Inszenierte Fernwirkung

Gebäudehülle: technisch perfekte Visitenkarte

Deutsches Ingenieurblatt 05/2020
Objekte

Mit seiner ausgeprägt zylindrischen Silhouette und einer pittoresken silberfarbenen Metallfassade setzt der ehemalige Wasserturm von Pirach ein Statement in die hügelige Landschaft des Traunreuter Alpenvorlandes. Im Inneren des Gebäudes wurden durch eine Totalsanierung Wohn- und Ausstellungsräume geschaffen, die einen hochgradigen Gestaltungsanspruch im Innenausbau widerspiegeln.

Bis Ende der 60er-Jahre sicherte der damals erst zehn Jahre alte, rund 250.000 Liter fassende Turmbehälter die Wasserversorgung der umliegenden Dörfer. Nach der Umstellung auf Pumpspeicherwerke fristete der rund 30 Meter hohe Wasserturm – trotz seiner imposanten Gestalt – zunächst ein vergessenes Dasein.
Später wurde er zum massigen Träger von Mobilfunk-Antennen umfunktioniert. Proteste der Anwohner verhinderten erfolgreich eine geplante Verlängerung dieser Funktion.
Um sich der Unterhaltungskosten zu entledigen, stellte die Stadt Traunreut die Immobilie vor sechs Jahren zum Verkauf. Ein ortsansässiger Unternehmer, der bereits als Kind bei einem Schulausflug den Turm bestiegen und die traumhafte Rundum-Aussicht von ganz oben genossen hatte, griff bei der Verkaufsofferte zu, um das lädierte Gebäude wieder einer sinnreichen Nutzung zuzuführen.
Am Ende einer langen Konzeptionsphase einigte sich der neue Eigentümer mit den kritischen Genehmigungsbehörden auf eine Mischnutzung, die den Neubau eines dreigeschossigen Anbaus miteinschloss. Mit dunklen Holzfassaden tritt dieser Kubus optisch kaum in Erscheinung. In den ersten beiden Etagen befindet sich heute eine großzügige Privatwohnung, Im zweiten Obergeschoß lädt ein Apartment Feriengäste zum Urlaub mit Alpenblick ein. Alle Geschoße darüber dienen der Leistungsschau der Brüderl-Gruppe sowie als Erlebniswelt für die Einrichtungsobjekte der eigenen Möbelmanufaktur.

Sanierung mit Überraschungseffekten

Den denkmalgeschützten Wasserturm seinen neuen Funktionen zuzuführen, war ein buchstäblich steiniger Weg. Nicht nur, weil er ursprünglich als Solitär in das ländliche Umfeld gebaut wurde, nun aber von Wohnhäusern umgeben ist – mit nachbarschaftlicher Skepsis bis Widerstand inklusive. Zunächst ist es zweifellos eine besonders knifflige Aufgabe, einen großzügigen Wohnungsgrundriss in eine zwingend vorgegeben runde Umgrenzung einzuplanen, die außerdem ein höchst bescheidenes Fensterangebot vorhält. Geschickt in den Rundbau integriert sind die Bäder, Schlafzimmer, Nebenräume und Küchen der Wohngeschoße. Die Aufenthaltsbereiche orientieren sich zum Anbau hin, der durch die Komplettverglasung seiner Stirnwand eine phantastische Aussicht über die Hügellandschaft des Chiemgaus und auf die Alpenkette bietet. Parallel hierzu reicht das üppig einfallende Tageslicht jeweils bis tief in den Rundbau.
Die baukonstruktive Herausforderung der Sanierungsaufgabe stellte sich als ebenso massiv dar, wie die Massigkeit der Außenwände.
An der Basis stolze 80 Zentimeter dick, verjüngt sich das Mauerwerk aus kleinformatigen Ziegelsteinen bis zur Traufe auf rund 35 Zentimeter.
Weil man seinerzeit auf vergleichsweise wackeligen Gerüsten arbeitete und überdies keine Lasermessung kannte, fallen die Toleranzen in der runden Fläche sowohl innen wie außen ziemlich großzügig aus. Als würde das nicht reichen, verjüngt sich auch noch der Durchmesser des Turmes um rund 70 Zentimeter auf die volle Höhe. Für die konzeptionelle Gestaltung und Herstellung der Außenfassade konzentrierten sich diese vorgefundenen Rahmenbedingungen zu einer höchst spannenden Aufgabe.
Unter großem Aufwand wurde das Turminnere zunächst auf den Rohbauzustand zurückgebaut.
Sämtliche Innenwände wurden demontiert und neue Wände in Trockenbauweise erstellt. Der größte Brocken war das Herausnehmen und Sichern der Außenwand über drei Geschoße im Bereich des Anbau-Anschlusses. In dem rund 5 Meter breit geöffneten Segmentbogen übernimmt nun eine mittig eingefügte Rundstahlstütze die Lastabtragung aus den durchmesserbreit gespannten Decken und dem darüberliegenden Mauerwerk. Hiergegen war das teilweise vorgenommene Vergrößern von Fenstern und Innenleibungen eine eher bescheidene Arbeit.
Die Erneuerung der gesamten Gebäudetechnik erfolgte unter den Prämissen von Hygiene, modernstem Komfort und Energieeffizienz.
Letzteres galt besonders für die Heizungstechnik, die auf besondere raumklimatische Verhältnisse abzustimmen war.

