Genaralanwalt am EuGH... HOAI 8 HDI INGLetter Juni 2019 Verstoß

...HOAI verstößt gegen Europäisches Recht

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Seit mehreren Jahren tobt ein Streit zwischen der Europäischen Kommission und der Bundesrepublik Deutschland, den Architekten und Ingenieure zu Recht mit sehr gemischten Gefühlen verfolgen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Fortbestand der HOAI! 

Zum Hintergrund
Bereits im Jahre 2015 hatte die Europäische Kommission die Bundesrepublik Deutschland darauf hingewiesen, dass die von der HOAI mit Mindest- und Höchstsätzen vorgegebene Honorargestaltung möglicherweise gegen Europarecht verstößt, und zugleich die Abschaffung des verbindlichen Preisrahmens gefordert. Die Bundesrepublik Deutschland teilt diese Ansicht jedoch nicht, weswegen die Europäische Kommission nach mehreren wechselseitigen Stellungnahmen ein Vertragsverletzungsverfahren (Rs. C-377/17) gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hat. Dieses Vertragsverletzungsverfahren hat mit dem Schlussantrag des Generalanwalts vom 28.02.2019 nun einen neuen Höhepunkt erreicht. Danach soll der EuGH erklären, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Europäisches Recht verstoßen hat, indem sie Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren durch die HOAI zwingenden Mindest- und Höchstsätzen unterworfen hat. 

Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit!?
Nationale Regelungen zu Mindest- und Höchstsätzen sind nach Art. 15 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2006/123/EG („Dienstleistungsrichtlinie“) nur zulässig, wenn sie (1) durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und (2) verhältnismäßig sind, das heißt, wenn sie zur Verwirklichung der angestrebten Ziele geeignet und nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen, die zum selben Ergebnis führen, ersetzbar sind. Aus Sicht der Europäischen Kommission liegen diese Voraussetzungen bei den Preisvorgaben der HOAI nicht vor. 
Vielmehr verstoße die Bundesrepublik Deutschland gegen die Niederlassungsfreiheit, weil die Vorgaben der HOAI insbesondere neuen Anbietern aus anderen Staaten den Marktzutritt erschweren. Es sei bekannt, dass die freie Gestaltung des Angebots und insbesondere des Preises für neue Anbieter gerade in etablierten Märkten ein wichtiges Instrument für den Marktzugang sei. Hierzu gehöre auch, die Leistungen zu einem unterhalb des marktüblichen Preises anzubieten, was die HOAI aber untersage. Auch die Tatsache, dass die HOAI für Architekten sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch anderer Mitgliedsstaaten gleichermaßen gelte und somit ihrer Natur nach nicht diskriminierend sei, ändere hieran nichts.

Oder doch nicht?
Die Bundesrepublik Deutschland hingegen hat den Fortbestand der HOAI mit ihren Preisvorgaben immer mit zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (Qualität der Planungsleistungen, Verbraucherschutz, Bausicherheit, Erhaltung der Baukultur, Ziel ökologischen Bauens etc.) gerechtfertigt. Zwar können derartige Aspekte auch aus Sicht des Generalanwalts eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durchaus rechtfertigen. Die Bundesrepublik Deutschland habe aber nicht nachgewiesen, dass diese Ziele mit dem in der HOAI niedergelegten Preisrecht überhaupt erreicht werden können. Die Bundesrepublik Deutschland habe sich vielmehr auf allgemeine Erwägungen und Vermutungen beschränkt und insbesondere nicht belegt, dass die Abschaffung von Mindestpreisen zu einer Absenkung des Qualitätsniveaus führen würde. Zudem gelte der Preiswettbewerb in einer Marktwirtschaft auch bei Dienstleistungen im Allgemeinen als notwendiger, gewünschter und wirksamer Mechanismus. Wie ein solcher Wettbewerb allein besonders gut qualifizierte Dienstleister wie Ingenieure und Architekten vom „Paulus zum Saulus“ wandeln solle, bleibt dem Generalanwalt auch nach dem Vortrag der Bundesrepublik „ein Rätsel“. In seinem Schlussantrag benennt der Generalanwalt sodann eine Reihe weiterer Maßnahmen, mit denen sowohl die Qualität der Dienstleistungen als auch der Verbraucherschutz zu gewährleisten ist, ohne zugleich die Niederlassungsfreiheit einzuschränken (beispielsweise berufsethische Normen, Haftungsregelungen, Versicherungen, Informationspflichten, Pflichten zur Veröffentlichung von Tarifen oder zur Festlegung von Richtpreisen durch den Staat etc.).

