Dreikant mit Aussicht

Effektives Tragwerk für Turmröhre und -helm

Deutsches Ingenieurblatt 05/2021
Objekte

Als separater Campanile ergänzt der neue Glockenturm in Bleibach die Pfarrkirche daneben. Brettsperrholz-Elemente bilden den Dreikant mit einseitig in die Höhe gezogener Spitze. Am vermeintlich einfachen Tragwerk gab es viele knifflige Stellen zu lösen.

Bleibach im Naturpark Südschwarzwald, rund 20 Kilometer nordöstlich von Freiburg im Breisgau gelegen, ist seit 2019 um einen Glockenturm und einen Aussichtspunkt reicher. Ein dreieckiger Turm in Holzbauweise ragt dort in den Himmel. Schon von weitem sieht man das neue Wahrzeichen des kleinen Orts. Als separater Campanile ergänzt er die Pfarrkirche St. Georg daneben, dient ihr als Glockenturm und Besuchern auf Anfrage zudem als Aussichtsturm. Die darin eingefügte Aussichtsplattform bietet die Möglichkeit, auf die Gipfel der umgebenden Schwarzwaldberge oder in die drei Schwarzwaldtäler Elztal, Simonswäldertal und Sigelauertal zu blicken, in deren Schnittpunkt der Turm steht.

Dreieckiger Glockenturm ergänzt Bestandsbau
Der knapp 34 m hohe Turm in Holzbauweise geht in seiner dreieckigen Form auf den dreiecksförmigen Grundriss der Kirche ein und ergänzt ihn als Spitze. Die steil abfallenden Linien des Turms leiten sich ebenfalls vom Bestand ab und verdeutlichen die Beziehung zwischen den beiden Gebäuden.

Die Kirche besteht aus einem gotischen Chor aus dem 16. Jahrhundert und einem in den 1970er-Jahren hinzugefügten zeltartigen Gebäudeteil mit roter Aluminiumdeckung. Damals hat der verantwortliche Architekt bewusst auf einen Glockenturm verzichtet. Stattdessen wurde ein Geläut in einem Stahlglockenstuhl über dem gotischen Chorraum im Bereich des Dachs eingebaut. Die beim Läuten entstandenen Schwingungen verursachten jedoch über die Jahre Risse im Kreuzrippengewölbe des Chorgestühls. Infolgedessen wurde klar: Die vier Glocken müssen an einem neuen Ort unterkommen. Den haben sie nun im separat stehenden Holzturm gefunden.

Dreikant hält Schwingungen stand
Der neue Glockenturm besteht aus drei Teilen: dem Turmschaft, der Glockenstube und dem Turmhelm. Den Grundriss des Turms bildet ein gleichseitiges Dreieck mit einer Seitenlänge von etwa 6,60 m. Die wie ein Dreikant aufragende Holzröhre mit spitz zulaufendem Dach wurde auf einem Stahlbeton-Ringfundament mit etwa 3,30 m hohen Fundamentwänden und einer 45 cm dicken Bodenplatte errichtet und über einbetonierte Stahl-Stabanker sowie eingeschlitzte Bleche und Stabdübel an sie angebunden. Das Ringfundament selbst ist vollständig mit Gneissplitt gefüllt. Dieser dient gleichzeitig als Boden im Eingangsbereich.

Die Röhre bilden Brettsperrholz(BSP)-Elemente mit 20 cm Wandstärke, gefertigt aus Weißtannenholz, der Charakterbaumart des Schwarzwalds. In der unteren Turmhälfte befi ndet sich das Treppenhaus mit 60 Stufen und zwölf Zwischenpodesten – ebenfalls beides aus Weißtanne. Dabei folgen auf das 3,04 m hohe Erdgeschoss fünf etwa 2,28 cm hohe Abschnitte, in denen sich die Treppe emporwindet. Sie endet in 14,44 m Höhe auf der Aussichtsplattform, die ein Höhensegment von 2,70 m einnimmt. Darüber folgt mit 2 x 2,90 m die Glockenstube mit dem über diese zwei Ebenen reichenden Glockenstuhl. Ihre Lage ist von außen durch die aufgefächerten Lamellen zu erkennen. Die BSP-Elemente des etwa 11 m hohen Turmhelms in Form einer dreiseitigen Pyramide schließen die Röhre nach oben hin ab.

