Bewusst reduzierte Architektursprache für den Bau eines Kindergartens
Autorin: Eva Mittner
In unmittelbarer Nähe zu ihren Verwaltungsgebäuden auf der Bertelsdorfer Höhe ließ die Versicherungsgesellschaft HUK-COBURG eine Betreuungseinrichtung als unternehmensintegrierte Kindertagesstätte für drei Kindergruppen errichten. Der Neubau mit moderner kindgerechter Architektur wurde als außergewöhnlicher Holzbau geplant und realisiert. Die nachhaltige Bauweise erreichte man durch den vorrangigen Einsatz nachwachsender Rohstoffe in Konstruktion und Ausbau.
Ein besonders großzügiges und für Kinder und Erzieher/innen gleichermaßen flexibel nutzbares Gebäude haben die Planer von Babler + Lodde Architektur aus Herzogenaurach zusammen mit der ZimmerMeisterHaus-Manufaktur Leykam aus Kasendorf bei Kulmbach realisiert. Am nördlichen Rand der Bertelsdorfer Höhe besetzt das Bauvorhaben auf bislang unbebautem Grund das konzerneigene Grundstück neu. Herausgekommen ist ein schönes, nachhaltiges und flexibles Gebäude, das sich in der Architektur sehr auf die Natur bezieht. Hinzu kommen fröhliche Farben, lebendige Transparenz und die warme Ausstrahlung des Baustoffes Holz. Eine mögliche zukünftige Erweiterung war den Bauherren wichtig.
Wirkung der Architektur – Zum Entdecken einladend
Der Neubau wurde von den beauftragten Architekten als in Ost-West-Ausrichtung langgestreckte eingeschossige Box auf das Areal geplant. Dieser eingeschossige Baukörper mit Atrium füllt das Grundstück jetzt zu rund einem Viertel aus und gewährt Platz für drei Kleinkindergartengruppen. Die zugehörigen Parkflächen befinden sich vor dem Haus – hinter dem Gebäude wurde ein ca. 4000 Quadratmeter großes Gartengelände zum Spielen angelegt. Die Abmessungen des Bauwerks in Holzrahmenbauweise betragen in der Länge knappe 48 Meter und in der Breite knapp 31 Meter.
Die Architektur hält sich bei Farb- und Materialwahl gekonnt zurück, so dass das Bauwerk einen neutralen Rahmen für die Entfaltung der Kinder darstellt, die durch ihre ganz eigene „Inbesitznahme“ das Haus und die Freianlagen lebendig werden lassen. Das Gebäude lädt zu Kommunikation und sozialer Interaktion ein und bietet Rückzug und Erholung, und zugleich viel Platz zum Spielen.
"Wir haben hier mit dem Massivholzbau alle Möglichkeiten für individuelle Planung sinnvoll ausgeschöpft“ sagt Dipl. Ing. Architekt Stefan John, der für die Projektleitung verantwortlich war. "Die konsequente ökologische Ausführung mit natürlichen Baustoffen für die Lärchenholzfassade, mit Brettsperrholzdecken und Holzfaserdämmstoffen sorgt für eine gesunde, natürliche und umweltneutrale Atmosphäre."
Das ausführende Unternehmen, die Leykam Holzbau GmbH aus Kasendorf bei Kulmbach ist Mitglied in der bereits seit 30 Jahren deutschlandweit aktiven Gruppe ZimmerMeisterHaus®.
Hanglage clever genutzt
Das Baufeld fällt im überbauten Bereich von Nordwest nach Südost diagonal um knapp zwei Meter ab. Diese Höhen- bzw. Hanglage wurde durch die geschickte Planung im starken Diagonalgefälle ausbalanciert. Dadurch erscheint das Gebäude teilweise in den Hang platziert und teilweise schwebend über dem natürlichen Geländeverlauf.
Die Höhenunterschiede hat man durch die Freianlagenplanung so ausgeglichen, dass alle Zu- und Ausgänge zur Kinderbetreuungseinrichtung weitestgehend "ebenerdig" mit dem Gebäude verknüpft sind. Diese notwendigen Höhenangleichungen fanden über die Geländemodulation statt. Beschränkungen durch Baufluchten oder städtebauliche Kanten lagen bei diesem Bauvorhaben nicht vor. Somit definierten die Planer den Neubau optimal auf seinem Platz über die Nähe zur HUK-COBURG in einer eigenständigen und ausgeprägten Architektursprache.
