Eine monolithische Gebäudehülle aus Leichtbeton und die Fassadenbegrünung mit wildem Wein machen die Grüne Ecke in Heilbronn zu einem ökologisch wertvollen und zukunftsweisenden Gebäude. Das mehrfach ausgezeichnete Objekt weist eine natürliche Dämmwirkung, gesundes Raumklima, Langlebigkeit und Recyclebarkeit auf, und schützte in den heißen Sommermonaten des Jahres 2022 auch vor Überhitzung.
Während der Bundesgartenschau 2019 entstand in Heilbronn am Neckarbogen die Grüne Ecke. Das sechsgeschossige Objekt mit seiner namensgebenden Begrünung aus wildem Wein wurde von Mattes Riglewski Wahl Architekten konzipiert. Sie setzten das Motto der BUGA, nämlich auf ehemals Gebautem einen neuen Ort mit eigener Identität entstehen zu lassen, ökologisch wegweisend um: "Die Idee war, hier auf dem ehemaligen Bahngelände ein schlichtes und monolithisches Haus aus Beton zu bauen und dieses mit Pflanzen bewachsen zu lassen, also die vorhandene Brache mit neuem Leben zu füllen und mit einem begrünten Bauwerk den Gedanken der BUGA baulich ganz konkret umzusetzen“, erklären die Architekten Franz-Josef Mattes und Steffen Wahl. "Mit dem Gebäude wollten wir aber auch aufzeigen, wie aktuellen städtebaulichen Herausforderungen wie der sommerlichen Aufheizung oder der innerstädtischen Feinstaubbelastung begegnet werden kann, und so einen innovativen Beitrag zum ökologisch wertvollen Bauen der Zukunft leisten."
Ohne zusätzliche Außendämmung
Herausragendes Merkmal der Grünen Ecke ist die monolithische Gebäudehülle aus hellem Liapor-Leichtbeton. Die Wahl des Baustoffs hatte für die Architekten klare Gründe: "Mit dem Leichtbeton ließ sich der gewünschte einfache, schlichte Charakter des Objekts ideal umsetzen, auch gemäß den strikten Vorgaben für Baukörper und Gebäudefluchten", erzählt Franz-Josef Mattes. "Der Baustoff Beton ist dabei ohne zusätzliche Außendämmung jederzeit direkt sichtbar und ablesbar und verleiht der Fassade ein natürliches, lebendiges Erscheinungsbild." Die gesamte Außenhülle des Objekts ist klassisch perforiert durch die großen Öffnungen im Erdgeschoss und die herausragenden, mit Laibungen gefassten Loggien in den Obergeschossen.
Leichtbeton-Stärken zwischen 40 und 60 cm
Errichtet wurden das Untergeschoss und das erste Stockwerk aus 130 m³ Leichtbeton LC12/13D1.1 in 65 cm Stärke. Die vier darüberliegenden Wohngeschosse bestehen aus 140 m³ Leichtbeton LC20/22D1.4 in 40 cm Stärke. Während der untere Bereich ganz von allein die erforderliche Wärmedämmung gemäß der aktuellen EnEV-Vorgaben erreicht, wurden in den oberen Stockwerken innenseitig noch 10 cm starke Calciumsilikatplatten aufgebracht. Die Rezeptur für den Leichtbeton wurde in enger Abstimmung mit Liapor und der Godel-Beton GmbH in Stuttgart erstellt, die den Baustoff herstellte und lieferte. Die Bauausführung übernahm die Implenia Hochbau GmbH in Mannheim.
Lebendige, organische Oberfläche
Nach etlichen Probewänden, die zur Sicherstellung etwa der erforderlichen Optik und Gefügedichtheit dienten, begann Anfang 2018 der Rohbau mittels einer SB2-Rahmenschalung. Im Juli 2018 erfolgte dann der Rückbau des Gerüstes, und erstmals waren die Sichtbetonflächen zur Gänze frei sichtbar. „Das war ein spannender Moment, wie beim Geschenke auspacken“, erinnert sich Franz- Josef Mattes. „Das Ergebnis war und ist absolut zufriedenstellend. Die gesamten Oberflächen zeigen die lebendige organische Struktur, die aus dem Verarbeitungsprozess resultiert, und weisen damit eine hohe gestalterische Qualität auf“, so Steffen Wahl. Dafür sorgen insbesondere die stellenweise genau sichtbaren Schüttungslagen und Lunker in den Leichtbetonflächen, die bewusst erhalten blieben und nicht kosmetisch korrigiert wurden.
Außen heiß, innen angenehm
Mit insgesamt 270 m³ trägt die große Masse des Leichtbetons – als weiterer Grund für die Baustoffwahl – auch entscheidend zum hohen Wohn- und Nutzungskomfort des Gebäudes bei: „Durch ihre große Masse und die hohe Wärmespeicherkapazität dieses Leichtbetons wirkt die Gebäudehülle wie ein großer Wärmepuffer. Sie sorgt für ein ausgeglichenes, behagliches Raumklima, in dem wir uns alle sehr wohlfühlen“, so die Planer, die mit ihrem Team seit März 2020 die beiden unteren Geschosse als Büro nutzen. Das galt auch für die vielen heißen Tage des Sommers 2022: „Selbst während der extremen Hitzeperioden herrschten im Gebäude sehr angenehme Temperaturen. Es war immer eine Wohltat, von der Hitze draußen in die Grüne Ecke zu kommen.“
Wirkungsvolle Absorption
Verantwortlich für das besonders angenehme Raumklima gerade bei hohen Außentemperaturen ist die Kombination aus der hohen Masse der Gebäudehülle und der davor liegenden Fassadenbegrünung in Form des wilden Weins, der sich an verzinkten Kletterhilfen in die Höhe rankt. Stand September 2022 bedeckt er das Gebäude bereits bis zum vierten Stockwerk. Die Begrünung mindert durch Verschattung und Verdunstungskälte den solaren Eintrag ins Gebäude. Nach Berechnungen der Architekten kann die grüne Fassade bis zu 50 Prozent der ankommenden Strahlungsenergie absorbieren. Außerdem bindet sie Feinstaub und gibt Tieren neuen Lebensraum „Die Fassade lebt“, so die Planer. „Zahlreiche Vögel haben im Wein ihre Nester gebaut. Klagen darüber, dass über die Bepflanzung Spinnen oder andere Tiere ins Haus kommen, gab es bislang nicht.“
Ausgezeichneter Beitrag
Unterm Strich überzeugt die Grüne Ecke durch Natürlichkeit und Nachhaltigkeit. Dies gilt für die Begrünung ebenso wie für den Baustoff Leichtbeton: Er weist einen hohen Anteil an natürlichem Liapor-Blähton auf, minimiert durch seine Dämmwirkung den Einsatz künstlicher Dämmstoffe und erzielt so eine geringe Materialdiversität. Daraus ergibt sich eine gute Recyclebarkeit der zugleich langlebigen Fassade, die in der Summe entscheidend zur ökologischen Wertigkeit des Objekts beiträgt. Bester Beleg dafür sind die Auszeichnung Beispielhaftes Bauen 2020 und die Hugo-Häring-Auszeichnung BDA 2020, die die Grüne Ecke als Vorreiter für die Stadt der Zukunft und als wichtigen Beitrag zum nachhaltigen und energieeffizienten Bauen würdigen.