Da ein Dreieck in sich stabil ist und sich selbst aussteift, stellt die Dreiecksform ein eff ektives Tragwerk für Turmröhre und -helm dar. Aufgrund der beim BSP verklebten Längs- und Querlagen weisen die Wandelemente eine entsprechend hohe Steifi gkeit und Formstabilität auf. Das ermöglichte nicht nur, die anspruchsvolle Statik der Turmkonstruktion zu bewältigen, sondern auch die dynamischen Lasten aus den schwingenden Glocken aufzunehmen.

Tragwerk aus zwei geschlossenen und einem aufgelösten Teil
Tragwerksplanerisch gliedert sich der Turm in zwei Teile: in die geschlossene Holzröhre mit Treppenhaus bis zur Aussichtsplattform auf 14,44 m Höhe und den darüber folgenden, halb aufgelösten, halb geschlossenen Bereich.

Im unteren Teil sorgen die 20 cm dicken Wandscheiben für die Lastabtragung und die Aussteifung. Die in die Zwickel eingefügten 16 cm dicken BSP-Podeste fungieren dabei als Beulsteifen, das heißt, sie stabilisieren die Wandfl ächen und wirken einem Beulen infolge von Windkräften entgegen – ein zentraler Aspekt, denn Windlasten stellen aufgrund der Höhe des Turms neben den dynamischen Kräften die maßgebende Bemessungsgröße dar.

Der aufgelöste Teil des oberen Bereichs aus Aussichtsplattform und Glockenstube besteht aus drei V-förmigen BSP-“Stützen“ in den Turmecken mit etwa 1,10 m Schenkellänge (Außenmaß). Sie setzen die optische Linie der Turmkanten über 9,40 m Höhe fort und enden unterhalb des Turmhelms. Analog zu den Podesten des unteren Teils erhielten die V-Stützen in regelmäßigen Abständen über die Höhe ebenfalls Ecksteifen – hier aus Stahl. Auch sie wirken als Beulsteifen Windkräften entgegen.

Zusammen mit den horizontalen Elementen bilden die Eckstützen drei ebene Rahmentragwerke aus: Sie setzen sich je Turmseite zusammen aus den Plattenschenkeln der beiden V-Stützen, dem oberen, die Glockenstube abschließenden 1,20 m hohen BSP-Querriegel, der zwischen den Plattenenden der Stützen eingehängt ist, und dem Brettschicht(BS)-Holz-Ringgurt (b/h = 20 cm x 30 cm, GL24h) in Ebene des Glockenstubenbodens. Weil aber die Glockenstube zu hoch ist, um die erforderliche Steifigkeit zu erreichen, wurden die Rahmentragwerke auf halber Höhe der Glockenstube zusätzlich über horizontale Stahlprofi le in Außenwandebene zusammengespannt und über Stahlzugbänder ausgekreuzt. Die 14 cm dicke Decke des Turmhelms schließt das Ganze oben ab. So können Beulkräfte infolge Windlasteinwirkung sowohl über diese aussteifende Deckenscheibe als auch die der Glockenstube bzw. über die Stahl-Riegel des Fachwerks und den BS-Holz-Ringgurt (b/h = 18 cm x 16 cm, GL24h) in Ebene der Aussichtsplattform aufgenommen und abgeleitet werden – ergänzt durch die Ecksteifen.

Über die damit erreichte Gesamtsteifi gkeit war es zudem möglich, alle statischen Lasten – auch aus Glockenstuhl und Turmhelm – sowie alle dynamischen Lasten aus dem Schwingen der Glocken aufzunehmen und gleichzeitig im Bereich der Aussichtsebene auf Stahlauskreuzungen zu verzichten.

Betrachtet man die V-Stützen unabhängig vom Rahmentragwerk, bilden sie einen Einfeldträger mit Kragarm aus. Dabei fungiert der Stützenteil, der über die Höhe der Glockenstube führt, als Einfeldträger und der Teil zwischen dem Boden der Glockenstube und dem der Aussichtsplattform als Kragarm. Die Stützenfüße sind daher über eingeschlitzte Bleche entsprechend gelenkig auf dem erwähnten Ringgurt aus BS-Holz-Trägern (b/h = 18 cm x 16 cm) angeschlossen.

