Der Verwaltung, speziell der öffentlichen, haftet der Ruf, „unflexibel“ zu sein, an. Doch sie agiert meist in einem komplexen, von Interessengegensätzen geprägten Umfeld. Zudem muss sie zahlreiche Vorgaben beachten. Das erschwert ein agiles Arbeiten.
„Agilität in der Verwaltung – ist das nicht ein Widerspruch in sich? Lebt eine funktionierende Verwaltung nicht gerade davon, dass das Verhalten ihrer Mitarbeiter definierten Regeln folgt und nicht willkürlich ist?“ Das fragen sich viele Personen, die den Begriff „agile Verwaltung“ erstmals hören, weil sie mit dem Wort Verwaltung eher Attribute wie „behäbig“ und „nach Schema F arbeitend“ verbinden.
Die Verwaltung – das Rückgrat jeder Organisation
Dahinter verbirgt sich ein negatives Verwaltungsverständnis. Dieses artikuliert sich auch darin, dass in der Diskussion über ein Erhöhen der Agilität von Organisationen immer wieder gefordert wird: Führungskräfte dürfen keine „Verwalter“, sie müssen „Gestalter“ sein. Dabei ist eine funktionierende Verwaltung das Rückgrat jeder Profit- und Non-Profit-Organisation, denn: Ohne sie
- stünden ihre Mitarbeiter bald ohne Arbeitsmittel da (Einkauf),
- wären die Kassen ihres Arbeitgebers schnell leer (Rechnungswesen),
- hätte die Organisation bald nur noch unzufriedene Kunden (Kundenbetreuung),
- bekäme diese schnell Probleme mit den Steuerbehörden (Controlling),
- würde den Mitarbeitern nicht regelmäßig ihr Gehalt gezahlt (Personalwesen),
- …….
Ohne eine funktionierende Verwaltung ist kein Unternehmen überlebensfähig. Sie ist sozusagen das Korsett, das die Organisation zusammenhält und ihr Funktionieren garantiert.
Verwaltungen müssen Dinge zuverlässig abarbeiten
Deshalb können Verwaltungen nie so flexibel agieren wie zum Beispiel die IT- oder Forschungs-und Entwicklungsbereiche von Unternehmen, die, wenn es um das Erhöhen der Agilität geht, meist als Paradebeispiele hierfür genannt werden, denn Letztere bilden, um im Bild zu bleiben, nicht das Rückgrat, sondern die Arme und Beine einer Organisation – also ihre Extremitäten. Das heißt: Ihre Existenz ist keine Grundvoraussetzung für das Überleben einer Organisation. Das beweist die Tatsache, dass viele Unternehmen ohne eigene IT- oder Entwicklungsabteilung existieren.
Dessen ungeachtet muss jede Verwaltung eine gewisse Flexibilität bzw. Agilität aufweisen. Sie darf nicht so verknöchern, sodass sich nicht mehr zeitnah auf besondere Herausforderungen und veränderte Rahmenbedingungen reagieren kann. Das hat das zurückliegende Corona-Jahr gezeigt, in dem die Verwaltungen der meisten Profit- und Non-Profit-Organisationen sehr flexibel auf Veränderungen im Umfeld reagieren mussten – und dies allen Unkenrufen zum Trotz auch taten. Und zwar, obwohl
- sie selbst meist in ein sehr starres Korsett von Vorgaben – nicht nur gesetzlicher Art – eingebunden sind,
- sie oft auf die Zuarbeit anderer Organisationen, Bereiche usw. angewiesen sind,
- sich die Rahmenbedingungen gefühlt täglich änderten,
- sie neben ihrer Alltagsarbeit viele Zusatzaufgaben erledigen mussten und
- sie als unmittelbare Ansprechpartner der Kunden, Mitarbeiter usw. oft an der emotionalen Front standen.
Herausforderung: flexibel auf Veränderungen reagieren
Das heißt, die meisten Verwaltungen sind besser als ihr Ruf. Trotzdem stehen auch sie vor der Frage: Wie können wir unsere Agilität erhöhen? Denn die Rahmenbedingungen ihres Handels ändern sich immer rascher, ebenso die
Wünsche ihrer Kunden. Diese erwarten von einer „funktionierenden Verwaltung“ heute nicht nur, dass sie ihre Anliegen schnell und zuverlässig bearbeitet, sondern dabei auch ihre individuellen Bedürfnisse berücksichtigt. Das setzt außer Veränderungsbereitschaft der gesamten Organisation auch eine hohe Flexibilität und ausgeprägte Dienstleistungsmentalität ihrer Glieder voraus.
Eine zentrale Rolle beim Bestreben, die Agilität zu erhöhen, spielt die Digitalisierung. Doch auch hier ist die Verwaltung oft besser als ihr Ruf. So arbeiten heute zum Beispiel fast alle Mitarbeiter der Verwaltungen ganz selbstverständlich mit und am PC. Was vielen Verwaltungen aber noch Probleme bereitet, ist der für ein rasches und effektives Arbeiten meist nötige Daten- und Informationsaustausch zwischen den am Leistungserbringungsprozess beteiligten Personen und Organisationen. Hierfür gilt es die erforderliche Infrastruktur zu schaffen.
