Mit der Überschrift „Ein Weckruf“ begann der Präsident der Bundesingenieurkammer, Dr. Heinrich Bökamp, aufmunternd seinen Diskussionsbeitrag (DIB 7/8 2021). Sein Weckruf gerät hernach allerdings zum leichten Räuspern. Statt zu „wecken“, und zur selbstkritischen Diskussion anzuregen, soll alles wohl so bleiben, wie es ist. Das ist nicht im Sinn von Stefan Polónyi.
So schreibt Dr. Bökamp in seinem Beitrag, dass in NRW der qualifizierte Tragwerksplaner in der Planung der Verantwortliche sei. Doch hat dieser oftmals eine (einsame) Ausbildung zum Statiker durchlaufen, wonach ohne das vorherige notwendige „konstruktive Entwerfen“ sogleich die vielfältigen Rechenprogramme bemüht werden. Diese werden in der Praxis vom Prüfingenieur „durch Gegenrechnung geprüft“. Doch wie sieht so eine Gegenrechnung aus? Und was soll gerechnet werden, wenn „die Konstruktion“ schon nicht stimmt?
Es hat Fälle gegeben, in denen beispielsweise die Bauausführung von Unterfangungen bei Altbauten nach Ermessen des Bauleiters (oder Baggerführers) unbeobachtet stattfand. Wenn nach fehlenden Vorprüfungen der angrenzenden Bestandsbauten und ohne Bauanweisungen die geforderten stichprobenhaften „Kontrollen zum richtigen Zeitpunkt“ ausbleiben, folgen auf die dadurch entstandenen Bauschäden jahrelange Beweisverfahren, in denen die Ursache nachermittelt werden muss. Juristen mögen darüber dankbar sein – die Gerichte stöhnen unter der Last, die Bauherrschaften sind zum Teil verzweifelt. Und Presseberichte beschimpfen den „Pfusch am Bau“.
Ist wirklich alles gut? In Anlehnung an das medizinische Fachgebiet „Geriatrie“ für hochbetagte Patienten fehlt im Lehrfach „Bauen im Bestand“ leider auch die altersgerechte Lehre vom An- oder Umbau vor etwaigen Eingriffen in die „Orthopädie alter Gebäude“.
Damit es den „verantwortlichen und umfassend qualifizierten Projektleiter“ überhaupt gibt, hat Polónyi mit seinem „Dortmunder Modell Bauwesen“ und mit seinen damaligen Kollegen an der TU-Dortmund die ersten Schritte vorgezeichnet. Selbstverständlich müssen demzufolge fachübergreifend bereits die Studierenden der Architektur, des Ingenieurwesens, der Gebäude- und Energietechnik, der Projektsteuerung und meines Erachtens sogar der Rechtswissenschaften an gemeinsamen Studienprojekten mit- und voneinander lernen. Wie interessant könnte das sein? Wer wird sich zukünftig darum kümmern, dass solche Ideen Eingang in die Lehre finden?
Als die Ministerin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vor Jahren ihre Sorge um den Ingenieurenachwuchs äußerte, machte Polónyi Vorschläge, was dagegen getan und in einer Studienreform verändert werden muss. Ein Referent aus dem Ministerium antwortete auf den Vorstoß sinngemäß: „Das geht so nicht …“ – worauf Polónyi erwiderte: „… dann bleibt der Ministerin nichts anderes übrig, als sich weiterhin Sorgen zu machen.“
Richtigerweise wird Polónyi im DIB 06/2021 interpretiert: „Es war sein Wunsch, es als Aufforderung an die Ingenieurinnen und Ingenieure zu verstehen, sich mit der bestmöglichen Umsetzung und Wissensvermittlung ihres jeweiligen Fachgebiets immer wieder aufs Neue auseinanderzusetzen.“
Vielleicht schaffen wir es gemeinsam, damit seine Gedanken lebendig weiterentwickelt werden können. Deshalb ist mein Beitrag: „Ein Aufruf!“