Ein Haus aus Häusern

Aufstockung mit Spielraum und flexiblen Nutzungsmöglichkeiten

Bauplaner 10/2023
Wohnen und Betreuen
Stadt- und Raumplanung
Baustoffe

Der historische Kirchplatz in seinem Heimatdorf, dem 6.000-Seelen-Ort Beelen im Münsterland, war für Architekt Oliver Spiekermann immer schon eine "Wunde" im Dorf. Der Nachfolgebau der 1969 abgerissenen Kirche mochte sich so gar nicht in Form und Proportion in seine kleinteilige Umgebung einfügen. Entsprechend umsichtig baute Spielermann direkt am Kirchplatz ein neues "Haus aus Häusern".

Antwort auf regionale Bautypologien
Wichtiger war Spiekermann der sensible Umgang mit der städtebaulichen Situation am Kirchplatz inklusive Wohnhäusern, die zum Teil aus dem 18.Jahrhundert stammen. Ursprünglich als Einfamilienhaus geplant, blieben Keller und Sockel aus dem Bestand des heutigen „Haus aus Häusern“ erhalten und wurden umgebaut. Das Obergeschoss mit Satteldach wurde rückgebaut zugunsten dreier Einzelgebäude, die dem Bau schließlich seinen Namen gaben. „Das haben wir einerseits in Anlehnung an die typisch westfälischen Bauernhöfe hier in der Umgebung gemacht. Andererseits konnten wir dadurch auch das große Volumen des Sockelbaus aufbrechen und uns an die kleineren Strukturen der Umgebung anpassen“, erläutert Spiekermann. So greifen die Häuser mit ihren Satteldächern auch die Giebelausrichtung der Nachbarbebauung auf. Das Haus, das links über dem Eingang auskragt, wurde zudem bewusst abgeschrägt. „Die dadurch entstehende Kante weist auf die Stelle am Kirchplatz, wo früher der Altar stand“, so der Architekt und Bauherr.
 

Langlebig durch flexible Nutzung
Statt als Einfamilienhaus wird das Gebäude heute gemischt genutzt. Während das Erdgeschoss als Wohnung vermietet ist, nutzt ein Immobilienmakler das Obergeschoss als Bürofläche. Planerisch machte dies jedoch keinen Unterschied. Denn der Grundriss wurde so flexibel geplant, dass er sich mit wenigen Eingriffen in zwei voneinander getrennte Einheiten umwandeln ließ. „Sogar eine dritte Einheit wäre möglich“, meint Spiekermann und ergänzt: „Die Dachräume sind außerdem so hoch, dass man sogar nochZwischenebenen einziehen könnte. Diese Wandelbarkeit gehört für uns bei einem langlebigen Gebäude einfach dazu.“

Das Innere wird geprägt von viel Licht und Luft – selbst im Sockelgeschoss, wo die Deckenhöhe gerade einmal 2,50Meter beträgt. Zur Gartenseite öffnet es sich mit großflächigen Verglasungen. Über dem Wohnzimmer erstreckt sich ein sieben Meter hoher Luftraum bis unter eines der drei Satteldächer. Das Obergeschoss sucht mit seinen Fensterbändern ganz bewusst die Blickbeziehung zum Kirchplatz, ohne dabei zu viel Einblick zu gewähren.
 

Traditionell und innovativ
Bestand und Aufstockung sind äußerlich nicht nur durch ihre Kubatur deutlich voneinander zu unterscheiden. Hierfür sorgt auch die Materialwahl. In Anlehnung an sein Umfeld besitzt das Erdgeschoss eine Fassade aus handgebrochenem Klinker. Einen modernen, progressiven Charakter schaffen die hellgrauen, vertikalen Zementspanpaneele des Obergeschosses, die sich zum Teil auch im Innenraum fortsetzen. Die tragende Basis hierfür liefert Kalksandsteinmauerwerk.

Aufgestockt in Hybridbauweise
Im Falle des Hauses aus Häusern fand der Bauherr mit dem Sockelgeschoss bereits einen Massivbau aus Kalksandstein vor. Für die Aufstockung entschied man sich für eine Hybridbauweise aus Holz und KS-Plansteinen, da eine Holzbauweise aus statischer Sicht nicht möglich war. Zudem: „Wenn ich ein Gebäude errichte, das zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise in mehrere Einheiten unterteilt wird, muss ich auch den Schallschutz mitdenken“, ergänzt Spiekermann. „Und auch da bin ich mit Kalksandstein bekanntermaßen auf der sicheren Seite.“

Kalksandstein ist durch seine hohe Druckfestigkeit selbst bei geringen Wanddicken hoch belastbar. Das schafft Spielräume bei der Planung – für tragende wie auch nicht tragende Wände. Wegen der bei Kalksandstein üblichen hohen Steindruckfestigkeitsklassen (SFK ≥12) lassen sich bereits ab einer Wanddicke von 11,5Zentimetern tragende Wände errichten, was Wohnflächengewinne von bis zu 7 Prozent gegenüber anderen Konstruktionsarten erzielen kann.
 

Auf gute Nachbarschaft
Dass es sich im Dorf an so sensibler Stelle nicht ohne eine gute Beziehung zur Nachbarschaft bauen lässt, zeigte sich spätestens bei der Umsetzung des Entwurfs. „Ich bin vor Baubeginn zu allen Nachbarn gegangen, habe ihnen meine Pläne vorgelegt und erklärt, was wir hier machen möchten und was auf sie zukommt“, erzählt der Architekt. Was die Materialanlieferung betraf, musste dies „just-in-sequence“, also entsprechend des Baufortschritts, passieren.

Und auch hier zahlte sich die Entscheidung für den regional hergestellten Kalksandstein aus. Da das Werk gerade einmal 10Kilometer entfernt ist und die natürlichen Ressourcen für die Herstellung der Steine – Kalk, Sand und Wasser – in unmittelbarer Nähe des Standortes gewonnen werden, war eine kurzfristige Lieferung problemlos möglich.
 

Wider den „Donut-Effekt“ Nach zweijähriger Bauzeit hat Beelen nun einen weiteren wertvollen Baustein hinzugewonnen. Anstatt auf der „grünen Wiese“ zu bauen, entschieden Oliver Spiekermann und sein Team sich für den Erhalt und die Stärkung des Ortskerns. Eigenständig und doch respektvoll gegenüber seiner Nachbarbebauung und ihrer Geschichte fügt der Bau sich ein. „Wir kennen den Ort und die Menschen, die hier leben. Das war natürlich ein riesiger Vorteil“, resümiert Spiekermann. „Ohne diesen Hintergrund wäre es wahrscheinlich deutlich schwieriger geworden, ein Gebäude zu schaffen, das nicht nur aus Materialsicht, sondern auch in emotionaler Hinsicht Bestand hat.“
 

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