Die Idee, den Neubau des Rathauses Korbach als UrbanMining-Modellprojekt zu realisieren, kam von Stefan Bublak, Architekt und Fachbereichsleiter Bauen und Umwelt der Stadt Korbach. Er entwickelte, nachdem der Wettbewerb für den Rathaus-Neubau 2017 entschieden war, die Idee, den alten Erweiterungsbau des Korbacher Rathauses, einen Betonbau aus den 1970er Jahren, als Rohstoffquelle, also als "urbane Mine", für den Neubau des Rathauses zu nutzen.
Die Idee entwickelte er auch vor dem Hintergrund, dass der Abriss eines nur rund 50 Jahre alten Erweiterungsbaus des Rathauses eine gewisse Ressourcenverschwendung bedeutete. Das alte Gebäude bestand zu rund 95 Prozent aus mineralischen Baustoffen, zum Großteil Beton, den es möglichst hochwertig zu recyceln galt. Bislang hatte es noch nie den Fall gegeben, dass ein Bestandsbau zurückgebaut und die daraus gewonnene rezyklierte Gesteinskörnung direkt für einen Neubau gleicher Funktion und an gleicher Stelle wiederverwendet wurde – es war also ein innovatives Abbruchkonzept.
Recyclierte Gesteinskörnung benötigt ein CE-Zertifikat
Vorab erfolgte eine Bestandaufnahme mittels Bohrkernproben aus Stützen und Wänden. Die beteiligten Recyclingunternehmen und Transportbetonwerke arbeiteten gerne an diesem ungewöhnlichen Projekt mit, weil ihnen bewusst war, dass sie durch die Expertise auch lernen und sich so auf künftige Märkte besser einstellen können. Die Herstellung rezyklierter Gesteinskörnungen ist an sich nicht schwer. Unternehmen verfügen über die entsprechenden Brech- und Siebanlagen, müssen sich allerdings zertifizieren lassen, weil die rezyklierte Gesteinskörnung als späteres Bauprodukt über ein CE-Zertifikat verfügen muss. Beim Rückbau des alten Gebäudes zeigte sich, dass die Rippendecke über dem alten Ratssaal mit einer verlorenen Schalung aus Holz gefertigt war. Diese Rippendecke konnte im Rahmen des Rückbaus nicht sortenrein getrennt werden, deshalb stand für den Neubau weniger Rezyklat als ursprünglich geplant zur Verfügung. Allerdings diente das verunreinigte und damit minderwertige Material noch für die Auffüllung des Planums und der Fundamentlöcher.
Besondere Anforderungen an den Neubau
Der Entwurf sah eine Ausführung in Stahlbeton und eine Fassade aus eingefärbten vorgehängten Betonfertigteilen vor. Wunsch war es, dass die Farbigkeit der neuen Fassade Bezug auf das historische Rathaus nimmt. Zudem sollten die Materialien des Altbaus nicht nur in den Neubau überführt werden, sondern der Neubau selbst war möglichst kreislaufgerecht und als künftiges Rohstofflager zu planen. Es hieß also, auf Verklebungen zu verzichten und Werkstoffe so zu fügen, dass sie später wieder möglichst sortenrein trennbar sind und kreislaufgerecht wiederverwertet werden können. Eine kleine Herausforderung war dabei, diese Anpassungen anschließend öffentlich so auszuschreiben, dass Unternehmen die neuen Anforderungen auch wirklich erfüllen konnten.
Recycling auch als ästhetischer Aspekt
Nach außen erkennbar beeinflusst hat das Urban-Mining-Konzept die Gestaltung der Betonfertigteile für die Fassade: Durch den Abbruch eines Nebengebäudes auf demselben Areal, dessen Dach mit roten Dachziegeln eingedeckt war, standen auch diese Ziegel als Recyclingmaterial zur Verfügung. Deshalb wurde auf das Einfärben der Betonfertigteile verzichtet, stattdessen die aus den Dachziegeln gewonnene rezyklierte Gesteinskörnung als rotfarbene Pigmente dem Recyclingbeton für die Fassadenteile beigemischt. Auf diese Weise ließ sich der Kreislaufgedanke auch gestalterisch umsetzen und von außen ablesbar machen. Durch die roten Ziegel-Einsprenkelungen, die bei den sandgestrahlten Fassadenteilen gut an der Oberfläche sichtbar sind, ist der Beton nun als Recyclingbeton optisch erkennbar.
