Die sog. Prüf- und Hinweispflicht des Auftragnehmers ist eine Besonderheit des Bauwerkvertragsrechts und gilt auch ohne ausdrückliche Vereinbarung bei jedem Bau- und Planungsvertrag. Ausschlaggebend ist letztlich der Grundsatz von Treu und Glauben, nach dem sich jeder Vertragspartner redlich verhalten und insbesondere den anderen im Rahmen seiner Möglichkeiten vor Schaden bewahren soll. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Prüfund Hinweispflicht entgegen landläufiger Meinung nicht nur auf die eigenen Leistungen, sondern auch auf Leistungen Dritter beziehen und somit schnell zu einer Haftungsfalle werden kann.
Grundlagen und Auswirkungen auf die eigene Haftung
Das Wesen des Werkvertragsrechts zeichnet sich dadurch aus, dass der Auftragnehmer einen konkreten Erfolg schuldet. Bei einem Bauvorhaben ist dieser Erfolg auf die Planung und Erstellung eines mangelfreien Bauwerks gerichtet. Hierzu ist in der Regel eine besondere Fachkunde erforderlich, die sowohl bei Planern als auch bei Bauunternehmen schlichtweg erwartet bzw. unterstellt wird. Aufgrund dieser besonderen Fachkunde hat der Auftragnehmer den Auftraggeber in besonderem Maße vor Schäden zu bewahren. Diese Verpflichtung bezieht grundsätzlich auch auf alle Umstände, die einer mangelfreien Planung und Errichtung des vertraglich geschuldeten Bauwerks entgegenstehen, weshalb eine Kontrolle nur der eigenen Leistungen in der Regel nicht ausreicht.
Die Prüf- und Hinweispflicht ist trotz ihrer immensen Bedeutung nicht als Haupt-, sondern als Sorgfaltspflicht und somit als Nebenpflicht des Auftragnehmers zu qualifizieren. Anhaltspunkte für den konkreten Inhalt und Umfang der Prüfund Hinweispflicht lassen sich keinem Gesetz, sondern – vorbehaltlich anderer Vereinbarungen- (nur) § 4 Abs. 3 VOB/B entnehmen. Der dortige Regelungsgehalt wird auch bei der Auslegung von BGB-Verträgen herangezogen. Verletzt der Auftragnehmer die ihm obliegende Prüf- und Hinweispflicht, kann sich bereits aus diesem Umstand nicht nur ein Schadensersatz-, sondern ggf. sogar ein Gewährleistungsanspruch des Auftraggebers ergeben.
Umfang und Inhalt der Prüfungspflicht
Umfang und Inhalt der Prüf- und Hinweispflicht richten sich nach dem Grundsatz der Zumutbarkeit. Bei der Auslegung sind stets die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen (vereinbarter Leistungsumfang, Beratungsbedarfs des Auftraggebers, Fachwissen des Auftragnehmers etc.).
Wie bereits erwähnt, können weitere Anhaltspunkte § 4 Absatz 3 VOB/B entnommen werden. Danach hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber Bedenken
- gegen die Güte der vom Auftraggeber gelieferten Stoffe oder Bauteile
- gegen die Leistungen anderer Unternehmer
- unverzüglich – möglichst schon vor Beginn der Arbeiten – schriftlich mitzuteilen.
Besondere Bedeutung erlangt die Prüf- und Hinweispflicht immer wieder im Zusammenhang mit vom Auftraggeber bereitgestellten Stoffen oder Bauteilen. Oftmals werden die Wünsche des Auftraggebers, aber auch die Angaben der Baustofflieferanten und ausführenden Unternehmen mehr oder weniger ungeprüft übernommen – mit fatalen Folgen, wie ein Urteil des OLG Naumburg [1], belegt. Ein Ingenieur war mit der Planung einer Fassadensanierung für eine Halle beauftragt. Bei der Beratung der Materialauswahl wurde seitens des Auftraggebers auch ein auf Fassaden spezialisiertes Drittunternehmen einbezogen, auf dessen Empfehlung hin die Fassadenelemente verwendet wurden. Nach Verbau der Fassadenelemente kam es zu Rissen und Verformungen, welche auf die fehlende Eignung des Materials zurückzuführen waren.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Ingenieur die Brauchbarkeit des Materials für die in Aussicht genommenen funktionellen Zwecke überprüfen und den Auftraggeber über das Ergebnis und die zur Verfügung stehenden Alternativen aufklären musste. Im konkreten Fall wurde der Ingenieur von dieser Verpflichtung auch durch die Einbindung von Sonderfachleuten nicht entbunden. Grund hierfür wird sicherlich auch der Umstand gewesen sein, dass sich der Ingenieur – so das Gericht – „blind“ auf die Ausführungen eines ihm unbekannten Unternehmen/Herstellers und dessen Produkte ver lassen hat.
