Mit Raketentechnik gegen das Corona-Virus

TU München testet ein neues Hygienekonzept

Deutsches Ingenieurblatt 4/2021
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Die Fenster weit aufmachen und lüften – das ist eine der Maßnahmen, mit der das Corona-Virus in Klassenzimmern und anderen Räumen in Schach gehalten werden soll. In den kälteren Monaten freilich eine zugige Angelegenheit. Wie eine gesunde Raumluft ohne Frieren möglich ist, das wird derzeit an der Technischen Universität München (TUM) in einem Seminarraum erprobt.

Hinter dem Klinikum Rechts der Isar in München sind die TU-Institute für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene sowie für Virologie untergebracht. Deren Mitarbeiter nutzen einen Seminarraum derzeit als Kantine. An der Stirnseite des Saals steht ein Flipchart und darauf war im Dezember mit Filzstift geschrieben: „Hier dürfen jetzt 12 Personen gleichzeitig Pause machen.“ So lässt sich der Sicherheitsabstand einhalten, die Menschen sitzen verteilt an den einzelnenen Tischen und packen ihr Pausenbrot aus. Der Raum strahlt die übliche Nüchternheit von Seminarräumen aus: helles Deckenlicht, Stapelstühle, Beamer, Tafel. Ungewohnt aber erscheint ein großes, weiß lackiertes Gerät, aus dessen oberem Ende eine Art langes Ofenrohr in den Raum hinein ragt. Das Ding hat auch einen Namen und Axel Müller sagt dazu: „Die Luft muss so schnell wie möglich weg.“ Dabei rudert er mit den Armen von unten nach oben und zeigt so an, um was es geht: Dass die Atemluft vom Gesicht anwesender Personen im Raum auf dem schnellsten Weg – und das heißt, direkt nach oben zur Decke – abgesaugt wird. Denn ein derartiger Aufwind sorge für eine Art Schutzhülle um die Körper und verhindere, dass die Nachbarn mit ausgeatmeter Luft – und damit eventuell mit Viren – in Berührung kommen.

Vermeidung von Durchmischung
Axel Müller arbeitet als Physiker bei OHB, einem Unternehmen der Weltraumtechnik in Oberpfaffenhofen; dort werden optische Komponenten für Satelliten gebaut. Müller ist im Bereich „Cleanliness“ tätig, das heißt, er kümmert sich darum, dass die Satellitenbauteile nicht verunreinigt werden und dass die Temperatur in den Fertigungshallen penibel kontrolliert wird, um Wärmeeinflüsse bei hochpräzisen Messungen zu verhindern. Und weil wegen Corona irgendwann der Schulunterricht seiner Kinder eingeschränkt war, entwickelte Müller aus seiner beruflichen Erfahrung aus dem Cleanlinessbereich heraus ein Hygienekonzept, mit dem Schulklassen, Seminarräume, Restaurants und Altersheime nachträglich und ohne Baumaßnahmen ausgerüstet werden können. „Zielsetzung ist, potenziell virenbelastete Luft gezielt schnell zu filtrieren und eine unkontrollierte Durchmischung im Raum zu vermeiden“, erklärt Müller den technischen Hintergrund. Das so entstandene Gerät ist ein Spin-Off aus der Raumfahrt und Medizintechnik, hergestellt wird er von der HT Group, einem Unternehmen, das weltweit Operationssäle baut.

Im Pausenraum der TU läuft das Gerät derzeit im Dauertest. Dabei geht es, so Physiker Axel Müller, darum, mithilfe von sogenannten Prüflingen die Belastung der Filter mit Viren, aber auch Pollen und Feinstaub zu testen. Für die Virologin Ulrike Protzer ist das Konzept „absolut sinnvoll“; die Professorin leitet das Institut für Virologie.

Testphase mit Dummies aus
Melaninhartschaum

Dem Dauertest waren bereits andere Versuchsanordnungen vorangegangen. Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen wurden die Strömungsverhältnisse in einem Klassenzimmer, einem Arzt-Warteraum, einer Gaststätte und einem Kino nachgestellt. Dabei saßen an den Tischen aber keine Menschen, sondern schwarze, verdrahtete Gestalten. Es handelte sich um „thermische Menschenmodelle“, also Testdummies aus Melaninhartschaum, die mit Heizdrähten umwickelt und über ein Kabel an ein Netzteil angeschlossen waren. Der Zweck: So wurden die Wärmeentwicklung des menschlichen Körpers und die daraus resultierenden Strömungsverhältnisse simuliert. Die Oberflächentemperatur der Dummies betrug 34 bis 35 Grad Celsius, am Kopf wurde dabei – wie in der Wirklichkeit – etwas mehr Wärme abgegeben. „Diese Wärmeabgabe jedes Menschen erzeugt eine Auftriebsströmung, die die Strömung in einem Raum wesentlich beeinflusst“, so DLR-Physiker Andreas Westhoff. Zurück in den Seminarraum der TU in München. Gerade haben sich zwei Mitarbeiter zur Mittagspause niedergelassen, packen ihre Stumberger Brote aus. Im Hintergrund schnurrt der Filter mit 48 Dezibel vor sich hin und hüllt Virologen, Mikrobiologen und Immunologen in eine Aufwind-Hülle ein.

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