Bewertung
Die Ausführungen des Generalanwalts sind knapp, weil eine eingehende Auseinandersetzung mit den ausgetauschten Argumenten durch einen juristischen „Trick“ vermieden wird. Nach Ansicht des Generalanwalts hat nämlich die Bundesrepublik Deutschland darzulegen und zu beweisen, welche Ziele sie mit den von ihr ergriffenen Mitteln – den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI – erreichen möchte, dass diese Ziele mit den ergriffenen Mitteln erreicht werden können und dass keine „milderen“ Mittel zur Verfügung stehen. Ob der EuGH die Ansicht des Generalanwalts, die Bundesrepublik Deutschland sei diesen prozessualen Pflichten nicht nachgekommen, bleibt abzuwarten. 

Es wäre allerdings nicht zuletzt im Sinne der Rechtssicherheit wünschenswert gewesen, wenn sich der Generalanwalt mit dem Regelungssystem der HOAI, den vorgetragenen Argumenten der Bundesrepublik Deutschland und dem Wertungsspielraum, der den einzelnen Mitgliedsstaaten im Rahmen des Art. 15 Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie zusteht, intensiv auseinandergesetzt hätte. Gleiches gilt im Hinblick auf die Konkrete Anforderungen, die ein Mitgliedsstaat bei den durchzuführenden Untersuchungen zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit einer Mindest- und/oder Höchstpreisregelung erfüllen muss. Auch insoweit sich dem bisherigen Vortrag des Generalanwalts (außer einem beispielhaften Verweis auf verschiedene EuGH-Urteile) nichts konkretes entnehmen.

Ausblick
Erfahrungsgemäß schließt sich der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts an. Es steht daher zu befürchten, dass die knappen Ausführungen des Generalanwalts ausreichen. Stellt der EuGH fest, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die in der HOAI vorgesehenen, zwingenden Mindest-und Höchstsätze gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt, muss die HOAI durch den Gesetz- und Verordnungsgeber an das Europarecht angepasst oder aufgehoben werden. Betroffen ist nicht nur die HOAI, sondern auch das 2018 eingeführte Bauvertragsrecht. § 650q BGB verweist nämlich im Hinblick auf die Anpassung der Vergütung auf die Regelungen der HOA. Mit Wegfall der HOAI dürfte die Vergütung daher auch hier nach dem vermehrten oder verminderten Aufwand zu bestimmen sein (vgl. § 650c BGB). 

Auch wenn der zwingende Charakter des in der HOAI vorgesehenen Preisrahmens entfällt, können die Parteien entsprechende Regelungen vertraglich vereinbaren. Ob in entsprechenden Konstellationen eine Mindestsatzklage möglich ist, bleibt abzuwarten. Im Rahmen einer solchen Klage müssen die erkennenden Gerichte die Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie allerdings heute schon berücksichtigen, da sie auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten anzuwenden ist (EuGH, IBR 2018, 272). Der verbindliche Preisrahmen der HOAI darf daher – ungeachtet ihrer Zukunft – bereits jetzt nicht mehr berücksichtigt werden, wenn und soweit das angerufene Gericht einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie bejahen sollte.

Leider haben viele Auftraggeber offensichtlich vergessen, dass der verbindliche Preisrahmen der HOAI auch ihnen dient. Die HOAI sichert nämlich seit Jahrzehnten nicht nur den Planern ein bestimmtes Honorar, sondern auch die Qualität der Planungsleistungen. Gerade Qualität ist in der fehlerträchtigen Baubranche von besonderer Bedeutung, und zwar gleichermaßen sowohl für den privaten „Häusle- Bauer“ als auch für den Bauherrn eines Großprojekts. „Wer beim Planen spart, zahlt hinterher beim Bauen drauf“, hat der Präsident der Bundesingenieurkammer daher kürzlich zu recht gesagt.

Gleichwohl müssen sich alle Beteiligten darauf einstellen, dass der EuGH die Ansicht des Generalanwalts teilt. In diesem Fall müssen neue Wege gefunden werden, um die mit der HOAI verbundenen und in vielen Bereichen auch erreichten Ziele sicherzustellen. Wie so oft, sind mit einer neuen Situation nicht nur Nachteile, sondern durchaus auch Chancen verbunden.

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