Technischer Fortschritt und Wohlstandswachstum waren in der jüngsten Vergangenheit die Motoren für Innovationen und Modernisierungen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Sie beeinflussten auch Art und Verlauf von Bränden, wie einige Beispiele illustrieren. So erhöhte die zunehmende Motorisierung die Brandgefahren durch dicht an Gebäuden geparkte Autos. Ein stetig wachsendes Müllaufkommen führte zu entzündlichen und mit brennbarem Müll bestückten Müllcontainern, an Hauswänden deponiert, die im Brandfall mit ihren 6 bis 10 Meter hohen Flammen größere Fassaden- und Wohnungsbrände entfachen können. Wohlstandswachstum erzeugte durch eine reichhaltigere Wohnungseinrichtung mit hohem Kunststoffanteil auch eine höhere innere Brandlast und Rauchdichte. Brennt Inventar aus PVC, verätzen Chlorwasserstoff-Ausgasungen die Atemwege – eine im Zusammenspiel mit Kohlenstoffmonoxid tödliche Gefahr. Doch der Fortschritt inszeniert wider Erwarten kein Horrorszenario. Die Anzahl der jährlichen Brände blieb konstant, ebenso die Brandursachen, mit 51 Prozent von Fehlverhalten und Elektrizitätsnutzung bestimmt. Die Zahl der jährlichen Brandtoten verringerte sich seit 1980 sogar um 60 Prozent. Was sich veränderte, sind die Branderscheinungen. Deren neues Bild birgt Fehleinschätzungen insbesondere im Hinblick auf die Rolle von Dämmstoffen bei Fassadenbränden an sich.
Brandrisiken an der Fassade
Es brennt im Durchschnitt 180.000-mal pro Jahr in Deutschland. Faktisch ist die Anzahl der jährlichen Brände gleichgeblieben. Daran rütteln mit schwer entflammbaren Dämmstoffen versehene Fassaden schon deshalb nicht, weil sie nicht brandverursachend sind. Aufschluss über das umstrittene Thema liefern zum einen die „Brandereignisliste“ des Deutschen Feuerwehrverbandes, in der seit 2012 rückwirkend bis 2001 Fassadenbrände mit Beteiligung brennbarer Dämmstoffe registriert werden, und zum anderen der Bericht über den Sockelbrandversuch des DIBt 2016. Die vom Energieinstitut Hessen vorgenommene Analyse ergibt im Jahr 2022 ein völlig anderes als das medial erzeugte Bild: Brennbare Dämmstoffe zeitigten weder in der Häufigkeit noch bei konkreten Brandverläufen über den Primärbrand hinausgehende Wirkungen. Das Spezifikum von Fassadenbränden mit Polystyrol: Der Dämmstoff brennt in schnellem Verlauf hinter dem Putz mit, wo die Hitze des Primärbrandes ihn verflüssigt und entzündet. Ausgasende Flammen brennen vor dem Putz und können die Abbrandgeschwindigkeit des Systems je nach Dämmdicke und Brandlast vor dem Haus verstärken. Da sein Brandverlauf stringent nach oben gerichtet ist, gibt es weder eine seitliche noch eine die Hausecken überwindende Brandweiterleitung. Wind kann Ablenkungen erzeugen. Von brennbaren Dämmstoffen kann schon aus diesem Grund kein Inferno an Fassaden ausgehen. Dieser Gefahr beugen bei polystyrolgedämmten Fassaden zugehörige Brandriegel vor, deren Abschnittsbildung die EPS-Schmelze begrenzt. Die Häufigkeit der Fassadenbrände ist gering: Über den Zeitraum von 19 Jahren listet der Verband nur 141 Fassadenbrände, also 7,4 Brandfälle pro Jahr. In Frankfurt am Main, wo ausnahmslos alle Fassadenbrände erfasst werden, sind es nur 2,2 jährliche Fälle. Die gelisteten Fälle weisen eine große Varianz beim Brandumfang auf, ein Hinweis auf die Bedeutung des äußeren Brandherdes. 87 Prozent aller aufgeführten Brände sind Bagatellfälle und kleine Brände, die nicht über die geringe äußere Einwirkung hinausgehen sowie 22 Fehleinträge (Grenfell Tower, Hochhaus Robaix). Das Kriterium größerer Brände und Brände mit Toten erfüllen für den Zeitraum nur 18 Fälle: Das sind 0,95 pro Jahr oder 0,005 Promille aller jährlichen Brände. Bei 4 verzeichneten Ereignissen gab es Tote. Die Todesursachen gingen auf eine Fettexplosion, Kohlenstoffmonoxid-Vergiftungen durch primäre Zimmerbrände, Rauch, der sich aus der Brandentstehungswohnung durch das Treppenhaus bis in eine verschachtelte Dachwohnung ausbreitete, sowie einen auf der Flucht aus einem MFH mit brennender innerer Holzverkleidung erlittenen Infarkt zurück. Es gab keine auf brennende Fassadendämmstoffe zurückzuführende Brandtote bzw. erschwerte Menschenrettung. Die Verrauchung der Häuser erfolgte stets direkt durch die Primärbrände.
Brandverläufe statt Baustoffe vergleichen
Der Vergleich von Bränden ungedämmter und gedämmter Fassaden ermöglicht die Ermittlung der auf brennbaren Dämmstoffen beruhenden Abweichungen. Im Folgenden zeigen drei Referenzfassadenbrände zum einen, wie gering sich die Verläufe unterscheiden und untermauern zum anderen, wie stark die Brandlasten vor der Fassade das Geschehen bestimmten.
Die vorgestellten drei Großbrände zeigen: Bei Bränden vor der Fassade bestimmt immer die Größe der äußeren Brandlast den Brandumfang und den Verlauf. Die Verläufe ähneln sich mit und ohne brennbaren Dämmstoff auf der Fassade. Die Flammhöhen oder heißen Rauchgase des Primärbrandes erreichten in allen Fällen das Dach und zerstörten die Fenster.
Brandbeurteilung mit einem Referenzbrand-Informationssystem
Der mit neuen Branderscheinungen zusammenhängenden Verunsicherung wäre mit Information zu begegnen. Es fehlt eine auf Brandverlaufsforschung basierte Wissenschaft mit den Schwerpunkten:
- enzyklopädische Einordnung von Brandereignissen,
- Typisierung von Brandverläufen,
- Bewertung der für diese jeweils relevanten brennbaren Materialien,
- Führung einer Brandrisikodiskussion,
- Vornahme einer Wirkungsanalyse nach Änderungen des Baurechtes.
Solch methodisches Vorgehen würde abrufbares Wissen für die Beurteilung von Bränden erzeugen. Mit dem Satz: „Nach jedem Brand kommt etwas Neues“ formulierte schon die Baukostensenkungskommission 1995 ihre Kritik an der nach wie vor geltenden Praxis willkürlicher Einzelfallentscheidungen und durch Skandalisierungen von Einzelbränden hervorgerufener Änderungen des Baurechtes. Ein Referenzbrand-Informationssystem erleichterte eine faktenbasierte Brandverlaufsbeurteilung erheblich. Der dadurch ermöglichte Rückgriff auf Referenzbrände vereinfachte die Einordnung des einzelnen Brandfalles eindeutig und könnte Sachlichkeit in die kontroverse Debatte bringen.