Auch Leere will geplant sein

Leerrohre in Betonbauteilen

Deutsches Ingenieurblatt 1-2/2020
Recht

Gebäude sollen „smart“ und „energieneutral“ werden. Dafür sind Datennetze erforderlich, die auch erweiterbar sein sollen. Für energieeffiziente Gebäude sind diese bei minimalem Luftaustausch gut zu isolieren. Das bedingt technische Lüftungsanlagen und diese neuen Anlagen benötigen Platz. Da gleichzeitig die Raumhöhen beschränkt sind, wird zunehmend die Stahlbetondecke als „Installationsraum“ für Rohrleitungen entdeckt. Das geht, muss allerdings gut geplant und koordiniert sein.

Frage 1: Ein Statiker: „Bei meinen Bewehrungsabnahmen erlebe ich immer häufiger, dass Kabelleerohre oder Lüftungsrohre „wild“ in der Decke verlegt werden (Abbildung 1) oder Bewehrungen weggeschnitten werden, um Heizleitungen für Betonkernaktivierungen Platz zu machen (Abbildung 2), ohne dass ich vorher darüber informiert worden wäre oder einen Plan erhalten hätte. Da bei übertrieben dichter Verlegung oder beim Entfernen der Bewehrung die Standsicherheit der Decke gefährdet ist, kann ich das Betonieren nicht freigeben. Dann muss ich das Betonieren stoppen und die Baustelle steht, bis der Sachverhalt geklärt ist und eine abgestimmte Planung der Leerrohre mit einer geänderten Bewehrungsführung, manchmal auch mit einer dickeren Decke, vorgelegt und auch geprüft wurde. Der Bauverzug kann dann mehrere Wochen betragen. Wer haftet für den Baustillstand und trägt meine Mehrkosten?“

Frage 2: Ein Auftraggeber: „Bei meiner Betondecke ist die Bewehrung beim Betonieren aufgeschwommen und nun an der Oberfläche sichtbar (Abbildung 3). Die Decke muss kostenintensiv saniert werden. Von wem kann ich Schadenersatz verlangen?“

Frage 3: Ein Auftraggeber: „Mein Planer für Technische Ausrüstung fordert Mehrvergütung für eine Leerrohrplanung. Ist das heute nicht Standard und damit Grundleistung nach HOAI?“

Vorab zum Hintergrund der Fragestellungen

Gebäude werden intelligenter („smart“). Dafür werden immer mehr Bauteile und Anlagen nicht nur mit Strom versorgt, sondern auch mit intelligenten Steuerungen versehen. So will man heute vom Handy aus die installierten Kameras einsehen, die Rollläden öffnen oder das Licht an- und ausschalten können. Auch Türen und Fenster werden mit Sensoren versehen, sodass die Gebäudeautomation darauf reagieren kann. Gebäude werden zudem immer energieeffizienter. Dafür werden sie umfassend gedämmt und abgedichtet, sodass technische Lüftungsanlagen für einen ausreichenden Luftaustausch erforderlich werden. Die Baukonstruktion selbst wird zur Beheizung über Betonkernaktivierung genutzt. Darüber hinaus sollen die elektro- und datentechnischen Anlagen auch in Zukunft einfach erweiterbar sein, was über Leerrohrsysteme ermöglicht wird.
All diese Rohrsysteme benötigen ausreichenden Platz. Abgehängte Decken könnten den Raum schaffen, würden aber die Raumhöhe reduzieren oder den Sichtbeton als gestalterisches Element verdecken. Ist dies nicht gewollt, bleibt nur, die Betondecke selbst zur Aufnahme dieser Rohre heranzuziehen. Das geht, muss aber geplant und zwischen dem Architekten, dem Fachplaner Technische Ausrüstung und dem Tragwerksplaner gut kommuniziert und koordiniert werden. Bei den üblichen Ingenieurverträgen, die sich am Grundleistungsbild der HOAI orientieren, müssen die drei Planungsbeteiligten unter Führung des Architekten bei der Planung solcher Installationen in den Decken zusammenarbeiten. Dafür hat der Architekt in den Leistungsphasen 2, 3 und 5 lt. Anlage 10.1 zu § 34 Abs. 4 HOAI seine Arbeitsergebnisse als Grundlage für den Planer der Technischen Ausrüstung und für den Tragwerksplaner bereitzustellen und deren Leistungen zu koordinieren und zu integrieren. Der Planer der Technischen Ausrüstung hat als Grundleistungen in der Leistungsphase 2 bei der Integration der technischen Anlagen mitzuwirken, in der Leistungsphase 3 alle für den Tragwerksplaner notwendigen Angaben und Abstimmungen vorzunehmen und die Ausführungszeichnungen mit dem Architekten und Tragwerksplaner abzustimmen. Der Tragwerksplaner hat als Grundleistungen in der Leistungsphase 2 in statisch-konstruktiver Hinsicht zu beraten und die konstruktiven Festlegungen zu klären, in der Leistungsphase 3 die Tragwerkslösung unter Beachtung der durch die Objektplanung integrierten Fachplanung zu erarbeiten und in der Leistungsphase 5 seine Bewehrungszeichnungen aufzustellen, auch hier unter Beachtung der durch die Objektplanung integrierten Fachplanung. Am Ende sollten die Installationen in den Decken so geplant sein, dass eine Ausführung durch die Baufirma mangelfrei möglich ist.

