ARL-Kongress 2024: Planungsprozesse bei Großprojekten im Fokus

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Die Planung und Genehmigung von Großvorhaben mit ihren Hürden und Herausforderungen war das Thema des ARL-Kongresses 2024 „Große Infrastrukturprojekte: Planung zwischen Beschleunigung und Protest“, an dem 125 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis in Lübeck teilnahmen. Dies teilt die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (AKL) mit.

Nach der Eröffnung der Konferenz durch den ARL-Präsidenten Prof. Dr. Axel Priebs begrüßte Joanna Hagen (Senatorin für Planen und Bauen und stellvertretende Bürgermeisterin der Hansestadt Lübeck) die Anwesenden. Sie hob aus Lübecker Perspektive die europäische Relevanz der neuen Verkehrsachse Malmö-Kopenhagen-Hamburg hervor und die Möglichkeiten, die sich daraus für die Hansestadt und die Region Ostholstein durch die feste Fehmarnbeltquerung und das engere Zusammenrücken von Skandinavien und Norddeutschland ergaben, trotz aller Risiken und Konflikte um das Großprojekt.

Gigantische Dimension
Daran schloss sich die Keynote von Lars Friis Cornett, Direktor von Femern A/S in Deutschland, an. Seine Präsentation vergegenwärtigte die gigantische Dimension des Projekts und informierte über den baulichen Fortschritt des Vorhabens. Zugleich erläuterte er einige zentrale Unterschiede zwischen dem Planungs- und Genehmigungsprozess in Dänemark und in Deutschland. Diese seien völlig unterschiedlich gelaufen, aber eben auch nicht einfach übertragbar, da sich jenseits von Fläche und Bevölkerungszahl die Planungssysteme und die politische Kultur beider Länder stark unterscheiden und in Dänemark mit der großen Beltquerung und der Öresund-Brücke bereits Großvorhaben ähnlicher Dimension verwirklicht worden seien. „In Dänemark gab es zu Beginn der großen Querungsprojekte in den 1980er Jahren ebenfalls Protest. Diese Form der Großprojekte war neu und die Leute misstrauisch. Die Bevölkerung in Dänemark ist heute reicher an Erfahrungen – guten Erfahrungen – die sie mit den zwei vorangegangenen Großprojekten gemacht haben.“, sagte er zum Abschluss.

Lockerer und transparenter
Hier knüpfte die sich anschließende Podiums- und Publikumsdiskussion direkt an. Axel Priebs griff die Unterschiede zwischen beiden Ländern auf und wies auf eine stärkere Bedeutung des Gemeinwohls und eine andere Konsenskultur sowie eine andere Verwaltungstradition Dänemarks hin. So mache Dänemark Planungen sehr transparent, das stärke das Vertrauen und die Wertschätzung für Staat und Verwaltung. Das bestätigten auch die Podiumsteilnehmer Stephan Siegert und Thilo Rohlfs. Stephan Siegert leitete bei der Femern A/S die deutsche Planfeststellungsabteilung sowie das Projektbüro Kiel; aktuell ist er bei der DEGES – Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH Projektleiter für digitale Beteiligungs- und Genehmigungsprozesse. Prof. Dr. Thilo Rohlfs hat seinerzeit als Staatssekretär für das Land Schleswig-Holstein den Genehmigungsprozess auf deutscher Seite politisch begleitet und lehrt heute Planungsrecht an der Fachhochschule in Kiel. Beide unterstrichen, dass der Umgang mit Großprojekten in Dänemark lockerer, aber auch transparenter gehandhabt werde. Darüber hinaus stehe auch die Politik geschlossen und parteien- und legislaturübergreifend hinter der Entscheidung. In der Bevölkerung gab es nur wenig Protest und die Umweltverbände hätten sich nach der Entscheidung sehr konstruktiv in das „Wie“, also die Umsetzung eingebracht und dort versucht, ein Maximum an umweltpolitischen Maßnahmen einzubringen und durchzusetzen. Mit Blick auf Deutschland seien (planungs)rechtlich die Möglichkeiten eines schlanken Verfahrens durch die Planungsbeschleunigungsgesetze bereits ausgereizt. Aber eine frühe Kommunikation und öffentliche Beteiligung, die nicht nur informiere, sondern auf dialogische Elemente und transparente Mitwirkungsmöglichkeiten setze sowie konsequent das Potential von Digitalisierung und KI zur Visualisierung von Planvorhaben in 3D, aber auch den Einsatz digitaler Datengrundlagen und Beteiligungsplattformen im Genehmigungsverfahren nutze, könne Misstrauen entschärfen, Akzeptanz fördern und Großprojekte so beschleunigen.

