CO2 im Gebäudelebenszyklus

Initiativen des Bundes und der EU zur Senkung der CO2-Emissionen

Deutsches Ingenieurblatt 01/2024
Aus der Branche
Bis zum Jahr 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Vor diesem Hintergrund sind CO2-Emissionen auch für den Gebäudebereich ein zentraler Parameter und Kostenfaktor geworden. Für die Nutzungsphase eines Gebäudes gibt es bereits Gesetzesinitiativen, die den CO2-Verbrauch konkret bepreisen. Für die Phasen, die der Nutzung eines Gebäudes vor- und nachgelagert sind, gibt es dagegen noch keine verpflichtenden gesetzlichen Regelungen. Zunehmend werden aber auch diese Phasen in den Blick genommen. Welche Initiativen zur Senkung der CO2-Emissionen im gesamten Gebäudelebenszyklus gibt es und welche zeichnen sich ab? Ein Überblick.

Wenn in der Vergangenheit von nachhaltigen Gebäuden die Rede war, stand in der Regel der Energieverbrauch in der Nutzungsphase im Zentrum der Betrachtung. Planerinnen und Planer haben hierfür zusammen mit Produktherstellern und der Bauwirtschaft bereits viele erfolgreiche Lösungen entwickelt. Durch Effizienzmaßnahmen der Gebäudehülle und moderne Anlagentechnik sinken die CO2-Emissionen im Gebäudebetrieb seit Jahren. Gleichzeitig haben sich die grauen (nicht betriebsbedingten) Emissionen eines Gebäudes kaum verändert, womit diese vermehrt im Fokus stehen. Denn erst eine Betrachtung im gesamten Lebenszyklus gibt genaueren Aufschluss über die Nachhaltigkeit eines Gebäudes. Der Lebenszyklus erstreckt sich über 5 Phasen2: Herstellung – Errichtung – Nutzung – Entsorgung – Recycling/Wiederverwendung.

Nachhaltigkeit ist keine mathematische Größe, es braucht dafür Bewertungskriterien. In einer Ökobilanzierung werden verschiedene Umweltwirkungen untersucht. Das Treibhauspotential (kg CO2-Äquivalent) ist dabei, neben anderen Kriterien3, am weitesten verbreitet und wird am häufigsten für Bewertungen und Optimierungen herangezogen. Auch politische Initiativen legen den Fokus auf CO2-Emissionen. 

Von der ersten Wärmeschutzverordnung zur Lebenszyklusbetrachtung
Eine Erfassung und Bewertung von Umwelteinflüssen im Betrieb eines Gebäudes gibt es bereits seit einigen Jahrzehnten. Die erste Wärmeschutzverordnung stammt aus dem Jahr 1977, damals mit dem Fokus auf Energieeffizienz im Gebäudebetrieb. Nach der 2002 eingeführten Energiesparverordnung (EnEV) ist inzwischen das Gebäudeenergiegesetz (GEG) rechtliche Grundlage für den effizienten Gebäudebetrieb. In der ersten Fassung des GEG aus dem Jahre 2020 finden sich erstmals Passagen, die über den Betrieb eines Gebäudes hinaus auch vor- und nachgelagerte Lebenszyklusphasen mit in den Blick nehmen:

„Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat werden dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Dezember 2022 gemeinsam einen Bericht über die Ergebnisse von Forschungsprojekten zu Methodiken zur ökobilanziellen Bewertung von Wohn- und Nichtwohngebäuden vorlegen.“ (§ 7 Absatz 5 GEG) 
Der hier erwähnte Bericht wurde Ende 2023 veröffentlicht.

Auch die derzeitige Regierung von SPD, Grünen/Bündnis 90 und der FDP hat sich im Koalitionsvertrag zu einer Lebenszyklusbetrachtung bekannt:
„Wir werden die Grundlagen schaffen, den Einsatz grauer Energie sowie die Lebenszykluskosten verstärkt betrachten zu können.“ (Koalitionsvertrag, Seite 90)
Ebenso nimmt die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2021 die Erfassung und Bewertung von Energie- und Stoffströmen in den Blick. 

