Der Baukulturbericht 2022/23 bezeichnet den Bestand aufgrund der in ihm gespeicherten Emissionen, der sogenannten „grauen Energie“, als wertvoll. Sollten Emissionen stärker in den Fokus rücken?
„Graue Energie“ bietet großes Potenzial, um CO₂-Emissionen beim Bauen zu reduzieren. Ein bewusster Umgang mit dem Abriss und der Wiederverwendung von Materialien kann einen erheblichen Beitrag leisten. Zudem müssen wir Umbau statt Neubau fördern und zunächst prüfen, ob ein Abriss wirklich notwendig ist. Beim Neubau muss darauf geachtet werden, dass Materialien später wiederverwertet werden können. Im Bestand ist dies oft nicht gegeben, da die Idee des Rückbaus nicht im Fokus stand. Hier findet beim Planen und Bauen ein Umdenken statt. Ein geschlossener Materialkreislauf wäre eine wertvolle Lösung für das nachhaltige Bauen. Dies trifft sowohl auf den Hochbau als auch auf Infrastrukturbauten zu.
Mehr Sanierungen und weniger Neubau – ist das realistisch?
Neubauten werden weiterhin notwendig sein, der Schwerpunkt muss jedoch stärker auf Bestandsbauten liegen. Der Ressourcenverbrauch beim Neubau ist wesentlich höher, sodass eine Sanierung oft die nachhaltigere Variante ist. Beim Bestand sind uns jedoch Grenzen gesetzt und nicht jedes Gebäude oder jede Brücke kann erhalten werden. Deshalb brauchen wir den Konsens, dass sich die Ansätze ergänzen müssen. Gelungene Sanierungen zeigen, welches Potenzial im Umbau steckt.
Was könnte aus ihrer Sicht politisch auf den Weg gebracht werden, um den Umbau im Wohngebäudebereich zu fördern?
Veränderungen an bestehenden Gebäuden, also Umbau, Aufstockung, Dachgeschossausbau und Umwidmung von Büros zu Wohnraum müssen erheblich erleichtert werden. Die Bauordnungen sollten entsprechend angepasst und Prozesse und Abläufe massiv verschlankt werden. Das Land Niedersachsen hat dies vorbildlich umgesetzt. Es wäre wünschenswert, wenn Rahmenbedingungen flächendeckend und schneller geschaffen werden.
Jedes Jahr am 8. November ruft die Bundesstiftung Baukultur zum Tag der Umbaukultur auf. Seit 2022 ist die Notwendigkeit des klimaverträglichen, ressourcen- und kosteneffizienten Bauens im Bestand immer deutlicher geworden. Gleichzeitig weisen aber Kommunen nach wie vor neues Bauland aus, und Abriss und Neubau wird vielerorts dem Um-, An- und Weiterbauen vorgezogen.
Daher will die Bundesstiftung Baukultur möglichst viele Menschen auf die baukulturellen Qualitäten des Umbaus aufmerksam machen. Denn im Bestand stecke nicht nur graue, sondern auch „goldene Energie“: eine spezifische Gestaltsprache, ein Eingebundensein ins Umfeld, eine identitätsstiftende Kraft – kurzum immaterielle, baukulturelle Werte.