Südlich von Leipzig liegt die Kleinstadt Böhlen. Die örtliche evangelisch-lutherische St.-Christophorus-Kirche ist eine romanische Saalkirche, die ihren Ursprung im europäischen Hochmittelalter haben soll. Nach zahlreichen Erneuerungen und Anbauten in den vergangenen Jahrhunderten fiel nun einem ansässigen Ingenieurbüro die Aufgabe zu, den Glockenstuhl des Kirchturms für seine drei Glocken neu zu bauen.
Die Böhlener St.-Christophorus-Kirche hat ihren Ursprung schätzungsweise im 12. Jahrhundert, erstmals erwähnt wurde sie allerdings sehr viel später, im Jahr 1540. Die letzte große Erneuerung wurde 1904 vorgenommen; dabei wurden auch ein Anbau an die Sakristei und ein Eingangsvorbau errichtet. Es ist anzunehmen, dass die Stahlträgerdecke im Turm, auf der der Glockenstuhl steht, ebenfalls zu dieser Zeit eingebaut wurde. Die letzte große Baumaßnahme fand ca. im Jahr 2006 statt. Dabei wurde eine umfassende Sanierung des Gebäudes durchgeführt und eine Stahlkonstruktion für den vorhandenen Glockenstuhl über der alten Stahlträgerdecke eingebaut. Zwei der drei vorhandenen Bronzeglocken stammen aus der 1941 devastierten Kirche von Zeschwitz. Die kleinste Glocke (Nr. 3) der ursprünglichen drei Böhlener Glocken hatte als einzige die Wirren des 1. Weltkriegs überstanden.
Unzulänglichkeiten rund um die Glocken
Aus mehreren Gründen entschied sich die Kirchgemeinde in Abstimmung mit dem Glockensachverständigen der Landeskirche Sachsen für den Neubau des Glockenstuhls:
- Der Glockenstuhl ist eine genietete Stahlkonstruktion (Abb. 1 und Abb. 2).
- Die Läuterichtungen der Glocken sind unterschiedlich (eine Glocke Ost-West, zwei Glocken Nord-Süd).
- Die Glocken hängen an gekröpften Stahljochen.
- Die Motoren für den Antrieb der Glocken stehen auf der Decke des Turmdachs und nicht auf der Glockenstuhlebene.
- Die beiden ältesten Glocken haben einen Sprung.
Diese erkannten Unzulänglichkeiten mussten behoben werden. Nun sind für einen vollen Glockenklang ein Holzglockenstuhl und gerade Holzjoche unerlässlich. Das Problem hierbei: Gerade Joche haben statische Nachteile, da sie viel größere Lagerkräfte erzeugen. Dadurch werden sowohl der Glockenstuhl als auch die Turmkonstruktion stärker belastet. Neben den höheren statischen Lasten sind außerdem höhere dynamische Lasten zu berücksichtigen. Bevor eine weitere Bearbeitung erfolgen konnte, war es notwendig zu klären, inwieweit schädliche dynamische Einwirkungen auf den Kirchturm vorlagen. Hierzu wurde eine Schwingungsuntersuchung in Auftrag gegeben [2]. Diese erfolgte als Ergänzung zu einem Gutachten aus dem Jahr 2003 [3]. Im Ergebnis der Untersuchungen gab es keine Bedenken gegen eine einheitliche Läuterichtung (Ost-West) und die Aufhängung an geraden Jochen. Das bedeutet, dass die in DIN 4178 (Glockentürme|Berechnung Glockenlagerkräfte) [4] gestellten Anforderungen eingehalten werden.
Ein Glockenstuhl für die kleine Stube
Somit konnte der neue Glockenstuhl entworfen werden. Für die Ermittlung der Lagerkräfte, die aus dem Glockenbetrieb resultieren, wurde ebenfalls DIN 4178 angesetzt (Abschnitt 4.3.2). Da die Läutewinkel noch nicht feststanden, musste mit Annahmen gerechnet werden. Da selbst die kleinste Glocke einen Läutewinkel von 90° sicher nicht überschreiten wird, wurde dieser Wert als das Maximum angesetzt.
Unter Ansatz weiterer gerechtfertigter Annahmen bzw. Festlegungen nach DIN 4178, wie dem Formbeiwert cn und den bezogenen Lagerkräften λ, ergaben sich folgende Lagerkräfte der Glocken:
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Mit diesen ermittelten Werten konnte die Berechnung erfolgen. In die relativ kleine Glockenstube von ca. 7,70 m Länge, 4,10 m Breite und 2,60 m Höhe (abzüglich des Zugangs) musste der Glockenstuhl eingepasst werden. Die weit ausschwingenden Glocken durften nicht die Wände berühren. Da die Läuterichtung aufgrund der Form der Glockenstube feststand, wurde nach mehreren Entwürfen sowie unterschiedlichen Anordnungen der Glocken die endgültige Lösung gefunden. Die Planung und Berechnung des Glockenstuhls erfolgte in üblicher Dreiecksform mit zusätzlicher Aussteifung in Längsrichtung durch Andreaskreuze (Abb. 3). Als Material wurde Eiche mit Querschnitten von 10/12 bis 20/24 vorgesehen. Alle Detailpunkte sind weitestgehend in traditioneller Zimmererbauweise – ergänzt durch ingenieurtechnische Planung – konstruiert. Eine schwingungstechnisch entkoppelte Lagerung des Glockenstuhls auf der Stahlunterkonstruktion erfolgte durch den Einbau von Mafund-Platten mit einer Dicke von 25 mm.
Mit Weitsicht konstruiert
Die höheren Kräfte aus dem neuen Glockenstuhl waren auch für die im Jahr 2006 eingebaute Stahlkonstruktion (siehe auch Abb. 3), welche über der ursprünglichen Decke errichtet wurde, zu berücksichtigen.
Dabei war nach Möglichkeit auch eine Nutzlast von 5,00 kN/m² auf die Glockenstuhlebene anzusetzen. So, wie es in DIN 4178 gefordert wird. Es zeigte sich aber, dass der Ingenieur, der diese Stahlkonstruktion berechnete und konstruierte, seinerzeit Weitblick bewiesen hatte: Die Glockenstuhlebene war auch für diese Nutzung ausreichend und es waren somit keine Verstärkungen erforderlich.
Viel Liebe zum Detail
Die sehr schwierige und komplizierte Schweißung von Glocken wird nur noch von wenigen Firmen beherrscht. Für die zwei gerissenen Glocken führte diese Arbeiten die Firma Glockenschweißwerk Lachenmeyer GmbH in Nördlingen aus.
Für den Glockenantrieb waren ursprünglich Linearantriebe vorgesehen. Innerhalb der Ausführung wurde dies in übliche Kettenantriebe über Elektromotoren zurückgeändert. Grund hierfür war der eventuell höhere Wartungsaufwand für Linearantriebe.
Der Aufbau des Glockenstuhls erfolgte durch die Firma Zimmerei Müller aus Thalheim, die umfangreiche Erfahrungen mit diesen Konstruktionen hat. Der Abbund ist mit viel Liebe zum Detail in hervorragender Zimmererarbeit durchgeführt worden (Abb. 4 bis 9). Geringfügige Anpassungen bzw. Änderungen zur Planung sind noch während der Ausführung in Absprache zwischen Tragwerksplaner und Zimmerei erfolgt. Insgesamt benötigte man 2,69 m3 Eiche D30.
Die feierliche Wiederinbetriebnahme des Geläuts wurde mit einem Gottesdienst am 09.12.2018 gefeiert.