Enorme Klagebereitschaft
Als Gründe für die langen Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland wurden u. a. die enorme Klagebereitschaft und daraus folgend eine hohe gerichtliche Prüfungsdichte und -tiefe identifiziert. Aus Angst, vor Gericht zu scheitern, werde von den Verwaltungen vorab jedes Detail geprüft und unzählige Gutachten und Begründungen verfasst, um das Verfahren gerichtsfest zu machen. Das kostet Zeit und auch der Umfang der Antragsunterlagen nimmt immer weiter zu. Das führt dazu, dass die Qualität der Planfeststellungsunterlagen mittlerweile häufig so hoch ist, dass diese fast als Durchführungsunterlagen durchgehen könnten. Ein weiterer Grund für langwierige Verfahren sind die sich während der Planfeststellung ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen, die dann eine Überarbeitung der Antragsunterlagen nötig machen. Eine Stichtagsregelung könnte hier zu Beschleunigung führen.

Kontroverse zu Stuttgart 21
Kontroverser diskutiert wurden die bis heute anhaltenden Proteste rund um das Stadtentwicklungs- und Bahnhofserweiterungsprojekt Stuttgart 21. Podiumsteilnehmer Thomas Kiwitt (Leitender Technischer Direktor beim Verband Region Stuttgart) hob die Vorteile dieses Projekts hervor, das neben der Innenentwicklung weitere wichtige Ziele wie eine Stadt der kurzen Wege, zentrumsnahes Wohnen, die Verkehrswende, aber auch Maßnahmen zur Klimaanpassung und zur Digitalisierung adressiere und in seiner Konzeption aktuelle Forderungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung und Nachverdichtung vorwegnehme. Hier waren die Wortmeldungen aus dem Publikum, u. a. von Prof. Dr. Annette Spellerberg (ARL-Vizepräsidentin), deutlich kritischer, insbesondere was die Zeitpunkte und den Umfang der Beteiligung angeht. Anders ließe sich ein gesellschaftlich so breit getragener und bis heute anhaltender Protest nicht erklären. Und der gescheiterte Schlichtungsversuch unterstreiche die mehrfach geäußerte Einschätzung, dass zu späte Beteiligung nicht mehr gutmachen könne, was zu Beginn versäumt worden sei.

Bezogen auf den Kongress wurde kritisch angemerkt wurde, dass die Perspektiven des Natur- und Umweltschutzes, aber auch grundlegende Fragen von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu wenig beleuchtet wurden und die Betrachtung und Auseinandersetzung mit Protest vor allem negativ besetzt gewesen sei, worauf u. a. und Prof. Dr. Christina von Haaren und Prof. Dr. Antje Bruns (designierte Generalsekretärin der ARL) im Rahmen der Fishbowl-Diskussion am zweiten Tag hinwiesen.

Fachsessions
In vier deutschsprachigen Fachsessions wurden Fragen und Einzelaspekte zu den Themen Infrastrukturausbau und Schienenstrecken, Energiewende und Netzplanung, Proteste und Konflikte bei Großprojekten und Planung zwischen Beschleunigung und Beteiligung vertiefend diskutiert. Zwei englischsprachige Sessions unter der Überschrift “Integrative planning and conflicts” sowie “Acceleration and/or participation?” ermöglichten einen internationalen Vergleich. Exemplarisch sei die klimapolitisch bedeutsame Energiewende hervorgehoben. Hier war die regionale Planungsebene besonders stark vertreten, welche die Veranstaltung aktiv nutzte, um sich sehr offen miteinander auszutauschen. Dabei wurden die zahlreichen Interessensgegensätze auf lokaler und (über)regionaler Ebene, die Komplexität und der enorme Zeitdruck – konkret bei der Ausweisung von ausreichend Vorrangflächen für Windenergieanlagen im Zuge der Erreichung der Flächenziele des Bundes – förmlich mit den Händen greifbar. Zugleich wurde deutlich, dass Energie- und Netzplanung (über)regional viel stärker und systematischer zusammengedacht werden müssen.

