Die IT-Integration als Erfolgsbarometer

Eine Herausforderung bei Fusionen

Deutsches Ingenieurblatt 11/2021
Spectra Logic Corporarion
TVN Production GmbH & Co. KG
Ingenieurbüro – Recht & Finanzen
Digitalisierung

Bei der Fusion zweier Unternehmen spielt die IT-Integration eine Schlüsselrolle, weil heute fast alle Prozesse in den Unternehmen computer- bzw. netzgestützt ablaufen. Wer hierbei nach der Devise „möglichst schnell und günstig“ verfährt, erreicht die Ziele der Fusion meist nicht.

Die Bedeutung der IT für den Erfolg von „Mergers & Acquisition“(M&A)-Projekten wird oft unterschätzt. Regelmäßig verzögern sich Unternehmensübernahmen und -integrationen, weil 

  • die IT-Systeme noch separiert sind,
  • redundante Strukturen noch beseitigt und
  • Service-Vereinbarungen für IT-Dienstleistungen, die der Käufer weiterhin einige Zeit beziehen möchte, ausgehandelt werden müssen.

Augen zu und durch funktioniert nicht
Die IT-Verantwortlichen stehen nach dem Zukauf von Unternehmen in der Regel vor einer großen Herausforderung, auch weil sie meist mit zu niedrigen Budgets und zu knapp bemessenen zeitlichen Ressourcen operieren müssen. Zugleich wissen sie: Schlagen nur einige Workstreams, also Teilprojekte bei der IT-Integration fehl, hat dies vermutlich fatale Konsequenzen.

Ein „Augen zu und durch“ ist hierbei nicht möglich, denn 

  • zu groß sind heute in fast allen Unternehmen die Abhängigkeit der Geschäftsprozesse von der IT und
  • entsprechend komplex ist der Prozess, neue Abläufe mit den bestehenden abzugleichen und am Laufen zu halten.

Hinzu kommt: Manche Funktionsbereiche, zum Beispiel das Rechnungswesen, die Kommunikationssysteme und die IT-Sicherheit, müssen nach dem Unternehmenskauf sofort umgestellt oder integriert werden, andere können warten. Aufgrund der Komplexität und Vielfalt der Aufgaben kommt es dabei immer wieder zu folgenschweren Fehlern.

Die vier Kernprobleme bei der IT-Integration
Bei der IT-Integration innerhalb von M&A-Projekten gibt es vier Themenbereiche mit einem hohen Konfliktpotenzial, die eine hohe Interdependenz aufweisen. Diese sollten die Entscheider kennen, denn dann lassen sich typische Fallstricke umgehen und der Integrationsprozess läuft stressfreier.

Der zentrale Problembereich ist meist die Komplexität der IT-Systeme und -Lösungen. Diese lässt sich oft nur schwer vereinbaren mit dem Wunsch nach

  • niedrigen IT- und Integrationskosten,
  • geringen Integrationsrisiken und
  • einer hohen Umsetzungsgeschwindigkeit.

Problembereich 1: Komplexität der IT-Systeme und -Lösungen
Werden bei der Due Diligence – also dem Prüfungsprozess bei einer M&A-Transaktion, bei dem das Zielunternehmen alle wichtigen Dokumente, Prozesse und Güter offenlegt – die Soft- und Hardware-Standards abgeglichen, zeigt sich meist schnell: Es gibt viel zu tun. Redundante Systeme und Softwarelösungen müssen konsolidiert, Daten übertragen und die Benutzer für die jeweils unbekannte Software geschult werden.

Kompliziert wird die IT-Integration speziell dann, wenn das Zielunternehmen bzw. erworbene Unternehmen für wichtige Prozesse eine selbstentwickelte Software nutzt, während beim Käufer hierfür eine Standardsoftware zum Einsatz kommt. Dann erhöht die mit der IT-Anpassung an die Geschäftsprozesse verbundene Datenmigration die Komplexität um ein Vielfaches.

Allgemein gilt: Eine Reduzierung der System- und Applikationskomplexität geht oft zu Lasten der Lösungsvielfalt und -freundlichkeit. Die Stärken bzw. Kernkompetenzen eines Unternehmens können durchaus in seinen Prozessen und IT-Systemen liegen bzw. sich darin widerspiegeln. Diese gilt es in der Regel zu bewahren. Deshalb sollten Konsolidierungen mit Bedacht geplant werden.

Tipp: Verschaffen Sie sich innerhalb der Due Diligence einen fundierten Überblick über die unterschiedlichen Systeme und Applikationen. Richten Sie neue Anforderungen gemäß der Integrationsstrategie und dem Operating Model (also dem Plan, wie künftig zusammengearbeitet wird) des neuen, gemeinsamen Unternehmens aus. Identifizieren Sie die kritische Software und Infrastruktur, die zum „Day One“ bereitstehen muss.

Problembereich 2: IT- und Integrationskosten
Bis zu zwei Drittel der Kostensynergien, die bei einer M&A-Transaktion erzielbar sind, hängen von der IT ab. Zentrale Synergietreiber sind die Konsolidierung der Systeme, Prozesse und Dienstleistungen sowie die Zentralisierung der sogenannten Shared Services.

Um diese Synergien zu erzielen, benötigt man die entsprechenden personellen Ressourcen. Diese werden im Vorfeld meist zu niedrig kalkuliert, auch um den Deal möglichst attraktiv erscheinen zu lassen. Als Faustregel kann gelten: Die IT-Kosten machen 30 Prozent und mehr der Gesamtintegrationskosten aus. Dies gilt insbesondere dann, wenn ERP-Systeme konsolidiert werden müssen und externe IT-Berater involviert sind.

