Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau feierte am 1. Juli 2020 ihren 30. Geburtstag. Stiller und leiser, als die Beteiligten sich das eigentlich gewünscht hatten, ein „Corona-Geburtstag“, wie ihn so viele in diesem Jahr feiern mussten. Aber die Freude über den „runden“ konnte Corona der Kammer nicht nehmen.
Wir möchten unser Jubiläum zum Anlass nehmen, zu reflektieren, was uns auszeichnet, wo unsere Stärken liegen und wie wir, ob in Bayern oder anderswo, agieren müssen, um langfristig Erfolg zu haben.
Am 1. Juli 1990 trat das Kammergesetz in Kraft – die Bayerische Ingenieurekammer-Bau war geboren. Damit gab es nach langen Jahren der Vorarbeit endlich eine gesetzlich begründete Vertretung der bayerischen Ingenieurinnen und Ingenieure im Freistaat. Fast 20 Jahre lang kämpften die Gründungsväter der Kammer dafür. 1972 formierte sich der „Arbeitskreis Bayerische Ingenieurkammer“, der mit langem Atem und Weitsicht das Ziel verfolgte, auch den am Bau tätigen Ingenieuren im Freistaat eine Berufsvertretung, eine Heimat zu geben.
Lange sperrte sich die Politik dagegen. Immerhin gab es bereits die Bayerische Architektenkammer, und „die müsse doch genügen“. Das Konstrukt Kammer sei ohnehin nicht mehr zeitgemäß, meinten einige – in den 1970er- und 1980er-Jahren wohlgemerkt. Doch der Arbeitskreis Bayerische Ingenieurkammer unter dem Vorsitz unseres späteren Gründungspräsidenten Prof. Dr. Günter Scholz wurde nicht müde, wieder und wieder den Nutzen einer „Großen Kammer“ zu erläutern. Einer Kammer, in der die Anliegen von Freiberuflern, Angestellten und Beamten gleichermaßen vertreten werden. Einer Kammer, die genau deshalb stark ist, weil sie nicht homogen ist, weil sich die verschiedenen Gruppen zusammensetzen müssen, diskutieren müssen, Lösungen finden müssen, die zum Nutzen aller sind. Davon profitieren wir in vielfacher Hinsicht. Nach innen, indem Auftraggeber und Auftragnehmer in gemeinsamen Gesprächen ein besseres Verständnis für ihre Sichtweise beim jeweiligen Gegenüber erlangen und mit diesem Wissen besser partnerschaftlich zusammenarbeiten können. Nach außen, weil wir sowohl gegenüber der Politik als auch den Medien und der breiten Öffentlichkeit als „Große Kammer“ glaubhaft sind. Man sieht uns nicht als Lobbyisten, die auf Biegen und Brechen ihren Standpunkt durchdrücken wollen. Man sieht uns als Zusammenschluss verschiedener Interessensgruppen, die konstruktiv miteinander daran arbeiten, die beruflichen Rahmenbedingungen aller ihrer Mitglieder zu verbessern.
Wir können andere überzeugen
Diese Argumente überzeugten schlussendlich auch den Bayerischen Landtag. Dass wir ans Ziel gekommen sind, ist ein großes Verdienst unseres langjährigen Präsidenten Prof. Dr. e.h. Dipl.-Ing. Karl Kling. Der schwäbische Ingenieur war zugleich Landtagsabgeordneter und warb bei seinen Kollegen im Parlament, insbesondere bei Franz Josef Strauß, wieder und wieder für unsere Kammer. Am Ende mit Erfolg.
Bereits aus den langen Jahren bis zur Geburtsstunde der Kammer können wir Lehren ziehen für unsere heutige Arbeit: Gute Argumente allein reichen nicht. Es braucht Menschen, die mit Kommunikationsgeschick und Ausdauer die Positionen, die für uns so klar sind, so eindeutig, argumentativ stichhaltig und zielgruppengerecht darlegen und mit lebensnahen Beispielen veranschaulichen. Wieder und wieder. Steter Tropfen höhlt den Stein. Nur so können wir andere überzeugen.Der Erkenntnis, von welch großem Wert die Kommunikation ist, ist es geschuldet, dass unser Bereich Kommunikation Marketing Bildung in der Geschäftsstelle inzwischen sieben Mitarbeitende umfasst. Eine stolze Zahl. Eine Zahl, auf die wir stolz sind. Wir haben Experten für den Fortbildungsbereich, für das Veranstaltungssegment, für die Pressearbeit und für Social Media. Warum? Weil wir nur so unsere Themen passgenau an den Mann und die Frau bringen. Weil wir nur so unsere Stakeholder bei der Stange halten und neue Zielgruppen, insbesondere die Jugend, erschließen können.
Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten: Die Mitgliedschaft bei uns ist freiwillig. Das heißt, Mitglied wird nur, wer einen Mehrwert für sich sieht, in dem, was wir tun. Und wenn jemand einmal Mitglied geworden ist, heißt das nicht, dass er uns ein Leben lang treu bleiben wird. Es sei denn, wir bieten ihm etwas.
Wir wollen attraktiv und zukunftsfähig bleiben
Glücklicherweise ist unsere Kammer kontinuierlich gewachsen. Das kann sich aber schnell ändern, wenn wir nicht stets die Interessen unserer Mitglieder im Blick behalten und unser Angebot, unseren Service, konsequent darauf ausrichten. Wir brauchen immer wieder neue Ideen, um attraktiv zu bleiben, um zukunftsfähig zu sein. Eine Kammer, die nur ihr Kerngeschäft der Listeneintragung erfüllt und Stempel verschickt, hat keine Zukunft.
Unsere oberste Aufgabe ist es, „das Ohr am Mitglied” zu haben. Die Sorgen, Wünsche, Nöte, Bedürfnisse und Anregungen der Mitglieder zu hören, sich proaktiv danach zu erkundigen, das ist unser Job. Wir müssen uns so aufstellen, wie es die Mitglieder brauchen.
Wir müssen eine Dialogkultur etablieren und leben. Es ist unsere Aufgabe, Gesprächsangebote zu machen und immer wieder auf verschiedene Weisen zu erneuern. Das klingt erst einmal gar nicht so schwer. Doch einfach ist es nicht. Es kann nicht funktionieren, mal sinngemäß auf die Homepage oder in die Mitgliederzeitschrift zu schreiben: „Sprecht uns an!“
Wir Kammern sind qua Satzung sehr hierarchisch organisiert. Und zumindest in den Anfängen der Kammerzeit wurde das auch so gelebt. Da darf es nicht überraschen, wenn das durchschnittliche Mitglied, das keinen von uns Ehrenämtlern persönlich kennt, uns als „Großkopferte“, wie wir in Bayern sagen, wahrnimmt. Als jemand, an den man eh nicht rankommt. Diese oft gefühlte, selten ausgesprochene Barriere gilt es zu durchbrechen. Mit konkreten, niederschwelligen Angeboten. Bei uns ist es beispielsweise üblich, dass bei Regionalveranstaltungen immer ein Vorstandsmitglied dabei ist und direkt vor Ort das Gespräch mit den Mitgliedern sucht.
Wir werden offen sein und transparent
In vielen Fällen sind auch unsere Mitarbeiter eine Brücke zu den Mitgliedern. Ob Mitgliederservice, Ingenieur- und Rechtsberatung, Akademie, Buchhaltung, Öffentlichkeitsarbeit oder Zentrale – sie alle haben täglich Mitgliederkontakt. Sie sind oft die Ersten, die erfahren, wo unseren Mitgliedern der Schuh drückt, was ihnen an ihrer Kammer gefällt und was nicht.
Und hier kommen wir zum zweiten großen Punkt, der darüber entscheidet, ob wir Kammern auch künftig Erfolg haben werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle.
Wir müssen uns eines klarmachen: Wir sind kein hippes Start-up, kein internationaler Konzern, der den Angestellten die Möglichkeit bietet, die Luft der großen weiten Welt zu schnuppern. Eine „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ – das klingt leider gar nicht spannend, sondern eher nach „dröger“ Verwaltungstätigkeit.
Diese Hürde haben wir schon zu überwinden, wenn wir eine Stelle ausschreiben. Ist es uns dann aber gelungen, qualifizierte Menschen einzustellen, werden wir sie nicht mit einem Führungsstil von gestern halten können. Moderne Führung bedeutet, dass wir offen sind für Hinweise, Anregungen und auch Bedenken von Mitarbeitern. Keiner von uns hat die Weisheit in die Wiege gelegt bekommen. Offene Kommunikation, Transparenz, gegenseitiges Vertrauen, Identifikation mit den gesteckten Zielen sind das Erfolgsrezept.