Fassade im Kreis gedreht

Wie stark Wind und Wetter der exponierten Turmfassade zusetzen, hatte sich am argstrapazierten Außenputz gezeigt. Doch war dem zielbewussten Bauherrn der Aspekt des Wetterschutzes nicht das einzige Anliegen.
Er wollte die über 360 Grad weithin sichtbare Landmarke auch optisch aufwerten –will heißen, „dem betagten Gemäuer“, was schlussendlich auch geschah, mehr Glanz verleihen.
Fassadenoptionen wurden geprüft, variiert und verworfen, vom WDVS ging es zur Stehfalz-Bekleidung – wie heute beim Dach– und schließlich hin zur vorgehängten hinterlüfteten Metallfassade. Plane Flächen, die in Segmenten der Rundung folgen, dazu eine durchdringungsfreie Befestigung der Elemente, das waren ausschlaggebende bautechnische Argumente für die Planum-Fassade. Dass diese über dies mittels ihrer flexiblen Unterkonstruktion den mitunter heftigen Toleranzausgleich meistert, sprach ebenso für die Entscheidung. Nicht zuletzt ermöglichte die gemeinsam erarbeitete Fassadenlösung eine sowohl handwerklich wie gestalterisch akkurate Integration der Fenster, egal ob diese innerhalb der Segmentfläche, an deren Rand oder sogar segmentübergreifend positioniert sind. Eine runde Sache also, am Fassadenrund.
Nachdem die Machbarkeit geklärt war, ging es an die Gestaltung: Wie das Eckige gefällig ans Runde bringen? Wie dem Turm eine markierende, aber keinesfalls dominierende Fernwirkung verleihen? Es stand fest, dass der Durchmesser von rund 10 Metern ebenso eine Segmentierung notwendig machte, wieder auf rund 30 Meter konisch nach oben sich verjüngende Turmkorpus. Also ging es ans fundierte Planen, Ausprobieren und Abgleichen.
Die optimale Segmentschnürung ergab am Ende die Aufteilung in 20 breitengleiche Teilsegmente horizontal und 11 Abstufungen vertikal. Eine Variation in der Segmenthöhe betont die Basis samt Eingang im Erdgeschoß.
Auch die an einen Leuchtturmumgang erinnernden hochformatigen Fenster an der Turmspitze führten zu einer Höhendifferenzierung der beiden oberen Segmentreihen. Alle dazwischen liegenden Segmente sind in ihrer Höhe baugleich.
Nach dem Festzurren der messtechnischen Bedingungen stand die Oberfläche und Architektur der Fassade zur Disposition. Geprüft wurde dafür die Anordnung der einheitlich 60 Zentimeter breiten Planum-Einzelelemente: Varianten horizontal oder vertikal, dazu unterschiedliche Farben und Strukturen, angefangen beim Uni-Farbton bis hin zur Reihung oder Mischung in der Fläche. Überdies stand eine Betonung der Element- und Schattenfugen in der Diskussion und ebenso die Akzentuierung der horizontalen Z-Falze mit minimierter Tropfkante.
Am Ende war es die einfache Lösung, die überzeugte. Zur Ausführung kamen 1,25 Millimeter starke Planum-Elemente im Farbton Weißaluminium, RAL 9006, der auch für alles sichtbare Zubehör übernommen wurde.
Die unterschiedlichen Spiegelungen und das permanente Spiel von Licht und Schatten im Tageslauf der Sonne, verleihen dem Turm eine spielerische Lebendigkeit und Leichtigkeit.
Ein Pfiff lässt überdies alle zuvor durchgespielten Gestaltungsvarianten vergessen. Es sind die horizontal gegeneinander versetzten Elemente, die in der Fernwirkung optisch eine Drehbewegung suggerieren. Gerade so, als wolle sich die Tristesse von einst im neuen glänzenden Gewand stolz in den Himmel schrauben.

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