Kippen nicht möglich: Eigengewicht überdrückt (fast) die Zugkräfte
Das Eigengewicht des Turms ist relativ hoch, sodass er durch Horizontalkräfte aus Wind oder den dynamischen Lasten aus dem Schwingen der Glocken kaum kippen kann. Das heißt, die Eigenlast überdrückt (nicht ganz, aber) fast die wirkenden Zugkräfte. Die verbleibenden Zuglasten nehmen die ins Fundament einbetonierten Zuganker auf. Im Grunde wirkt der Turm wie ein Kragarm, der ins Fundament eingespannt ist. Das Eigengewicht inklusive Fundamentkörper mit Splitt ermöglichte den Verzicht auf weitere Zugverankerungen im Baugrund.

Montagekonzept fügt Ecksegmente samt eingebauten Podesten
Die Turmröhre wurde in drei Segmenten vorgefertigt und zwar als 14,44 m hohe V-förmige Wandwinkel mit einer Schenkellänge von etwa 3 m. Sie bestehen aus je zwei BSP-Wandplatten, deren Ecken mit Passbolzen verbunden wurden, und den vier Podesten als aussteifende Schotte. So vorgefertigt konnten sie per Kran auf das Ringfundament abgestellt werden. Über ebenfalls vormontierte Stahlteile mit Schlitzblechen hat man sie dann mit wenig Aufwand an die in die Fundamentwände einbetonierten Zug- und Schwerlastanker angeschlossen. Das zweite und dritte Segment folgten analog. Die Längskanten sind jeweils per Überblattung gestoßen. Verschraubungen verbinden sie konstruktiv, während Nagelbleche auf der Außenseite den kraftschlüssigen Anschluss herstellen.

Nach Fertigstellung erhielt die Röhre einen abschließenden Kranz aus BS-Holz-Trägern, der das Ganze wie ein Ringgurt zusammenhält. Dann galt es, die 10 cm dicken Treppenwangen einzuheben. Sie mussten aufgrund ihrer Geometrie von oben nach unten montiert werden. Das heißt, die oberste Wange wurde zuerst montiert, dann die nächst untere eingefädelt und montiert und so weiter. Nur so konnten die Elemente mit den vielen schrägen Verschneidungen verkantungsfrei aneinandergefügt und verbunden werden. Das Treppenauge ließ gerade so viel Platz, dass diese Vorgehensweise funktionierte. Die Treppenstufen konnten zuletzt einfach über Aluwinkel zwischen Wand und Wange eingehängt werden.

Anschließend wurden die V-förmigen Eckstützen auf dem Ringgurt positioniert und an diesen angeschlossen, dann der Boden der Glockenstube eingefügt und als oberer Abschluss die knapp 1,20 m hohen BSP-Querträger zwischen die Enden der Ecksegmente eingefügt. Es folgte der Einbau der Stahlfachwerke bzw. -auskreuzungen, dann der Glockenstuhl samt Glocken und zu guter Letzt die Decke bzw. der Boden des Turmhelms. Das spitz zulaufende Dach in Form einer dreiseitigen Pyramide schließt den Turm als selbsttragende Konstruktion und vervollständigt das Tragwerk.

Brandschutz forderte F30,was durch Heißbemessung erreicht wird
Für den Turm war eine Feuerwiderstandsklasse von F30 gefordert. Dabei sind alle Bauteile – auch die Treppenstufen – auf Abbrand bemessen (Heißbemessung). Das heißt, der statisch erforderliche Querschnitt, der bei der sogenannten Kaltbemessung rein lastbezogen ermittelt wird, wird mit einer Holzschicht „aufgestockt“, die dann im Brandfall abbrennen und verkohlen darf. Diese Kohleschicht schützt den tragenden Kernquerschnitt über die entsprechende Feuerwiderstandsdauer.

Als erster Fluchtweg dient die Turmtreppe, als zweiter Fluchtweg kann über die Fenster der Aussichtsebene angeleitert werden.