Auch die Lizenzkosten sorgen oft für unangenehme Überraschungen. Wurde zum Beispiel während der Due Diligence nicht geklärt, wer die Besitzrechte an den Lizenzen hält oder um welche Art von Lizenzen es sich handelt (Sind z. B. Wartungen ausgeschlossen?), müssen eventuell neue Lizenzen erworben werden.

Knappe Budgets gehen meist mit einer Reduktion des IT-Supports einher; das steigert die Unzufriedenheit der Mitarbeiter. Wer im Integrationsprozess produktive und motivierte Mitarbeiter haben möchte, sollte vermeiden, dass System- und Softwareprobleme diesen die Arbeit erschweren.

Tipp: Bauen Sie in die Kostenplanung Puffer für unvorhergesehene Probleme und unerwartete Kosten ein. Diese entstehen bei der IT-Integration immer – auch bei einer guten Planung. Legen Sie Widerspruch ein, wenn die Kosten unrealistisch niedrig budgetiert werden, denn: Sie und Ihr Team müssen die Suppe später auslöffeln.

Problembereich 3: Integrationsrisiken
Sind die personellen Ressourcen knapp, schlummern in der IT-Integration viele Gefahren, wie zum Beispiel

  • Projektverzögerungen,
  • eine geringe Mitarbeitermotivation,
  • eine niedrige Arbeitsmoral und -produktivität sowie
  • Probleme beim Aufrechterhalten der laufenden Systeme.

Bei allen Veränderungen während der IT-Integration sollte darauf geachtet werden, dass die Ziele nicht kollidieren. So sollte zum Beispiel bei den rasch umzusetzenden System-Migrationen sichergestellt sein, dass laufende Entwicklungs- oder Testumgebungen nicht einfach „platt gemacht“ werden und danach viele Mann-Tage nötig sind, um diese zu rekonstruieren.

Aufgrund der wachsenden Cyber-Kriminalität gilt es zudem, die Datencenter, IT-Anlagen, Kommunikationssysteme und Netzwerke vor dem Zugriff Dritter zu schützen. Bei jeder IT-Integration besteht die Gefahr, dass Lücken entstehen und sensible Daten zeitweise unzureichend gesichert sind. Werden Softwareprogramme von der IT-Security abgeschaltet, können Kundendaten eventuell nicht mehr ausgelesen und Bestellungen nicht mehr aufgegeben werden. Die Abfolge der Integrationsmaßnahmen muss unter Berücksichtigung der Interdependenzen und möglicher Zielkonflikte koordiniert und getaktet werden, um Schäden zu vermeiden.

Tipp: Wichtig ist eine detaillierte Integrationsplanung, die mit den Transaktionszielen und der IT-Strategie abgestimmt ist. Stellen Sie sicher, dass ein Day-One-Plan vorliegt, kritische zeitsensitive Aktionen frühzeitig gestartet werden und die Abhängigkeiten und Zielkonflikte bei der Maßnahmenplanung berücksichtigt werden.

Problembereich 4: Umsetzungsgeschwindigkeit
Zeit ist Geld. Das stimmt! Doch gut Ding will auch Weile haben. Die Erfahrung bei M&A- und Unternehmensintegrationsprojekten zeigt: Werden Integrationsziele nicht in den ersten sechs bis neun Monaten erreicht, sinkt die Wahrscheinlichkeit stark, dass sie jemals erreicht werden. Denn schwindet die erste Begeisterung für den Deal und holt die Mitarbeiter das Tagesgeschäft ein, sinkt unweigerlich die Motivation und somit Produktivität.

Deshalb ist zum Beispiel, wenn das ERP-System des erworbenen Unternehmens mit dem des Käufers verschmolzen werden soll, ein baldiger Harmonisierungsstart von Vorteil. Denn er signalisiert: Wir wollen zusammenwachsen, und die neue Organisation erhält ein IT-System, das die Vorzüge aus beiden Unternehmen vereint.

Oft lassen sich für eine Übergangszeit redundante Applikationen und manuelle
Lösungen, die zum Beispiel den Austausch von Informationen und das Zusammenwirken unterschiedlicher Applikationen ermöglichen, nicht vermeiden. Solange dieser Zustand keine Dauerlösung wird, ist dies ein notwendiges Übel, das es zu akzeptieren gilt.

Wichtig ist jedoch generell, dass die Pläne und Ziele realistisch sind. Illusorisch wäre zum Beispiel das Ziel, bei der Fusion zweier größerer, international agierender Unternehmen alle Standorte weltweit in drei, vier Wochen an die IT anzubinden. Wer bei der Integrationsplanung außer Acht lässt, ob die eigene Organisation dies stemmen kann, verbaut sich von Anfang an den Integrationserfolg.

Tipp: Bleiben Sie flexibel bzw. neudeutsch „agil“. Reagieren Sie schnell auf neue, unverhofft auftretende Probleme. Nutzen Sie die Harmonisierung der IT auch zur Stammdatenbereinigung. Lassen Sie redundante Systeme möglichst kurz parallel laufen, weil sich sonst noch mehr Daten anhäufen. Und: Bleiben Sie realistisch mit Ihren Erwartungen und Plänen.

Und noch ein Tipp
Die obigen Aussagen gelten auch für die Integration von Tochterunternehmen und die Fusion zweier Standorte eines Unternehmens. Solche Projekte sind jedoch meist leichter zu managen als M&A-Projekte, bei denen es außer der Struktur auch die Kultur zu harmonisieren gilt.

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