In einer gerichtlichen Entscheidung ist die Voraussetzungen für eine berechtigte Ablehnung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen konkretisiert worden. OLG Bamberg, Beschluss vom 14.03.2017, 4 W 16/17
Mit Beschluss vom 14.03.2017 konkretisiert das OLG Bamberg, dass für eine Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen objektive Gründe vorliegen müssen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.
Die Überschreitung der Grenzen des Gutachtenauftrags begründet für sich genommen noch nicht die Besorgnis seiner Befangenheit. Es reicht deshalb nicht aus, wenn der Sachverständige aus einer irrtümlich fehlerhaften Auslegung des Beweisbeschlusses oder aus einem besonderen Interesse am Beweisthema parteineutral Feststellungen trifft, die über den eigentlichen Gutachtenauftrag hinausgehen.
Gegenstand war zunächst ein selbstständiges Beweisverfahren über die Einhaltung der ärztlichen Regeln der Kunst bei verschiedenen frauenärztlichen operativen Eingriffen.
Allgemeine Grundsätze
Das OLG führt zunächst die allgemeinen Regeln aus, wonach eine Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen gemäß §§ 406 Abs. 1, 42 ZPO anzunehmen sei, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Erforderlich ist jedoch das Vorliegen objektiver Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH NJW-RR 2003, 1220, 1221).
Überschreitung des Gutachtenauftrags
Im vorliegenden Verfahren rügte der Antragsgegner, die Ausführungen des Sachverständigen im Sachverständigengutachten zur präoperativen Diagnostik und zur postoperativen Nachsorge seien nicht vom Gutachtenauftrag umfasst. Durch seine Ausführungen habe der Sachverständige der Antragstellerin den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits gewiesen.
Allein dies hält das OLG aber noch nicht für ausreichend, um die Besorgnis der Befangenheit anzunehmen, da die bloße Überschreitung der Grenzen des Gutachtenauftrags für sich genommen Zweifel an der Unparteilichkeit nicht begründen. Vielmehr sind, wie der BGH in einem Beschluss vom 11.04.2013 klargestellt hat, die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu betrachten (BGH, VII ZB 32/12, Rn. 13). Er hat dabei in seiner Prüfung darauf abgestellt, ob sich dem Verhalten des Sachverständigen tatsächlich Belastungstendenzen entnehmen lassen, die aus Sicht einer Partei bei vernünftiger Betrachtung den Eindruck der Voreingenommenheit zu erwecken vermögen (BGH, a. a. O., Rn. 16). Selbst die Feststellung, ein Sachverständiger habe durch eine Überschreitung des Gutachtenauftrags dem Gericht vorbehaltene Aufgaben wahrgenommen oder dem Gericht den Weg zu einer Entscheidung gewiesen, vermag noch keine Ablehnung zu begründen. Beides impliziert noch keinen Verstoß gegen die dem Gutachter obliegende Neutralitätspflicht.
Nicht ausreichend ist es daher, wenn der Sachverständige aus einer irrtümlich fehlerhaften Auslegung des Beweisbeschlusses oder aus einem besonderen Interesse am Beweisthema parteineutral Feststellungen trifft, die über den eigentlichen Gutachtenauftrag hinausgehen (BGH a. a. O., Rn. 16; OLG Köln, Beschluss vom 23.11.2011, 5 W 40/11, Rn. 6).
Ablehnung wegen der „Beantwortung nicht gestellter Fragen“
Ein Ablehnungsgrund kann jedoch bestehen, wenn der medizinische Sachverständige von sich aus Ausführungen zu einer aus seiner Sicht nicht ausreichenden Aufklärung des Patienten macht, obwohl dieser die Aufklärungsrüge bislang nicht erhoben hatte (OLG Koblenz, a. a. O., Rn. 40–42; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., S105g).
In Betracht zu ziehen ist in solchen Fällen aber immer eine unzulässige Parteinahme für die Antragstellerin. Der Antragsgegner war im vorliegenden Fall der Auffassung, der Sachverständige lasse in seinen Ausführungen die gebotene Neutralität vermissen. Dies gelte insbesondere für die Darlegung, in jener Zeit (2008) hätten, „in der Euphorie der guten anatomischen Ergebnisse, viele Kollegen die Netze unkritisch implantiert“. Er zeichne damit das Bild eines rücksichtslosen, unkritischen Arztes, was eine Bewertung mit unzulässiger Schärfe und eine unzulässige Parteinahme darstelle.
Dieser Auffassung konnte sich das erkennende Gericht nicht anschließen, da der Sachverständige zunächst ausgeführt hat, dass aus seiner Sicht für eine Netzimplantation rechtfertigende Gründe vorliegen müssten, solche Gründe für ihn aus der Akte aber nicht ersichtlich seien. Wenn er in diesem Zusammenhang den Umgang mit einer speziellen Operationsmethode in dem hier relevanten Zeitraum darstellt, so trifft er damit keine Wertung über den Antragsgegner. Er vermittelt dem Gericht vielmehr relevantes Hintergrundwissen, um einen medizinischen Sachverhalt einordnen zu können.
Gesamtschau der Darstellung
Auch die Besorgnis der Befangenheit im Wege einer Gesamtschau konnte nicht festgestellt werden. Grundsätzlich könnten auch mehrere Tatsachen, die für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit noch nicht rechtfertigen, in ihrer Gesamtschau Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (Martis/Winkhart, a. a. O., S. 122). Dies setzt aber immer eine einseitige Parteinahme zulasten des Antragsgegners voraus. Der Gutachter im vorliegenden Fall zeigt im Rahmen der Begutachtung jeweils für und gegen einen Behandlungsfehler sprechende Umstände auf. Soweit er vom Vorliegen von Behandlungsfehlern ausgeht, begründet er dies in nachvollziehbarer Weise, die – unabhängig von der vom Senat nicht zu beurteilenden fachlichen Richtigkeit – einseitige Belastungstendenzen zum Nachteil des Antragsgegners nicht erkennen lässt.
Fazit
Dieser Fall aus dem Arzthaftungsrecht gibt einen Überblick über die Gründe, die zu einer berechtigten Ablehnung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen aus Gründen der Befangenheit führen können. Wenngleich im konkreten Fall der Ablehnungsantrag nicht erfolgreich war, zeigt die intensive Auseinandersetzung des OLG mit der Thematik, dass eine Ablehnung wegen Überschreitung des eigentlichen Gutachtenauftrags durchaus möglich ist und im Einzelfall sehr genau einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen wird.
Auch das kumulative Zusammenspiel verschiedener für sich allein noch nicht die Besorgnis der Befangenheit begründende Umstände wird von den Gerichten eingehend geprüft und im Einzelfall gewertet. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass mehrere (kleine) Zweifel an der Unparteilichkeit in der Gesamtschau eine Ablehnung rechtfertigen können.