Auch wenn es sich insoweit eher um einen Sonderfall handeln dürfte, sind Auftragnehmer gut beraten, die Prüf- und Hinweispflicht ernst zu nehmen. Offene Fragen sollten mit dem Auftraggeber besprochen und ggf. durch die Hinzuziehung eines Sonderfachmannes geklärt werden.
Hinsichtlich der Vorleistungen anderer Unternehmer ist der Umfang der Prüfungspflicht keineswegs geringer. Zu überprüfen sind in der Regel aber nur diejenigen Vorleistungen, mit denen die eigenen Leistungen in Berührung kommen. Gleichwohl ist der Auftragnehmer gut beraten, einen „Blick über den Tellerrand“ zu werfen.
Gleiches gilt für den planenden Architekten, der bei Bedarf die erforderlichen Sonderfachleute benennen und den Auftraggeber bei der Auswahl beraten muss. Die Beiträge der Sonderfachleute darf der Architekt nicht ungeprüft übernehmen, sondern muss sie zumindest auf ihre grundsätzliche Eignung durchsehen. Das gilt im Übrigen auch für Werkstattund Montagepläne, die dem Architekten vom ausführenden Bauunternehmen übermittelt werden.
Die Bedenkenanzeige
Über festgestellte Bedenken muss der Auftragnehmer den Auftraggeber unverzüglich, in ausreichender Form und Inhalt infomieren. Unverzüglich bedeutet nichts anderes, als dass die Bedenkenanzeige so schnell wie möglich und insbesondere ohne schuldhaftes Zögern erfolgt. Auf diese Weise soll dem Aufraggeber die Möglichkeit gegeben werden, die weitere Planung und Ausführung des Bauvorhabens so schnell wie möglich unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse fortzuführen bzw. anzupassen.
In den meisten Verträgen ist für eine Bedenkenanzeige die Schriftform vorgesehen. Ohne eine solche Verpflichtung könnte die Bedenkenanzeige grundsätzlich auch mündlich erfolgen, was sich aber bereits aus Beweisgründen nicht empfiehlt.
Aus inhaltlicher Sicht muss die Bedenkenanzeige klar, vollständig und erschöpfend sein; sie muss dem Auftraggeber die bestehenden Risiken verdeutlichen und ihm eine Entscheidung über das weitere Vorgehen ermöglichen. [2] Ob der Auftragnehmer dem Auftraggeber darüber hinaus andere, besser geeignete Möglichkeiten aufzeigen und/oder ausführen muss, richtet sich nach dem vereinbarten Leistungssoll.
Adressat
Der Bedenkenhinweis ist in der Regel immer zuerst an den Auftraggeber oder ein Bevollmächtigten gerichtet werden. Soweit ein Architekt beauftragt wurde und bevollmächtigt ist, kann auch dieser als Hinweisempfänger in Betracht kommen, soweit sich die Bedenkenanzeige nicht gerade auf die fehlerhafte Planung des Architekten bezieht.
Bedeutung der Bedenkenanzeige
Auch die besondere Bedeutung der Bedenkenanzeige ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern aus § 13 Abs. 3 VOB/B. Danach haftet der Auftragnehmer (auch) für solche Mängel,
- die auf die Leistungsbeschreibung auf Anordnungen des Auftraggebers,
- auf die von diesem gelieferten oder vorgeschriebene Stoffe oder Bauteile oder
- die Beschaffenheit der Vorleistung eines anderen Unternehmers zurückzuführen sind,
- es sei denn, er hat die ihm nach § 4 Abs. 3 VOB/B obliegende Mitteilung gemacht.