Der öffentliche Bereich im Norden wurde durch den Eingang, Kinderwagenabstellraum, Büro- und Personalräume, Eltern-Treffpunkt und Technikräume gegliedert. In der Mitte dominieren Gemeinschaftsräume wie Mehrzweckraum, Atrium sowie „Essen und Kochen“ als halböffentliche Bereiche für Kinder und Betreuer/innen. Im Süden zum Freien und zur Natur orientiert markieren die einzelnen Krippen- und Kindergartengruppen die privaten Bereiche.
Dialog zwischen innen und außen – Holz erlebbar gemacht
Das Holzhaus soll für die kleinen und großen Benutzer als solches fühl- und erlebbar sein. Dafür wurde der Werkstoff Holz prägend im Innen- und Außenbereich für alle raumdefinierenden Bauteile eingesetzt.
Die überstehenden scheibenartigen Boden- und Deckenplatten als eingeschobenes Volumen begrenzen und beruhigen zugleich das „Innenleben“. Sie generieren einen schlanken Pavillon, der an den Eckpunkten über die Dach und Bodenplatte verknüpfende Wandscheiben gerahmt und somit "geerdet" wirkt.
Der als hölzerne Box konstruierte Bau ist ein fröhlicher Hingucker und punktet durch die von den Planern gezielt gewählten baulichen Strukturen. Die optische Spannung entsteht durch räumliche Tiefe und gradlinige Konturen. Die reduzierte, klare Formensprache wird durch die atmosphärische Holzverkleidung dezent betont.
Über die Tiefe der umlaufenden der vorgelagerten Veranda kreierten die Planer auf der Ost-, Süd- und Westseite den Bezug zur Umgebung. Auf diese Weise kommt die natürliche Verbindung zum "Rundum"-Freiraum zum Ausdruck.
Einfach und linear
Das bauphysikalische Innenleben besteht aus einer bewusst gewählten Abfolge immer gleicher stehender transparenter Fensterformate und geschlossener Wandscheiben als fließende spielerische Übergänge.
"Die begrünte Dachfläche haben wir zum einen akzentuiert durch Lichtkuppeln perforiert gestaltet" erklärt Stefan John. "Zum anderen fungiert das großzügige eingebettete Atrium als zentrale Lichtfalle. Tageslicht erreicht das Gebäudeinnere tatsächlich reihum in x-, y- und z-Achse. Zusätzlich konnten wir durch den Einbau des Atriums eine große Gebäudetiefe verwirklichen, was ein sehr wirtschaftliches Verhältnis von Umhüllung zu Volumen ermöglichte. Schließlich haben wir die innere Struktur als Vorlage für die äußere Fassadengestaltung genutzt".
Die lebendige und spannungsvolle Kraft der Räume hat eine einprägsame Wirkung: Ein Netz aus orthogonalen Räumen und Wegen strukturiert die Innenbereiche linear. Alle Wege führen vom Tageslicht zum Tageslicht. Die Areale mit den Begrenzungen aus geschlossenen und transparenten Bauteilen fügen sich als visuell verbundene Gebäudeelemente und mit den wechselnden natürlichen Lichtquellen perfekt ineinander. So entsteht der fließende räumliche und visuelle Übergang.
Unkomplizierte Erweiterung der Gebäudestruktur
In der Gebäudestruktur addieren sich die immer gleichen standardisierten Bauelemente zum Gesamtgefüge. Nur wenige Sonderbauteile waren schließlich zur Errichtung des Gebäudes notwendig.
Die gewünschte spätere Erweiterbarkeit trägt dem gleichen Gedanken Rechnung. Hier muss nur die Bauteilfügung "bekannter" Elemente fortgeschrieben werden. Übergroße Spannweiten und komplizierte Raumgeometrien wurden vermieden. Die Erweiterung des Gebäudes kann zukünftig an der östlichen Stirnseite unter größtmöglicher Schonung der Freianlagen stattfinden.