Accoya als Rundum-Witterungsschutz mit Auflagen in der Dachschräge
Als konstruktiven Holzschutz wählten die Planer für Wand- und Dachflächen eine hinterlüftete Fassadenschalung aus Accoya-Holzbrettern. Das mit Essigsäureanhydrid chemisch modifizierte Holz (Acetylierung) gilt als besonders widerstandsfähig gegen Witterungseinflüsse sowie holzzerstörende Pilze und Insekten. Die Bretter sind vertikal angeordnet, wobei horizontale Blechleisten die Fassade in „Etagen“ gliedern. Licht- und Luftschlitze rundherum lockern die Flächen auf. Im Bereich der Glockenstube sorgen zudem breite, vertikale Lamellen für eine gelenkte Ausrichtung des Schalls. Diese Lamellen stehen leicht über die Fassadenfläche hinaus bzw. die Schiebeläden der Aussichtsplattform schneiden etwas in sie ein, was dem Erscheinungsbild des Turms eine gewisse Dynamik verleiht.

Während die Fassade des Turms auf zwei Seiten nahtlos in den Turmhut übergeht und bis zur Spitze senkrecht bleibt, ist die dritte Dachfläche geneigt und erhielt unter der Accoya-Holzschalung eine Abdichtung gegen Witterung. Für diesen Aufbau der als „harte Bedachung“ eingestuften Dachfläche, die auch von den Behörden und dem Brandschutzgutachter gefordert worden war, benötigte man jedoch ein Brandschutz-Prüfzeugnis. Das gab es allerdings für die Kombination „Holzschalung über einer Abdichtung“ nicht. Um ein Blechdach an dieser Fläche zu verhindern, war eine entsprechende Prüfung erforderlich. Die gutachterliche Stellungnahme und dann auch eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) ermöglichten schließlich, dass das Dach wie vorgesehen ausgeführt werden konnte.

Turm für Glocken mit Aussicht und Brutvorrichtungen
Die rundum angebrachten Schiebeläden auf Höhe der Aussichtsebene lassen sich soweit zur Seite öffnen, dass Besucher auf allen drei Seiten einen wunderbaren Ausblick über die Täler und Berge haben. Und weil das so besonders ist, wird der Turm für diesen Zweck auch für Führungen geöffnet. Doch das ist nicht alles: Im Turmhelm über dem Glockengestühl sind verschiedene Ebenen mit Nistkästen vorgesehen. Sie bieten bedrohten Vogelarten wie Mauerseglern, Turmfalken, Störchen und Eulen, aber auch Fledermäusen Brutplätze und Nester.

An der Fassade des Glockenturms ist zwar keine Uhr angebracht, die ungefähre Tageszeit lässt sich (bei Sonnenschein) an seiner Hülle aber dennoch abschätzen. Denn die Dreiecksform hat zur Folge, dass meist eine Fassadenseite in der Sonne steht und die beiden anderen im Schatten liegen. Zusätzlich erhält der Turm allein durch das Licht ein lebendiges Äußeres: Er erscheint im wahrsten Sinne des Wortes von jeder Seite anders.

Spendengelder ermöglichten das neue Wahrzeichen von Bleibach
Die Baukosten des Projekts inklusive dem Austausch und der Wiederherstellung der alten Glockenstube beliefen sich auf rund 658.500 Euro. Dabei stammen 110.000 Euro aus Spenden, ein Großteil davon stammt vom Weißtannen-Forum in Freiburg. Dies ist einer der Gründe, warum sowohl das BSP als auch das BS-Holz aus Weißtanne verarbeitet wurden.

Da die Bauherrschaft mit Holz einen umweltfreundlichen, CO2-neutralen und nachhaltig verfügbaren Baustoff verwendet hat, wurde der Turm in einem Wettbewerb vom Land Baden-Württemberg darüber hinaus als innovatives Bauwerk bewertet und erhielt einen Zuschuss von 100.000 Euro aus dem EFRE-Förderprogramm (für innovativen Holzbau der Europäischen Union). Die Kirchengemeinde musste dennoch einen erheblichen Anteil als Darlehen finanzieren und ist auf weitere Spenden angewiesen. Eine Möglichkeit für Spendenwillige bietet sich im „Kauf einer Treppenstufe“: Für einen Mindestbetrag von 400 Euro kann sich der Sponsor einer Stufe mit einem Namensschild auf selbiger verewigen.

Im Herbst 2020 wurde der Glockenturm gleich zweimal mit dem Iconic Award des Rats für Formgebung ausgezeichnet. Der Preis honoriert zum einen das architektonische Konzept, zum anderen die innovative Materialwahl.

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