Das Untergrund-Labor vom Bedretto-Tal

In einem alten Stollen wird zu Tiefengeothermie geforscht

Deutsches Ingenieurblatt 3/2021
Objekte

Der Eingang zum Tunnel wirkt unspektakulär, ein viereckiges Loch im Berg, rechts führt ein Lüftungsrohr hinein. Tief unter der Erde im schweizerischen Tessin liegt das Untergrundlabor der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, die vor Ort Experimente und Messungen zur Geothermie durchführt.

Während draußen die Sonne auf die schneebedeckten weißen Gipfel scheint, betreten wir eine dunkle Welt, die nur spärlich durch die an der Decke angebrachten Lampen erhellt wird. Die Wände des Tunnels bestehen aus nacktem Gestein, von oben rieselt immer wieder Wasser herab. Es sammelt sich rechter Hand in einem Abwasserkanal, der nach draußen führt. Der Boden ist trotz der Betonierung uneben, in der Mitte verlaufen zwei Nuten, die als Führung für ein vierrädriges Fahrrad dienen. Mit diesem Vehikel sind die Wissenschaftler unterwegs, wenn sie es eilig haben oder Dinge transportieren. Wir aber gehen eine halbe Stunde zu Fuß durch diese Röhre, bis wir nach zweieinhalb Kilometern vor uns ein Licht sehen: Tief im Berg forscht die ETH zur Geothermie.

Wir sind im Bedretto-Tal im schweizerischen Tessin. Hier fahren die meisten Urlauber, die nach Süden wollen, vorbei. Bei dem 1500-Einwohner-Dorf Ariolo tauchen sie per Bahn oder Auto aus den Gotthard-Tunneln auf und weiter geht es in Richtung Mailand. Bei Ariolo aber zweigt auch eine Straße westwärts ab, entlang des Flüsschens Ticino führt sie hinein in das Bedretto-Tal und dann über den Nufenenpass hinüber in den Nachbarkanton Wallis. Links und rechts der Straße recken sich mächtige Berge in die Höhe. Und nur wenige Autofahrer wissen, dass hier, eintausend Meter unter dem Gipfel des Rotondo-Massivs, im Granitgestein seit 2019 ein geologisches Untergrund-Labor existiert. Es liegt in einem Baustollen des 1982 eröffneten Furka-Bahntunnels, der das Kanton Wallis mit dem Kanton Uri verbindet. Im selben Jahr wurde dieser Stollen stillgelegt und war bis zur heutigen Nutzung verschlossen.

Ein Geothermie-Stromkraftwerk für jeden Kanton?
Dass im Bedretto-Tal direkt im Gestein geforscht wird, hat mit Domenico Giardini, Professor für Seismologie und Geodynamik an der ETH, zu tun. Er sagt: „Ich denke, im Jahr 2050 könnte und sollte jeder Kanton in der Schweiz ein Geothermie-Stromkraftwerk haben.“ Unter Geothermie versteht man die Nutzung der Erdwärme für die Energiegewinnung. In der Schweiz hat man in Basel mit dem „Deep Heat Mining Projekt“ versucht, ein derartiges Heizkraftwerk auf die Beine zu stellen, doch das Geothermie-Projekt wurde 2009 endgültig beendet. Denn 2006 war es nach einer Tiefenbohrung zu einem Erdbeben der Stärke 3,4 auf der Richterskala gekommen. Jetzt werden im Bedretto-Tal jene Prozesse erforscht, die bei Anwendung der Geothermie eine Rolle spielen.

Es ist ein internationales Projekt, an dem zum Beispiel auch die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen teilnimmt. An ihr forscht Professor Florian Amann, Inhaber des Lehrstuhls für Ingenieurgeologie und Hydrogeologie, innerhalb eines europäischen Projekts „Fault Activation and Earthquake Rupture“ zu Entwicklung und Vorhersage von Erdbeben. Seine Forschungsinteressen sind „instabile Felsböschungen und Naturgefahren“, „Fels- und Geomechanik“, „Endlager für nukleare Abfälle“, „thermo-hydro-mechanisch gekoppelte Probleme im Fels“, die „Dynamik periglazialer Felsböschungen“ – und eben „tiefe Geothermie“.

Ein Labor tief im kristallinen Gebirge
Heute aber ist im Untergrund-Labor Falko Bethmann zugange; er ist Seismologe und forscht hier für die Geo-Energie Suisse AG, das ist eine Gesellschaft mehrerer Schweizer Energieversorgungsunternehmen, welche der Tiefengeothermie für die Strom- und Wärmeproduktion in der Schweiz zum Durchbruch verhelfen wollen. Was ist das Besondere am Untergrund-Labor? „Das Labor ist einzigartig, da es tief im kristallinen Gebirge ist. Über dem Labor befindet sich circa 1,2 Kilometer Granit“, sagt der Seismologe. Und weiter: „Das ist das Gestein, das man fast überall in den Tiefen findet, welche in unseren Breitengraden für Geothermie interessant sind, also in Tiefen von vier Kilometern und mehr. Auch sind in diesem Zugangsstollen zum Furka-Tunnel die Wände nicht zementiert, das heißt, man hat überall Zugang zum Umgebungsgestein.