Keine Zulassung im Einzelfall erforderlich
62% des Abbruchmaterials aus dem Bestand konnten für den Neubau verwendet werden: Mineralische Baustoffe wie Beton-, Ziegel- und Mauerwerksabbruch. Der Recyclingbeton wurde für das Tragwerk des neuen Gebäudes – hier hauptsächlich für die Bodenplatte, Decken, Unterzüge und die erdberührten Außenwände – und die Fassadenelemente eingesetzt. Feinanteile des Betonbruchs, deren Durchmesser kleiner als 2mm ist, dürfen nach der DAfStb-Richtlinie nicht verarbeitet werden, dienten hier nur für das Auffüllen der Fundamentlöcher. Für den Recyclingbeton wurden rezyklierte Gesteinskörnungen von 8 auf 22mm verwendet. Die Sichtbetonwände im Inneren des Gebäudes wurden mit konventionellem Beton erstellt, weil nicht genügend rezyklierte Gesteinskörnung aus dem Altbau zur Verfügung stand. Eine Zulassung im Einzelfall war nicht erforderlich, weil alle Vorgaben der entsprechenden DAfStb-Richtlinie, die einen maximalen Anteil von 45% rezyklierter Gesteinskörnung vorschreibt, erfüllt waren. Erst, wenn dieser Maximalanteil überschritten wird oder wenn Feinanteile unter 2mm verwendet werden, ist eine Zulassung im Einzelfall erforderlich.
Die Gesetzgebung befördert das Recycling
Beim Bauen mit R-Beton machen sich derzeit erste Impulse der Gesetzgebung positiv bemerkbar: So werden in Zukunft Fördermittel der KfW nur noch für Neubauten, die mit einem Nachhaltigkeitszertifikat versehen sind, vergeben. Eine der wesentlichen Bedingungen für das „Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude“ (QNG) ist, dass die für den Neubau eingesetzten Materialien unter anderem den Anforderungen bezüglich der Ressourceninanspruchnahme entsprechen. Die damit verbundene Forderung eines gewissen Recyclinganteils wird auch dazu führen, dass sich einzelne Betriebe künftig auf eine höhere Nachfrage einstellen können. Damit wird sich in Zukunft auch das Problem mangelnder Nachfrage und eines mangelnden Angebots an R-Beton lösen lassen. Die Fördermittel selbst sind nicht unerheblich, sie belaufen sich beispielsweise für Kommunen auf 12,5% der förderfähigen Kosten – bis zu einer Höhe von 10Millionen Euro.
Fazit
Die Zirkularitätsrate für das Rathaus liegt bei 42%. Theoretisch könnte man eine Zirkularitätsrate von 100% erreichen, die sich je zur Hälfte aus der PreUse- und der Post-Use-Phase ergibt. Dies ist jedoch heute noch nicht möglich. Das Pilotprojekt Korbach konnte nur mit Unterstützung des Landes Hessen realisiert werden. Mit Fertigstellung des Projekts wurde ein Gutachten erstellt, dessen Ergebnisse in einen Leitfaden des Landes Hessen für ressourcenschonendes Bauen einfließen. Auch andere Bundesländer verfolgen ähnliche Initiativen.
In Baden-Württemberg und Berlin muss beispielsweise bei öffentlichen Bauvorhaben bereits zu einem gewissen Anteil R-Beton eingesetzt werden. Das Land Nordrhein-Westfalen hat kürzlich einen Beschluss gefasst, nach dem alle Landesbauten nach dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen erstellt werden müssen. Die übrigen Bundesländer werden sich in Zukunft sicherlich auch in diese Richtung bewegen.