Es kommt vor, dass Führungskräfte vor Dritten von ihren Untergebenen ein Bild zeichnen, das dem Klischee eines mit 30 Jahren schon auf seine Pension wartenden Beamten entspricht. Die Perspektive des Mitarbeiters ist meist eine andere: „Unser Chef hat für neue Ideen kein offenes Ohr …"
Ideenlosigkeit hat häufig eine Vorgeschichte. Dahinter steckt in der Regel die Erfahrung der Beschäftigten: Wenn ich meinem Chef Verbesserungsvorschläge vortrage, empfängt er mich nicht mit offenen Armen. Im Gegenteil! Er signalisiert mir mehr oder minder deutlich: Was will der denn schon wieder? Selbst wenn ihm ein ausgearbeitetes Konzept zum Umsetzen der Idee vorliegt, wischt er es mit einer Bemerkung wie „Das geht nicht.“ vom Tisch. Sammeln Mitarbeiter mehrfach solche Erfahrungen, dann ziehen sie sich zurück. Statt mit Begeisterung innovativ zu denken, beschränken sie sich darauf, Dienst nach Vorschrift zu machen.
Von Totschlagargumenten und geklauten Ideen
Folgende Schwierigkeiten treten im Umgang zwischen Führungskräften und ihren kreativen Mitarbeitern häufig auf:
Die verbale Ohrfeige: Sie würgen Ideen, die nicht in ihr (Denk-)Schema passen, vorschnell und von oben herab ab. „Da haben Sie sich ja was ‚Schönes’ ausgedacht.“ „Da spürt man den Theoretiker.“ Eine solche Aussage wirkt auf Mitarbeiter wie eine Ohrfeige – speziell dann, wenn sie von ihrem Vorgesetzten nicht inhaltlich begründet wird.
Das Totschlagargument: Oft befassen sich Vorgesetzte nicht ernsthaft mit Ideen ihrer Mitarbeiter, weil sie gerade andere Prioritäten haben. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit.“ „Hierfür fehlt uns das Geld.“ „Wir haben Wichtigeres zu tun.“ Anstelle eines Gesprächsangebots und einer Maßgabe, unter welchen Voraussetzungen ein Vorschlag möglicherweise realisierbar wäre, werden Ideen sofort abgeschmettert. Und der Angestellte denkt sich: Einmal und nie wieder.
Die Ideen aussitzen: „Spannend, lassen Sie mich darüber nachdenken.“ „Sehr interessant, geben Sie mir mal das Konzept.“ Das sagen Führungskräfte zuweilen, wenn Beschäftigte ihnen neue Ideen unterbreiten. Doch dann verstreicht Zeit – viel Zeit. Und der Mitarbeiter hört nie wieder etwas von seiner Idee. Fragt er nach, dann wird er vertröstet. Das „Aussitzen“ ist ein Hauptgrund, warum in vielen Unternehmen das Vorschlagswesen nicht funktioniert. Oft müssen Unternehmensangehörige ein, zwei Jahre warten, bevor sie eine inhaltliche Rückmeldung zu ihren Vorschlägen erhalten. Deshalb denken sie sich zu Recht: „Allzu wichtig scheint dem Unternehmen mein Mitdenken nicht zu sein." – auch wenn offiziell eine andere Maxime verkündet wird.
Die Ideen „stehlen“: „Geben Sie mir das. Ich stelle das mal in der Abteilungsleiterrunde vor.“ Es gibt sie leider auch. Die Vorgesetzten, die das tun – doch leider nicht so ehrlich sind, den wahren kreativen Kopf hinter der Idee zu nennen, sondern sie als ihre eigene auszugeben. Sie schmücken sich mit fremden Federn und heimsen – im Erfolgsfall – hierfür die Lorbeeren ein. Für Angestellte ist eine solche Erfahrung extrem frustrierend. Sich zu beschweren, bringt in der Regel wenig. Denn hierauf reagieren die Verantwortlichen wie folgt: „So neu war Ihre Idee nicht. Und wenn ich Ihr Grobkonzept nicht überarbeitet hätte, dann ...“
Den Mitarbeiter „platt machen“: „Haben Sie nicht Besseres zu tun als ...?“ „Beschäftigen Sie sich nicht mit Dingen, von denen Sie nichts verstehen.“ „Auf so eine Idee kann nur ein Controller kommen.“ „Das hätte Ihnen schon früher einfallen können.“ Reagiert eine Führungskraft so oder ähnlich auf die Vorschläge aus seinem Team, ist dies „der kreative Super-Gau“. Der Betroffene zieht sich zurück und artikuliert nie wieder eine Idee.