Treibhausgasemissionen im Gebäudebetrieb 
Zum CO2-Verbrauch im Gebäudebetrieb sind konkrete gesetzgeberische Initiativen schon heute in Kraft. Das Klimaschutzgesetz gibt mit CO2-Minderungszielen einen Pfad zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 vor. Im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) wird bereits seit 2021 der Ausstoß von CO2 im Gebäudebetrieb mit einem nationalen CO2-Preis belegt. Dieser steigt im Jahr 2024 für eine Tonne CO2 auf 45 € und 2025 auf 55 €. Ab 2026 sollen dann die starren Preisvorgaben schrittweise durch einen Handel mit CO2- Emissionszertifikaten abgelöst werden. Zunächst werden Zertifikate in einem abgesteckten Preiskorridor zwischen 55 € und 65 € versteigert. Und ab 2027 soll die nationale CO2-Bepreisung im Gebäudebereich in einen EU-weiten CO2-Emissionshandel übergehen (Emissions Trading System 2 – ETS 2). Dann wird der Preis für eine Tonne CO2 am Markt gebildet. Ein konkreter Preis lässt sich schwer prognostizieren, Experten gehen jedoch von einem deutlichen Anstieg des CO2-Preises aus.

Initiativen der EU
Auf EU-Ebene nimmt man CO2-Emissionen – sowohl im Betrieb als auch in der Herstellung – bereits seit längerer Zeit in den Blick. Mit dem europäischen „Green Deal“ haben sich die Mitgliedsstaaten zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet. Als Etappenziel bis 2030 wurde im europäischen Klimaschutzgesetz eine Senkung der Netto-Treibhausgasemissionen in der EU um mindestens 55 % gegenüber 1990 festgeschrieben. Zudem gilt seit 2005 der EU-Emissionshandel (ETS, noch ohne die Bereiche Gebäude und Verkehr), u. a. für energieintensive Industrien. Aufgrund von Ausnahmeregelungen hatte dieser Zertifikatehandel bisher kaum direkten Einfluss auf die Preisentwicklung der CO2-intensiven Zement- und Stahlproduktion. Dies scheint sich jedoch mit Blick auf das bis 2030 formulierte CO2-Reduktionsziel zu ändern. Von Seiten der EU will man den CO2-Deckel, und damit die Anzahl der Zertifikate, deutlich reduzieren. Auch Ausnahmeregelungen sollen schrittweise zurückgefahren werden. Zusätzlich soll dann ab 2027 der europäische Zertifikatehandel auf die Bereiche Gebäude und Verkehr ausgeweitet werden (ETS 2). Jedes verbrauchte Kilogramm CO2 in der Herstellung und im Betrieb von Gebäuden wird sich damit sukzessive und spürbar in den nächsten Jahren verteuern. 

Die EU-Taxonomieverordnung ist Teil des „Green Deal“ und ein weiteres europäisches Steuerungsinstrument. Mit dieser Verordnung werden nachhaltige und umweltfreundliche Wirtschaftstätigkeiten innerhalb der EU allgemeingültig klassifiziert. Unternehmen finden unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ nun klare Regeln und Rahmenbedingungen. Sie geben Unternehmen Orientierung darüber, in welchem Umfang Investitionen und Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig einzustufen sind. Und hier werden beispielsweise die Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus bei der Entwicklung von Neubauprojekten (Fläche größer 5000 m²) als Teil des Bewertungssystems herangezogen. 

Im Überarbeitungsprozess befinden sich aktuell die Europäische Gebäuderichtlinie (EPBD) und die EU-Bauproduktenverordnung (EU-BauPVO). Mit der Neufassung der EPBD sollen u. a. Etappenziele für die nächsten Jahre bei der Energieeffizienz des Gebäudebestandes formuliert werden. Neubauten sollen zukünftig keine Emissionen aus fossilen Brennstoffen mehr aufweisen dürfen. Bei der Novellierung der EU-BauPVO wird eine Informationspflicht zu Klima- und Umweltauswirkungen, Ressourcenverbrauch, Recyclingfähigkeit und Wiederverwendbarkeit von Bauprodukten diskutiert. Allesamt wichtige Grundlagen für eine Lebenszyklusbetrachtung. Die Neufassungen von EPBD und BauPVO sollen noch im ersten Halbjahr 2024 verabschiedet werden.