Die Ingenieurkammern werden von Ingenieurinnen und Ingenieuren geführt. Das ist gut so. Aber wir müssen uns auch klarmachen: Wir sind Fachleute fürs Bauen. Keine Fachleute für all die vielen Bereiche, die die Geschäftsstelle abdeckt. Die Ehrenämtler sind gut beraten, sich auf Augenhöhe mit den verschiedenen Abteilungen auszutauschen. Kein Vorstand, kein Gremiumsmitglied bricht sich einen Zacken aus der Krone, wenn es seine Mitarbeiter um eine Einschätzung bittet oder im Gespräch mit ihnen auch mal die eigene, ursprüngliche Meinung ändert. Das ist kein Zeichen von Schwäche. Ganz im Gegenteil. Deshalb machen wir auch gemeinsame Coaching-Klausuren – Ehrenamt gemeinsam mit Hauptamtlichen – mit Profis für den Blick von außen.
Bei uns ist es üblich, dass die Mitarbeiter in den Vorstandssitzungen an den TOPs teilnehmen, die ihren Arbeitsbereich betreffen. Wer Interesse hat, kann auch bei den TOPs anderer Bereiche dabei sein. Wir sind eine offene Kammer. Der Vorstand hört gerade bei kontroversen Themen die Mitarbeitermeinung an und entscheidet dann. Das ist bei uns schon lange gelebte Normalität. Das Hauptamt weiß, dass seine Sicht ernst genommen wird und schätzt den direkten Austausch. Die Mitarbeiter bringen ihrem Vorstand Vertrauen entgegen, weil er ihnen vertraut. Ein wertschätzendes Miteinander statt dem Prinzip „Ober sticht Unter“ sorgt für ein offenes Arbeitsumfeld, in dem kreative Ideen entstehen und die Mitarbeiter sich mit „ihrer“ Kammer identifizieren.
Wir ziehen alle an einem Strang
Eindrucksvoll hat sich dies in der Corona-Krise bestätigt. Wie alle anderen Unternehmen und Institutionen auch wurden wir von Corona überrumpelt. Mit einem Schlag wurde das berufliche und private Leben durch staatliche Regelungen stark eingegrenzt. Das war richtig und wichtig, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Aber es hatte große emotionale und soziale Auswirkungen. Angst vor Ansteckung, Angst vor Einsamkeit, Arbeiten und Homeschooling parallel managen, nicht wissen, wie es weitergeht.
Für die Bayerische Ingenieurekammer-Bau waren drei Dinge sofort klar: 1. Gesundheit geht vor. 2. Wir wollen und müssen unseren Mitgliedern und Partnern weiterhin schnell und verlässlich zur Seite stehen. 3. Wir sind uns sicher, dass alle in unserer Kammer an einem Strang ziehen – auch wenn der Laptop nun am Küchentisch steht und bei Videokonferenzen im Hintergrund mal eine Katze durchs Bild stolziert. Ab Mitte März haben die Mitarbeiter daher mobil gearbeitet.
Rückblickend zeigt sich: Wir sind ohne nennenswerte Reibungsverluste durch den Lockdown gekommen. Das war nicht selbstverständlich. Funktionierende Technik war ein wesentlicher Faktor dafür, dass wir eine positive Bilanz ziehen können. Die Digitalisierung haben wir in den vergangenen Jahren massiv vorangetrieben und konnten nun die Früchte unserer Arbeit ernten: Wir waren jederzeit für einander, für unsere Mitglieder und für Externe erreichbar.
Wir haben vor zwei Jahren bereits ein digitales Dokumentenmanagementsystem eingeführt, auf das alle, auch von zu Hause aus, bequem zugreifen und gemeinsam an Projekten arbeiten konnten. In geringem Umfang mussten wir noch in neue, zusätzliche Hard- und Software investieren. Die technischen Voraussetzungen, um weiterarbeiten zu können, waren also schnell geschaffen. Viel wichtiger war aber die menschliche Seite.
Wir sind überzeugt davon, dass jene Unternehmen am besten durch die Krise gekommen sind, die großes Vertrauen in ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesetzt und ihnen den Spielraum gegeben haben, den sie benötigen. Vertrauen führt aber nicht nur in „Corona-Zeiten“ zum Erfolg. Ein Mitarbeiter, der Vertrauen spürt, dem man nicht ein für sie oder ihn unpassendes Korsett überstülpt, ist seinem Unternehmen emotional ganz anders verbunden. Und das wiederum zeigt sich in Gesundheit, Zufriedenheit, hoher Leistungsbereitschaft und guten Arbeitsergebnissen.
Maschinen und KI können inzwischen zwar viele Aufgaben übernehmen und es werden noch mehr werden. Aber sie werden den Menschen nie ersetzen. Der Mensch ist unsere wichtigste Ressource. Der Mensch wird immer den Unterschied machen.
Lasst uns vertrauensvoll, partnerschaftlich und wertschätzend miteinander umgehen. Nicht nur in der Kammer. Dann können wir hoffnungsfroh die Zukunft gestalten.