Liebe Leserinnen und Leser,
unsere Innenstädte befinden sich im Wandel. Es war schon vor Cornona spürbar, die Pandemie wirkt nun lediglich als Katalysator. Die Innenstädte aus den 80er- und 90er-Jahren waren Orte des Konsums; dort fuhren wir hin, um uns einzukleiden, technische Geräte auszuprobieren oder all das zu kaufen, was der Laden an der Ecke nicht hatte. Wenn man ehrlich ist, sind die wenigsten Großstadtkerne „schön“ zu nennen. „Praktisch“ trifft es schon eher. Und wer sein eigenes Kaufverhalten auf den Prüfstand stellt, erkennt vielleicht, dass er schon lange nicht mehr um des Einkaufens Willen „in der Stadt” war. Alles was es dort gibt und noch viel mehr, können wir heute im Internet bestellen. Manchmal mit der Lieferung am gleichen Tag. Und wer dann doch mal ins Zentrum fährt, sieht, dass die Leerstände immer mehr werden und manche Seitenstraße den Charme einer Geisterstadt versprüht; bestenfalls ist da noch das kleine Restaurant, unverändert seit 30 Jahren am Ort, – ein nostalgischer Anblick.
Es sind häufig wieder, wie im Mittelalter, die Kirchtürme, die Orientierung bieten und Stadtidentität stiften. Denn der Rest ist austauschbar. International tätige Filialisten haben sich, immer orientiert an der jeweiligen Kaufkraft, in allen Innenstädten positioniert. Die Fußgängerzonen gleichen sich wie ein Ei dem anderen, und gäbe es nicht den Dialekt der Bewohner, wüsste man oft kaum, in welcher Stadt man sich gerade befindet.
Überraschend kam die Entwicklung nicht. Die Städte sind immer ein Spiegelbild der aktuellen Bedürfnisse seiner Bewohner. In einer Zeit, wo das Auto für die meisten von uns das Fortbewegungsmittel Nummer 1 ist, hat sich auch das Stadtbild daran orientiert. Wo die Luftangriffe im zweiten Weltkrieg ganze Straßenzüge dem Erdboden gleich machten, wurde in den Folgejahrzehnten mit breiten verkehrsreichen Straßen und geräumigen Parkflächen dem Wunsch nach bestmöglicher Erreichbarkeit der Wirtschaftszentren nachgekommen. Doch das hat nun ausgedient. Und es wird viel darüber nachgedacht, wie man den Leerstand und die teilweise wenig einladenden Zentren wiederbeleben könnte. Einige unserer Nachbarländer machen es bereits vor: Sie führen den Autoverkehr so gut es geht um die alten Stadtkerne herum, brechen Flächen auf und begrünen sie, als Begegnungsorte und Räume zum Entspannen. Die Innenstädte werden zu Erlebniszentren umfunktioniert. Es ist sowohl der Versuch, nachhaltiger, ökologischer zu leben als auch, attraktiven Wohn- und Lebensraum dort zu schaffen, wo Gebäude ungenutzt leer stehen. Manche deutsche Stadt setzt das mit ihrer Quartiersplanung ebenfalls um. Der Gedanke, der dahintersteht, ist kein neuer. Unsere Altstädte erzählen noch die Geschichten aus der Zeit, wo die Menschen alles, was sie für ihren täglichen Bedarf benötigten, fußläufig erreichen konnten. Die Gassen und Straßen waren Orte der Begegnung, eine bunte Mischung aus Konsum, Bildung, Heilkunst und Verweilen.
Bedingt durch die Pandemie und ein wachsendes Bewusstsein für den Klimawandel verändern sich nun auch wieder die Mobilitätsgewohnheiten der Menschen. Das führt dazu, dass der öffentliche Raum, und hier insbesondere der Straßenraum, neu verhandelt wird: Welcher Verkehrsträger bekommt und benötigt wie viel Platz? Die Debatten hierüber sind in vollem Gange.
In 15 Minuten, so haben Experten errechnet, sollten alle lebensnotwendigen Geschäfte und Einrichtungen innerhalb eines Quartiers zu Fuß erreichbar sein, damit die Menschen das Auto für ihre täglichen Erledigungen stehen lassen.
Das kann funktionieren, wie zahlreiche Modellstadtteile bereits vormachen. Sicherlich spielen die Erfahrungen während dieser Pandemie, die uns stärker als gewohnt an unseren Wohnort bindet, eine Rolle bei den Überlegungen, wie die Ausgestaltung unserer Städte und Infrastruktur künftig sein sollte. Dennoch: Eine Eintagsfliege ist die Zukunftsfrage unserer Innenstädte nicht. Das zeigte sich bereits im vergangenen Oktober, als Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier zum Innenstadtgipfel einlud.
Unsere Städte sind ein spannendes Zukunftsthema, das insbesondere auf die guten Ideen und Lösungsansätze der kreativen, planenden und gestaltenden Berufe angewiesen ist.