Bund fördert Ökobilanzierung
Mit dem von der Bundesregierung im Jahr 2021 eingeführten staatlichen „Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude“ (QNG) hat die Ökobilanzierung in jüngster Zeit an Bedeutung gewonnen. Das QNG formuliert Anforderungen an Gebäude, u. a. eine Begrenzung der Treibhausgasemissionen im vollständigen Lebenszyklus auf Basis einer Ökobilanzierung. Das QNG ist Grundlage der Förderkulisse für nachhaltiges Bauen. Gefördert werden Neubau und Komplettsanierungen von Wohn- und Nichtwohngebäuden. Neu ist seit Juni 2023, dass mit dem vom BMWSB gestarteten Programm „Wohneigentum für Familien“ erstmals eine Förderung möglich ist, die explizit auf die Anforderungen an eine Ökobilanzierung abzielt. Der umfangreiche QNG-Kriterienkatalog muss hier nicht berücksichtigt werden.

Ordnungspolitische Vorgaben zur Erstellung einer Lebenszyklusanalyse gibt es derzeit noch nicht. Initiativen zu einer gesamtheitlichen Gebäudebetrachtung über die reine Betriebsphase hinaus werden jedoch forciert. So soll beispielsweise laut Koalitionsvertrag noch in dieser Legislaturperiode ein digitaler Gebäuderessourcenpass eingeführt werden. Der Gebäuderessourcenpass soll Auskunft geben über die im Gebäude verbauten Rohstoffe und Produkte sowie über ihre Qualität und Kreislauffähigkeit. Ob und wann der digitale Gebäuderessourcenpass Einzug ins Bauordnungsrecht hält, ist noch offen. 

CO2-Emissionen im Gebäudebetrieb haben heute schon ein Preisschild. Eine sich abzeichnende Ressourcenknappheit zwingt Planerinnen und Planer zudem zu einem effizienten Einsatz von Materialien, zur Einbindung von vorhandenen wiederverwendbaren Baustoffen am Beginn des Gebäude-Lebenszyklus und zu Überlegungen zur weiteren Verwendung von Bauteilen und Baustoffen am Ende des Gebäude-Lebenszyklus. Eine wesentliche Stellschraube für eine ökobilanzielle Optimierung spielt dabei – allein schon aufgrund der Materialmassen – die Tragkonstruktion. Mit der Kompetenz und Kreativität von Ingenieurinnen und Ingenieuren können hier frühzeitig entscheidende Weichenstellungen im Planungsprozess getroffen werden. 

Die genannten Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene machen deutlich, dass Gebäude vom Anfang bis zum Ende gedacht werden müssen. Dafür ist die Lebenszyklusanalyse auf Basis eine Ökobilanzierung ein elementarer Baustein. Noch ist eine Lebenszyklusanalyse nicht zwingend, doch Marktteilnehmer – Investoren, Immobilienfondsmanager und die öffentliche Hand – werden Treiber dieser Entwicklung in den nächsten Jahren sein. Wir stehen erst am Anfang.  

1  Nachhaltigkeit wird hier und im Folgenden unter ökologischen Aspekten betrachtet. Im klassischen Dreiklang der Nachhaltigkeit gehören als weitere Dimensionen die Ökonomie und das Soziokulturelle dazu. 
2  gemäß DIN EN 15643 – Nachhaltigkeit von Bauwerken – Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken
3  Weitere Indikatoren sind: Primärenergie – nicht erneuerbar (PENE), Ozonabbaupotential (ODP), bodennahes Ozonbildungspotential (POCP), Eutrophierungspotential (EP) und Versauerungspotential (AP). Diese Kriterien spielen jedoch bei der Bewertung eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.
4  Eine Gasheizung stößt 201 g CO2 pro kWh aus; bei einem jährlichen Verbrauch von 20.000 kWh (typisch für ein älteres Einfamilienhaus) ergeben sich ca. 4 Tonnen CO2-Emissionen. Eine Ölheizung stößt 266 Gramm CO2 pro kWh aus; bei einem Verbrauch von 20.000 kWh (2.000 Liter) ergeben sich 5,3 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr. Für ein saniertes Gebäude EH 55 mit einem jährlichen Verbrauch von 5.000 kWh liegen sind die CO2-Emissionen deutlich geringer. 

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