geschossdecken hinaus liefern die Verbunddecken auch einen sehrguten Brandschutz: Einerseits weisen sie ein den Betondecken vergleichbares Brandverhalten auf, andererseits kann sich bei dieser Deckenvariante kein Brand durch eventuelle Hohlräume in der Konstruktion ausbreiten. Gleichzeitig bietet der Holz-Beton-Verbund einen sehr guten Schallschutz: Die Decke über dem ersten Aufstockungsgeschosserreicht einen Trittschallpegel L’n,w unter 46 dB (je kleiner dieser Wert, desto besser ist der Trittschallschutz) und ein Schalldämm-Maß R‘w von über 55 dB (je höher der Wert, desto besser ist die Luftschalldämmung).
Aussteifungskonzept nutzt Treppenhaus zur Lastweiterleitung
Zur Verlängerung des Bestandstreppenhauses in die Aufstockung hinein wurde es mit 24 cm breiten Kalksandsteinen aufgemauert – die Materialwahl war brandschutzbedingt. Das verlängerte Treppenhaus erhielt schließlich noch einen Ringanker, sodass es auch zur Aussteifung herangezogen werden konnte.
In Kombination mit dem aufgemauerten Treppenhaus sorgen die zwei HBV-Decken bzw. die BS-Holz-Dachdecke für die horizontale Aussteifung der Aufstockung.Die vertikale Aussteifung erfolgt überwiegend über den Treppenhauskern und die Scheibenwirkung einiger weniger Holztafelbau-Außenwände.
Darüber hinaus gibt es zur Lastableitung im Rauminneren Stahlunterzüge auf Stahlstützen; die Unterzüge dienen den Deckenelementen als Auflager. Über dieStützen können die Vertikallasten dorthin weitergeleitet werden, wo sie der Bestand darunter aufnehmen kann. Die Stützen sind elegant in der Ebene der nichttragenden Trennwände platziert und damit später unsichtbar darin versteckt.
Solche Unterzug-Stützen-Systeme wurden zum Teil auch in die Außenwände integriert – ebenfalls als Auflager für die Deckenelemente – und tragen zur Aussteifung bei. Auf diese Weise kann das Tragsystem Horizontallasten, wie etwa Wind, über die Deckenscheiben in die aussteifenden Wände ein- und dann über den Bestandsbau ableiten.
Insgesamt war es keine einfache Aufgabe, die Lasten zu verteilen und sie in einem Ziegelstein-Mauerwerk zu verankern. Dasselbe gilt fürs Verankern von Gegengewichten für die Zuglasten. Das stellte die Tragwerksplaner statisch-konstruktiv vor größere Herausforderungen,für die sie aber optimale Lösungen gefunden haben.
Außenwand-Elemente mit L-förmigen FSH-Unterzügen
Auch das Anschluss-Detail der Holztafelbau-Außenwände an die HBV-Decken galt es besonders sorgfältig zu entwickeln. Die Lösung bestand darin, die Wandkronen mit einem speziellen Unterzug zu versehen: Ein L-förmiger Kerto-Furnierschichtholz(FSH)-Unterzug dient an dieser Stelle gleichzeitig als Auflagerkonsole für die Geschossdecke und als Zapfen zur Führung für den Anschlussder Wand darüber, die dadurch entsprechend passgenau platziert und justiert werden konnte.
Die Geschosshöhe der Aufstockungsgeschosse beträgt (lichtes Rohbaumaß) 2,715 m. Entsprechend geschosshoch bzw. etwas höher durch die Wandkronen-Unterzügewurden die 25,1 cm dicken Außenwände vorgefertigt. Dabei wurde das 20 cm dicke Ständerwerk mit Mineralfaserdämmung gefüllt. Es erhielt raumseitig einedoppelte Beplankung aus 15 mm und 18 mm dicken Gipsfaserplatten; dabei ist die 15-mm-Platte als Dampfbremse ausgeführt. Auf der Außenseite folgt eine 18 mm dicke Platte und ein 7 cm dickes Wärmedämmverbundsystem (WDVS). Die Beplankungen erfüllen das vom Brandschutz geforderte Kapselkriterium K60, das insgesamt rund 32 cm dicke „Wandpaket“ dagegen erreicht die geforderte Feuerwiderstandsklasse F90 (R90).
Auch die 10 cm und 20 cm dicken Trennwände innerhalb der Wohnungen sind aus Brandschutzgründen doppelt beplankt.
Guter Längsschallschutz dank doppelschaliger Wohnungstrennwände
Die Wohnungstrennwände sind aus Schallschutzgründen doppelschalig ausgeführt, das heißt, zwei 15,30 cm dicke Holztafelbauwände stehen im Abstand von 20 mm nebeneinander; dieser Spalt ist komplett mit Dämm-Material ausgefüllt.
Das 12 cm dicke Ständerwerk ist mit Mineralfaserdämmung gefüllt und raumseitig wiederum doppelt beplankt mit 15 mm und 18 mm dicken Gipsfaserplatten K60). Zur Trennfuge hin erhielten die Wände lediglich ein Windpapier. Zu beachten war hier vor allem, dass die Ständer der gegenüberliegenden Wände versetzt zueinander angeordnet sind, um jegliche Schallübertragung durch Bauteilkontakt zu verhindern. Als Versatzmaß hat man den halben Ständerabstand gewählt, also 31,25 cm.
Die insgesamt 32,6 cm dicke Wohnungstrennwand rreicht ein Schalldämm-Maß R‘w von über 57 dB.
Wärmeschutz nach aktueller EnEV ausgeführt
In Sachen Wärmeschutz war die aktuelle Energieeinsparverordnung (EnEV) zu erfüllen. Zum Planungszeitpunkt war dies die EnEV 2013. Mit dem Außenwandaufbau kommt die Gebäudehülle auf einen U-Wert von 0,134 W/ (m²K), die Dachdecke aus BS-Holz mit 20 cm Wärmedämmung kommt auf 0,14 W/(m²K).
Hoch über den anderen Geschossen
Neue Wohnungen in aufgestockten Gebäuden sind begehrte Objekte. Nicht nur sind sie neu und modern. Ihre Lage „hoch oben über den anderen Wohnungen“ verleiht ihnen Penthouse-Charakter. Sie bieten viel Tageslicht und meist eine tolle Aussicht. Auch im Wientapperweg 18 und 20 fanden die 16 neuen Wohnungen großes Interesse und reißenden Absatz. Sie waren schon vergeben, ehe sie der Markt richtig wahrnehmen konnte.