Die Digitalisierung ist kein Allheilmittelt
Doch sollte man die Potenziale, die in der modernen Informations- und Kommunikationstechnik zur Steigerung der Agilität der Verwaltungen ruhen, nicht überschätzen, denn die in einer Verwaltung erbrachten Leistungen sind Leistungen von Menschen für Menschen – zumindest aus Sicht ihrer Kunden. Sie wollen einen persönlichen Ansprechpartner haben, weshalb zum Beispiel auf fast allen Schreiben der öffentlichen Verwaltungen der Name des zuständigen Sachbearbeiters nebst Telefonnummer steht. Deshalb führt bei der gewünschten Veränderung kein Weg am Faktor Mensch vorbei. Die Mitarbeiter müssen als Mitstreiter gewonnen werden, wenn es darum geht, die Agilität der Verwaltung zu erhöhen.
Ein zentraler Hemmschuh hierbei ist, dass jede Verwaltung zahlreiche – nicht nur gesetzliche – Vorgaben beachten muss. Zudem muss es für ihre Leistungserbringung allgemeingültige Verfahren geben, damit es nicht dem Goodwill des Sachbearbeiters obliegt, ob eine Person oder Organisation eine Leistung erhält. Entsprechend klar umrissen ist in der Regel der Entscheidungsspielraum der Sachbearbeiter, weshalb Kunden oft über deren „Beamtenmentalität“ klagen.
Verwaltungen stehen oft vor Zielkonflikten
Dabei kämpfen die Sachbearbeiter oft mit ähnlichen Problemen, wie sie sich bei der Rechtsprechung aus der Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit ergeben. Da Gesetze und Verordnungen stets allgemeingültig sind, können sie im Einzelfall dem Gerechtigkeitsgefühl widersprechen.
Ähnlich ist es in der Verwaltung. Auch hier gibt es immer wieder Einzelfälle, in denen die Sachbearbeiter gerne vom Standardverfahren abweichen würden, dies aber nicht oder nur nach Rücksprache dürfen – unter anderem, weil geklärt werden muss:
- Handeln wir dann willkürlich?
- Schaffen wir hierdurch Präzedenzfälle?
- Wird unsere Entscheidung dann juristisch anfechtbar?
Für dieses Dilemma gibt es im Verwaltungsbereich oft keine allgemeingültige Lösung. Es sollte den Mitarbeitern aber bewusst sein, wenn der Anspruch lautet, kundenorientiert zu sein. Denn dann können im Dialog mit ihnen Kriterien definiert werden, wann sie im Einzelfall von den allgemeinen Vorgaben abweichen können. Und trifft der Mitarbeiter dann bei der Nutzen- und Güterabwägung eine Fehlentscheidung, dann darf er nicht am Pranger stehen. Vielmehr sollten er und die Organisation hieraus lernen.
Herausforderung: Bewältigung neuer Aufgaben
Besonders groß ist der Lern- und Changebedarf in der Regel bei neuen Aufgaben, denn dann existieren in der Praxis zwar oft schon Vorgaben, aber noch keine Regeln für die Umsetzung. Also muss das adäquate Vorgehen erst noch gefunden werden. Das erfordert Zeit! Fehlt diese, weil ein extrem hoher Handlungsdruck besteht, geraten speziell öffentliche Verwaltungen oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – auch weil sich dann im öffentlichen Diskurs meist große Interessengegensätze zeigen, die es, soweit möglich, auszutarieren gilt.
Besondere Herausforderungen treten in Situationen auf
- in denen man lange Zeit nur auf Sicht fahren kann,
- bei deren Management anfangs noch jegliche Erfahrung fehlt und
- bei der aufgrund veränderter Rahmendaten immer wieder die Vorgaben angepasst werden müssen.
In einer solchen Situation ist faktisch nur ein agiles Projektmanagement möglich. Die Entscheider bzw. Verwaltungsorgane müssen also aufgrund der jeweils aktuellen Daten immer wieder Versuchsballons starten (beispielsweise: „Kriegen wir so die Pandemie in den Griff?“), dann in Reflexionsschleifen die Zielannäherung prüfen und anschließend bei Bedarf die Maßnahmen den Gegebenheiten anpassen – selbst wenn „Neunmalkluge“ eine „langfristige Perspektive“ fordern.
Herausforderung: Veränderter Umgang mit Fehlern
In der Corona-Krise haben die Verwaltungen oft eine erstaunliche Agilität gezeigt. Dessen ungeachtet unterliefen auch ihnen Pannen – meist gerade, weil sie schnell und „unbürokratisch“ reagieren mussten. Deshalb sollten sie spätestens nach der Pandemie prüfen: Welche Veränderungen sollten sich in unserer Organisation vollziehen, damit wir künftig besser auf neue bzw. unverhofft auftretende Herausforderungen reagieren können,
- mit denen wir noch keine Erfahrung haben und
- bei denen wir im Spannungsfeld widerstreitender Interessen stehen?
Hierfür gilt es, außer den erforderlichen Strukturen auch die nötige Kultur zu schaffen, denn auffallend ist: Insbesondere bei Herausforderungen, bei denen die Entscheider in den Verwaltungen – zum Beispiel aufgrund noch fehlender Vorgaben von oben – eher als Gestalter, denn als Verwalter gefragt sind, verhalten diese sich oft eher re- als pro-aktiv – auch aus Angst vor Fehlern und Kritik.
Dies ist verständlich, wenn man sieht, wie schnell bei Fehlern der Verwaltung reflexartig die Forderung laut wird: „Dafür muss jemand die Verantwortung tragen; da müssen Köpfe rollen!“ Das heißt, wenn wir eine agilere Verwaltung wollen, muss sich auch unser Reagieren auf ihre Fehler ändern.