Eine Branche gewinnt durch Einigkeit

Fehlende Bauingenieure: Es geht um die Sache

Deutsches Ingenieurblatt 7-8/2020
Kammer

Für den Ausbau von Studienplätzen an zwei Hochschulen und einer Universität, um mehr Bauingenieure auszubilden, bewilligte die Politik in Mecklenburg-Vorpommern vorerst 2,5 Mio. Euro. Die Ausbildungsstätten und Interessenvertretungen der Baubranche überzeugten nach drei Jahren gemeinsamer Arbeit vor allem durch Einigkeit. Die Ingenieurkammer Mecklenburg-Vorpommern hat dabei die Rolle als Mediator des Netzwerks und agiert als glaubwürdiger Berater der Politik.

Derzeit werden in Mecklenburg-Vorpommern nicht einmal halb so viele Bauingenieure ausgebildet, wie durch altersbedingtes Ausscheiden ersetzt werden müssten. Dass zwei Drittel der jährlich rund 50 Absolventen im Bereich Bauingenieurwesen der nunmehr einzig ausbildenden Hochschule Wismar nach Abschluss des Studiums das Land verlassen, verschärft die Situation. Der Mangel an qualifiziertem Nachwuchs ist in vielen Ingenieurbüros bereits deutlich spürbar. Das Dilemma in Zahlen: Allein der demografische Ersatz liegt bei 120 Bauingenieuren jährlich. Nach Abwanderung stehen dem 20 Absolventen gegenüber. Bis sich die zusätzlichen Studienplätze bemerkbar machen, wird eine Lücke von etwa insgesamt 1000 fehlenden Ingenieuren klaffen. Hinzu kommt, dass neuerdings auch Behörden massiv Fachleute aus den Ingenieurbüros abwerben. Zurück bleibt eine personell ausgeblutete Branche, die in Zukunft die baulichen Bedarfe im Land nicht decken kann.
Insgesamt drei Jahre hat die Ingenieurkammer Mecklenburg-Vorpommern zusammen mit dem Ingenieurrat Mecklenburg-Vorpommern und den Hochschulen des Landes an einem Konzept gearbeitet, damit wieder mehr Ingenieure ausgebildet werden. Die intensive Netzwerkarbeit und der Schulterschluss von zwei Hochschulen und einer Universität überzeugte die Politik: 2,5 Millionen werden 2020/21 für standortübergreifende Ausbildungsplätze von Bauingenieuren bereitgestellt. Für die flächendeckende Kapazitätenerweiterung der Ausbildungsstätten werden langfristig jährlich knapp 5 Millionen Euro nötig sein.

BLU: Standortübergreifendes gemeinsames Konzept

Grundlage für die Mittel, mit denen ab Herbst die ersten Dozentenstellen bezahlt werden, ist das BLU-Konzept. Es sieht die Bauingenieurausbildung in den Bereichen Bauen, Landschaft und Umwelt (BLU) vor und wurde gemeinsam von den drei Hochschulen erarbeitet und vom Ingenieurrat M-V sowie der Ingenieurkammer M-V begleitet. Unterstützer fanden sich in den Industrie- und Handelskammern in Mecklenburg-Vorpommern sowie dem Bauverband M-V, dem Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen und weiteren im Bauwesen aktiven Organisationen. Eine gute Kommunikation untereinander und Einigkeit nach außen waren entscheidende Schlüsselelemente. „Eine Universität und zwei Hochschulen, die einen Konsens finden, dazu Rückendeckung aus der Branche – ich denke, das hat man uns nicht zugetraut“, verrät Wulf Kawan, Präsident der Ingenieurkammer M-V. Für eben dieses geschlossene Auftreten brauchte es Beteiligte, die innovative Lösungen in Betracht zogen und Kompromisse in Kauf nahmen. „Letztendlich hat der Wille zur Sache die Politik überzeugt“, ist sich Kawan sicher. Gemeinsam sei ein Fundament geschaffen worden, das nun mit Vertrauen weiter ausgebaut werden kann und muss.

Hausaufgaben für die kommenden Jahre

Der Stellenplan steht: Konkret werden in Rostock vier zusätzliche Professuren für Bauinformatik, Technische Mechanik, Infrastrukturbau und für Städtebau/-technik eingerichtet. Außerdem erhalten die drei Hochschulen insgesamt 16 zusätzliche Stellen für Wissenschaftliche Mitarbeiter, 17 Stellen für Technische Mitarbeiter und vier Stellen für Verwaltungskräfte.
Wulf Kawan ist für weitere drei Jahre in den Hochschulrat der Hochschule Wismar berufen worden. Nicht ohne Grund: Es muss weiter an der guten Kommunikation zwischen den drei Standorten gearbeitet werden. Ziel ist es, einen universitären Bachelor-Studiengang Bauingenieurwesen in Rostock zu entwickeln, der gemeinsam und verzahnt mit dem Bauingenieurwesen in Wismar angeboten wird und dem nach wenigen Jahren ein konsekutiver Master an der Universität folgt. Für den Standort Neubrandenburg ist eine einjährige Einstiegslösung für ein Bauingenieurstudium vorgesehen, die dann ab dem 3. Semester in Wismar fortgesetzt werden kann. Das Zusammenwirken zwischen den drei Hochschulen eröffnet die Möglichkeit der kooperativen Promotion oder Verbundforschung.
Gerade weil beim BLU-Konzept verschiedene Bereiche bedient werden, darf in den Studiengängen der Fokus auf fertige Bauingenieure nicht verloren gehen. Neben dem reinen Angebot an Studienplätzen soll auch Vdie Abbrecherquote durch bessere Betreuung verringert werden. Das Miteinander in der gesamten Baubranche ist gefragt, um eine Abwanderung zu vermeiden. „Das Logo auf dem Konzept als Zeichen zur Unterstützung reicht allein nicht aus“, erklärt Wulf Kawan.

Berufspolitische Kammeraufgabe

Das Ringen um Fachkräfte in Mecklenburg-Vorpommern verdeutlicht, wie die Kammer berufspolitische Ziele unterstützt. Eine zentrale Aufgabe ist dabei, als politischer Berater zu fungieren und manchmal auch mit Durchhaltevermögen innovative Lösungen zu finden. Gelingen kann dies, wenn die Berater-Rolle selbstlos wahrgenommen wird. Akzeptanz und Anerkennung findet die Kammer insbesondere dann, wenn sie nicht nur die eigenen Interessen im Blick hat, sondern gesellschaftliche Aspekte stärken will. Letztendlich geht es um mehr als die 120 Studienplätze: Im Bauwesen und in den Ingenieur- und Architekturbüros des Landes sind über 48.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte registriert.

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