Gefahr des Vertrauensverlusts
Da sich angesichts der zu bewältigenden Transformationsprojekte und des Infrastrukturausbaus die Forderungen mehren, sowohl planungsrechtliche Möglichkeiten weiter auszuschöpfen, als auch Beteiligungsmöglichkeiten einzuschränken, widmete die Keynote von Dr. Manfred Kühn am zweiten Tag sich kritisch der Frage, ob eingeschränkte Beteiligung bspw. über verkürzte Einwendungsfristen, eingeschränkte Klagewege oder die teilweise Abschaffung von Erörterungsterminen sinnvoll sei. Manfred Kühn, der im Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung (IRS) dazu forscht, wie Konflikte durch Beteiligung konstruktiver begleitet und ausgetragen werden können, zeigte am Beispiel der Tesla-Ansiedlung im brandenburgischen Grünheide, wie massiv die Gefahr des Vertrauensverlustes steigt, wenn Beteiligung nicht oder zu spät erfolgt. Er sprach sich dafür aus, die Erörterung nicht abzuschaffen, sondern zu reformieren und plädierte wie viele andere vor ihm für eine frühzeitige Beteiligung, die vor Beginn eines formellen Verfahrens, erfolgen müsse.

Axel Priebs beobachtet mit Sorge, dass in Deutschland das Vertrauen und der Respekt in Entscheidungen der repräsentativen Demokratie zunehmend geringer ausfallen. Von mehreren Teilnehmenden wurde zudem der fehlende politische Wille beklagt, einmal getroffene Entscheidungen auch umzusetzen. Dies begünstige das ohnehin gewachsene Misstrauen gegenüber der Politik, Planung und Verwaltung. Hinzukomme eine starke Betonung von Partikularinteressen und eine verbreitete Haltung des „Not in my backyard“. Beides führe bei Betroffenen vermehrt zu grundsätzlicher Ablehnung und damit auch dazu, dass demokratisch getroffene Entscheidungen und etablierte Verfahrensschritte und Spielregeln nicht mehr akzeptiert werden. Entsprechend aufgeheizt sei mittlerweile auch die Stimmung bei Erörterungsterminen oder Beteiligungsangeboten im Rahmen der Genehmigungsverfahren.

Unstrittig ist, dass Großvorhaben einen hohen Grad an persönlicher Betroffenheit bedingen, die vielfach auch mit existenziellen Fragen oder Ängsten verknüpft sein können. Auch hier hat der ARL-Kongress gezeigt, dass trotz aller zeitlichen Mühen und der damit einhergehenden Ressourcen eine frühe Beteiligung, die über bloße Information hinausgeht und transparente Mitwirkungsmöglichkeiten bietet, zentral ist, um Akzeptanz zu schaffen und Menschen mitzunehmen.

Dem stehe das sogenannte Planungsparadoxon entgegen. So zeige die Erfahrung, dass Beteiligung in einem sehr frühen Stadium, also vor der Entscheidung für ein Projekt, sehr wichtig und wünschenswert ist. Allerdings sind die Ideen in diesem Stadium meist noch sehr unkonkret und abstrakt. Dadurch fehlt die Betroffenheit und damit oft das Interesse sich zu beteiligen. Je konkreter und weiter fortgeschritten das Projekt dann ist, umso mehr Vorabstimmungen, Investitionen und Richtungsentscheidungen wurden bereits getroffen. Das „Ob“ und viele grundlegende Weichenstellungen werden dann nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. Das wiederum erzeuge bei den Betroffenen Frustration und Misstrauen. Sie fühlen sich übergangen und ohnmächtig, denn die Entscheidung für das Projekt sei dann bereits gefallen.

https://www.arl-net.de/content/arl-kongress-2024


 

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