Die genannten Fehler werden auf den unterschiedlichsten Führungsebenen immer wieder begangen. Meist unbewusst, da diese selbst unter einem enormen Druck stehen. Deshalb werden Vorschläge oder Visionen (scheinbar) achtlos beiseite gewischt oder Beschäftigte vertröstet. Ein Grund ist, dass die meisten Entscheider selbst Teil eines ideenfeindlichen Systems sind. „Kreativität wird in den meisten Unternehmen eher getötet als gefördert“, schreibt zum Beispiel die Harvard-Professorin Teresa Amabile, die seit Jahrzehnten über die Themen Kreativität und Innovation forscht. Schuld daran sind ihrer Meinung nach die Firmenstrukturen: „Viele Unternehmen haben Organisationsstrukturen, die systematisch Kreativität zerstören.“
Merkmale einer katalysatorischen Führung
Das Problem: Vielen Unternehmensführern ist nicht bewusst, dass neue Ideen keine Zufallsprodukte sind. Sie entstehen, wie Untersuchungen über die Kultur in den innovativsten Unternehmen zeigen, nur in einem Klima, das ein kreatives Denken fördert. Dem entspricht dann auch ihre Führungskultur: Wirklich innovative Unternehmen fordern von ihren Führungskräften, dass sie die Ideen ihrer Untergebenen aktiv fördern – und zwar durch einen Managementstil, der „katalysatorische Führung“ genannt wird. Er zeichnet sich durch folgende Merkmale aus.
Merkmal 1: Die Mitarbeiter sind nicht von morgens bis abends ins operative Geschäft eingebunden. Sie erhalten (zeitliche) Freiräume, um neue Ideen zu entwickeln. Und dies wird nicht als Zeitverschwendung, sondern als integraler Bestandteil ihrer Arbeit gesehen.
Merkmal 2: Die (Arbeits- und Kreativ-)Teams werden immer wieder neu und unterschiedlich zusammengesetzt, damit in ihnen keine kollektiven Denk-Routinen entstehen, die den Blick für neue Lösungen verstellen. So soll das erhalten bleiben, was man den „Outsider Advantage“ nennt – also den Vorteil, als Außenstehender mit anderen Augen auf ein Problem zu schauen.
Merkmal 3: Außer der offiziellen Unternehmenskultur schätzen auch die Führungskräfte Kreativität als hohes Gut und verankern entsprechende Werte in ihren Teams – beispielweise durch Maximen wie: „Glaube daran, dass Du die Welt verändern und verbessern kannst.“
Merkmal 4: Geführt wird nach der Philosophie der offenen Tür. Kein Mitarbeiter soll davor Angst haben, zu seinem Vorgesetzten zu gehen und zu sagen: „Chef, ich habe eine Idee, wie sich etwas verbessern ließe. Wann können wir darüber reden?“ Eine weitere Maxime lautet: Es gibt keine heiligen Kühe. Alles lässt sich irgendwie besser machen.
Merkmal 5: Auch das Scheitern wird belohnt. Sie haben richtig gelesen. Die Chefs der innovativsten Unternehmen belohnen ihre Mitarbeiter selbst dann, wenn deren Ideen nicht funktionieren – und sei es nur mit verbaler Anerkennung. Denn sie wissen: Es müssen viele Ideen geboren werden, um die eine zu finden, die Gold wert ist.
Große Freiräume, aber auch hohe Ziele
Sind Unternehmen, in denen ein solch kreativitätsfördernder Geist herrscht, ein Mitarbeiter-Paradies? Mitnichten. Denn in den weltweit innovativsten Unternehmen sind die scheinbar paradiesischen Freiräume mit hohen Zielen verknüpft. Mitarbeiter sollen nicht nur kreativ sein, sie müssen es sogar sein. Und nicht nur Führungskräfte, die Ideen vernichten, haben in ihnen schlechte Karten.
Dasselbe gilt für Mitarbeiter, die nur „beamtenmäßig“ ihren Dienst verrichten und sich nicht fragen, wie man Dinge noch besser machen kann. Wer die vorhandenen Freiräume nicht nutzt, hat in ihnen keine Perspektive.
Für Unternehmen, die am Markt bestehen möchten, sollte es dennoch Teil einer guten und offenen Firmenkultur sein, ihrer Belegschaft Gehör zu schenken. Stillstand ist nie eine gute Option. Ein engagiertes, kreatives und begeistertes Team, das mit seinen Vorschlägen zur Arbeitsoptimierung oder Umsatzsteigerung beiträgt, sollte das Ziel eines jeden Arbeitgebers sein.