Das Labor, das in einer Kaverne untergebracht ist, sieht ein wenig aus wie eine Baustelle. Der Boden ist von Kabeln bedeckt, die von Messstationen zu den durch Plastikplanen geschützten Computern führen; dort werden die erhobenen Daten aufgezeichnet. Zwischen Werkzeugkisten liegt Bohrgestänge herum, mit ihm werden an die 400 Meter lange Bohrlöcher in das Gestein getrieben. Die Bohrstellen selbst liegen in mit Wasser gefüllten Mulden am Stollenrand, in sie führen diverse Kabel hinein. Seismologe Bethmann ist gerade mit den Daten an seinem Laptop beschäftigt, während ein Kollege am Boden zwischen zwei großen Kabeltrommeln kniet und vorsichtig über ein Stahlseil einen sogenannten Sparker in ein Bohrloch gleiten lässt. Der Sparker ist ein Metallzylinder mit Elektroden, die elektrisch aufgeladen werden. Durch den 5000-Volt-Lichtbogen zwischen Kathode und Anode entsteht ein Blitz, der schlagartig das Wasser im Bohrloch verdampfen lässt und so einen akustischen Impuls – einen Knall – erzeugt. In einem zweiten Bohrloch wird dann dieser Impuls mit Hydrophonen gemessen. Was ist der Erkenntnisgewinn dabei? „Gemessen werden die Laufzeiten des akustischen Impulses durch das Gestein, auch werden die Reflektionen oder Refraktionen an Gesteinsstrukturen, die entstehen, aufgezeichnet“, erklärt Seismologe Bethmann. Die Wissenschaftler erhalten so über den Weg und die Ausbreitung seismischer Wellen ein Bild vom Aufbau des Erduntergrunds.

Kontrollierte Kluftbildung im Fels
Hintergrund für die unterirdischen Messungen ist die Erforschung des Verhaltens von Granit bei Tiefenbohrungen und bei Stimulation unter realitätsnahen Bedingungen in Hinsicht auf die Nutzung von Erdwärme. Von einer Stimulation sprechen die Experten dann, wenn man Wasser unter hohem Druck in das Gestein pumpt, worauf sich im Granit zahlreiche feine Klüfte bilden. Dieses Wasser wird durch die Erdwärme erhitzt und dann als Energieträger wieder zur Oberfläche gebracht – so funktioniert das Prinzip der Geothermie. Die Technische Hochschule erforscht die Kluftbildungen im Gestein, die durch das eingepresste Wasser entstehen, mit sogenannten Packer-Systemen. Packer sind aufblasbare Elemente, mit denen die Bohrlöcher in Abschnitte unterteilt werden können. Wird nun Wasser in das Bohrloch gepumpt, steht nur der Abschnitt zwischen zwei Packern unter Druck. So kann die Kluftbildung kontrolliert werden. „Wir brauchen ein tiefgehendes Verständnis davon, was bei Tiefenbohrungen und Stimulationen im Fels passiert“, sagt dazu Professor Giardini in Zürich.

Gesetzliche Vorgaben für nachhaltige Basisenergie
Das Bedretto-Untergrundlabor im Speziellen und die Geothermie im Allgemeinen sollen der Schweiz den Weg öffnen, langfristig aus der Atomkraft auszusteigen und fossile Brennstoffe wie Erdöl und Erdgas durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Dazu hatte 2007 der Bund eine erste Zukunftsstrategie entwickelt und Szenarien für die Energiewende entworfen. Vier Jahre später wurde dann das Ziel der Reduzierung von CO2-Emissionen erstmals in einem Gesetz festgehalten. 2019 begann man in der Schweiz, eine Verschärfung der Reduktionsziele der CO2-Emissionen und damit eine Neufassung dieses Gesetzes zu diskutieren. Aus den gesetzlichen Vorgaben, Strom vermehrt aus erneuerbaren und CO2-neutralen Quellen zu gewinnen, entstand die Idee, künftig auf erneuerbare Energie als Basisversorgung zu setzen und diese mit den saisonal schwankenden Alternativenergien Wasser, Sonne und Wind zu ergänzen. Diese nachhaltige Basisenergie sollte aber das ganze Jahr hindurch Strom liefern können – auch im Winter. Experten sehen die Antwort auf diese Herausforderung in der Tiefengeothermie. Denn im Erdinnern ist es in zwei Kilometern Tiefe immer um die 60 Grad Celsius warm, ganz egal, wie ansonsten die Temperatur an der Erdoberfläche ist. Könnte man diese Wärme mit Hilfe von Wasser an die Oberfläche holen, ließe sich daraus auch im Winter Strom gewinnen.

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