Auch diese Regelung gilt unmittelbar nur, wenn sie von den Parteien vertraglich vereinbart wurde, wird aber entsprechend auf alle Planungs- und Bauverträge angewendet. [3] Im Ergebnis führt die ordnungsgemäß erfüllte Prüf- und Hinweispflicht in Verbindung mit einer ebenso ordnungsgemäßen Bedenkenanzeige folglich zu einer Enthaftung des Auftragnehmers. Umgekehrt kann die nicht ordnungsgemäße Erfüllung der vorstehenden Verpflichtungen allerdings zu einer deutlichen Haftungserweiterung (auch für mangelhafte Leistungen Dritter) führen.
Reaktion des Auftraggebers
Der Auftraggeber muss die Bedenken des Auftragnehmers nicht teilen. Er kann sich über die bestehenden Bedenken viel mehr – im Rahmen der bestehenden Gesetze und öffentlich-rechtlichen Bestimmungen – hinwegsetzen und die Ausführung unverändert fortsetzen. Für eine solche Entscheidung trägt der Auftraggeber die Verantwortung. Eine solche Entscheidung sollte der Auftragnehmer bereits zu Beweiszwecken schriftlich anfordern.
Nicht selten bleibt der Auftraggeber allerdings untätig oder trifft die erforderliche Entscheidung nicht rechtzeitig oder nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit. In entsprechenden Konstellationen sollte der Auftragnehmer die ursprüngliche, mit Bedenken behaftete Planung bzw. Ausführung grundsätzlich nicht fortsetzen, sondern eine Entscheidung des Auftraggebers herbeiführen. Trifft der Auftraggeber die erforderliche Entscheidung nicht, verletzt er eine ihm obliegende Mitwirkungspflicht und behindert die weitere Planung bzw. Ausführung. Ein solches Verhalten kann zu Schadensersatzansprüchen des Auftragnehmers führen oder unter Umständen sogar eine Kündigung des Vertrages rechtfertigen.
Weitere Ausnahmen zur Haftungsbefreiung
Neben den in § 13 Absatz 3 VOB/B dargestellten Fällen kann eine Haftung des Auftragnehmers ausscheiden,
- wenn die zum Mangel führenden Umstände außerhalb des Verantwortungsbereiches des Auftragnehmers lagen
- oder die Verletzung der Hinweispflicht für den Mangel nicht ursächlich war. [4]
Auswirkungen auf den Versicherungsschutz
Ein Verstoß gegen die Prüf- und Hinweispflicht kann auch den Versicherungsschutz beeinträchtigen. Ansprüche, die durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten (Tun oder Unterlassen) verursacht werden, sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Dies betrifft nicht nur bewusste Verstöße gegen Baugesetze, technische Regelwerke oder DIN Normen. Unter einem sonstigen pflichtwidrigem Verhalten sind die vertraglich übernommenen Pflichten zu verstehen, weshalb in Einzelfällen auch eine nicht oder nur unzureichend erfüllte Beratungs- oder Aufklärungspflichtausreichend sein kann.
Zusammenfassung und Praxishinweis
Die Prüf- und Hinweispflicht hat sowohl bei einem Bau- als auch bei einem Planungsvertrag elementare Bedeutung für die Haftung bzw. Enthaftung des Auftragnehmers. Etwaige Bedenken sollte der Auftragnehmer immer unverzüglich und schriftlich gegenüber seinem Auftraggeber anzeigen. Die Bedenkenanzeige muss so deutlich und umfangreich formuliert werden, dass der Auftraggeber die bestehenden Bedenken nachvollziehen und über das weitere Vorgehen entscheiden kann. Der Auftragnehmer sollte unbedingt darauf achten, dass ihm die Entscheidung des Auftraggebers in Schriftform vorliegt.
1 OLG Naumburg, Urteil vom 01.10.2014 -12 U 18/14
2 OLG Düsseldorf Urteil vom 24.03.2015 -21 U 62/14
3 OLG Köln, Urteil vom 14.05.2013- 15 U 214/11;BGH, Urteil vom 08.11.2007-VII
ZR 183/05,
Manteufel, ibr-online Kommentar VOB/B, § 13 Rdnr.123,124