Vorfertigung punktet
Alle Decken und Wände innen und außen wurden in der Produktionshalle der ZMH-Manufaktur Leykam vorgefertigt. Bei der Ausführung hat man darauf geachtet, dass nur ökologische und unbedenkliche Materialien zum Einsatz kommen. Die elementierte Holzbauweise mit detaillierter Vorplanung und hohem Vorfertigungsgrad eignet sich bestens zur Realisierung eines solchen Bauwerkes.
Die Bauteile wurden im Werk unabhängig von Witterungs¬einflüssen vollständig nach Maß vorgefertigt – mit allen erforderlichen Aussparungen für Türen und Fenster. Anschließend kamen die Bauelemente für Wände und Dach montagefertig auf die Baustelle und wurden vor Ort in kurzer Bauzeit montiert.
Die Bauweise wurde von Seiten der Architektur-Planung bereits auf maximale Vorfertigung ausgelegt. Und durch die klug ausgewählten Komponenten kann man die gewünschte spätere Erweiterbarkeit problemlos verwirklichen. Hier muss lediglich die Bauteilfügung "bekannter" Elemente fortgeschrieben werden.
Geringe Betriebskosten – zukunftsweisendes Gebäudekonzept
Das Gebäude ist auch nach ökologischen Gesichtspunkten durchdacht. Die einfache Gebäudeform steht für ein ressourcenschonendes Baukonzept. Durch besonders viel natürliche Belichtung – trotz der Gebäudetiefe – ist ein geringer Einsatz von Kunstlicht nötig.
Durch den Einsatz von Holz als Speichermasse mit Brettsperrholz und Holzfaserdämmung wird der sommerliche Hitzeeintrag generell schon reduziert. Im Winter fällt durch den flachen Sonnenstand die Strahlung tief in die Räume, während im Sommer die steilstehende Sonne vom auskragenden Sonnenschutz abgefangen wird.
Der Bau ist an das Fernwärmenetz der Stadt Coburg angeschlossen.
Das Gebäude ist für den Versicherungskonzern als erster Betriebskindergarten am Hauptsitz ein Leuchtturmprojekt. Es wurde wirtschaftlich durch und durch sinnvoll geplant und hat den Vorteil, dass eine zukünftig notwendige Erweiterung um weitere Krippen- bzw. Kindergartenplätze bei Bedarf schnell umzusetzen ist.
Bautafel
Standort: 96444 Coburg, Willi-Hussong-Straße
Bauherr: HUK-COBURG
Architektur:
Babler + Lodde Architekten Partnerschaft mbB
An der Bieg 19
91074 Herzogenaurach
www.babler-lodde.de
Projektleitung:
Martin Lodde | Stefan John
Mitarbeit: Kai Gebhardt
Planung: 2019
Realisierung: 2019 – 2020
Holzbau:
ZimmerMeisterHaus-Manufaktur
Leykam Holzbau GmbH
Krumme Fohre 98
95359 Kasendorf
www.leykam-holzbau.de und www.zmh.com
Tragwerksplanung:
TRAGRAUM Partnerschaft Beratender Ingenieure mbB Nürnberg 90411 / Nordostpark 25 www.tragraum.de
Planung Haustechnik:
Hölzlein Ingenieure GmbH
Herzog-Max-Str. 44
96047 Bamberg
www.ib-hoelzlein.de
Planung Elektrotechnik:
Ingenieurbüro Lenk GmbH
Kösseinstr. 3
95145 Oberkotzau
www.ib-lenk.de
Bauweise: Holz-Modulbauweise
Bruttogrundfläche (BGF) in m2: 1700
Nutzfläche in m2: 1090 m² BGF Bauvolumen inkl. der seitlich angeordneten Kalträume (Mülllager und Kinderwagenabstellbereich)
Gebäudehöhe: ca. 4,00 m über OKFFB Erdgeschoss.
Veranda: eine den Spielbereichen zugewandte Veranda mit ca. 230 m² umfasst das Gebäude dreiseitig (Ost/West/Südseite).
Abmessungen: Länge knapp 48 Meter
Breite: knapp 31 Meter
Bauvolumen: ca. 1090 m² BGF inkl. der seitlich angeordneten "Kalträume" (Mülllager und Kinderwagenabstellbereich).