Die Antworten auf die Fragestellungen

Antwort 1: Zur Haftung kommt es grundsätzlich dann, wenn ein Vertragspartner seine Vertragspflichten verletzt hat, indem er mangelhaft leistete, und dadurch dem anderen Vertragspartner ein Schaden entstanden ist. Im vorliegenden Fall entsteht jedenfalls dem Tragwerksplaner ein Schaden, weil er seine einmal bereits mangelfrei erbrachten Leistungen (Schal- und Bewehrungspläne, Bewehrungsabnahme und statische Berechnungen) erneut erbringen muss. Dem Bauunternehmer entstehen Mehraufwendungen, wenn es zum Baustillstand kommt und er keine Alternativtätigkeit hat. Den weiteren Planungsbeteiligten (Architekt und Planer für Technische Ausrüstung) und eventuell auch dem Ausführenden für die Leerrohre entstehen Mehraufwendungen, weil es zu Gesprächen, geänderten Plänen und geänderten Ausführungen kommt. Es ist also zu klären, welche Vertragspflichtverletzung welchen Schaden verursacht hat (§ 280 Abs.1 BGB). Wahrscheinlich ist, dass, bis auf den Tragwerksplaner, alle anderen Beteiligten bisher noch gar nicht mangelfrei gearbeitet haben. Der Architekt, der von den Leerrohren gewusst haben müsste, hat diese weder kommuniziert noch koordiniert und integriert.
Für den Planer der Technischen Ausrüstung gilt grundsätzlich dasselbe. Auch vom Bauunternehmer wird man zumindest eine Anmeldung von Bedenken erwarten müssen (§ 4 Abs. 3 VOB/B). Damit hat tatsächlich nur der Tragwerksplaner einen Schaden, für den am Ende diejenigen haften, welchen die Pflichtverletzung zuzuschreiben ist. Und das dürften im vorliegenden Fall alle anderen am Bau und an der Planung Beteiligten sein, jedenfalls nicht der Auftraggeber (siehe Antwort 2).

Antwort 2: Auf Nachfrage bestätigt der Auftraggeber, dass in der Decke umfangreich Lüftungsrohre verlegt wurden (Abbildung 4) und es nach Aussage eines Gutachters zum „Aufschwimmen“ der Bewehrung gekommen sei. Ursache sei gewesen, dass die Rohre wie Schwimmkörper gewirkt und beim Betonieren die gesamte Bewehrung angehoben hätten, sodass nun die erforderliche Betonüberdeckung nicht mehr gegeben sei.
Klar ist, dass es sich zumindest auch um einen Bauausführungsfehler des Bauunternehmers handelt. Auch wenn die Gefahr des Aufschwimmens einer Bewehrung kein allintensiv gemein bekanntes Problem ist, drängt sich bei der hier gegebenen Installationsdichte die Gefahr geradezu auf. So muss jedem vom Fach der Effekt des Aufschwimmens von Hohlkörpern im Wasser schon aus dem Studium bekannt sein. Der Bauunternehmer hat jedenfalls versäumt, Bedenken anzumelden, und folglich so gebaut, dass ein mangelhafter Zustand entstanden ist. Beseitigt der Bauunternehmer den Mangel nicht, nicht fristgerecht oder wehrt er sich mit dem Argument, dass hier (auch) Planungs- oder Überwachungsfehler vorliegen, ergibt sich für den Auftraggeber aus dem BGB eine komfortable Situation. Alle am Bau und an der Planung Beteiligten haften ihm gegenüber nämlich gesamtschuldnerisch (§ 431 BGB analog). Demnach kann er den Bauunternehmer in die Haftung nehmen, aber auch die Planer. Der Auftraggeber muss aber zunächst den Bauunternehmer mit Fristsetzung auffordern, den Mangel zu beseitigen (§ 650t BGB). Beseitigt der Bauunternehmer den Mangel, stellt sich die Frage, ob er hierfür alle Planungsbeteiligten zumindest anteilig mit in die Verantwortung nehmen kann. Da der Bauunternehmer nur einen Vertrag mit dem Auftraggeber hat, nicht aber mit den Planern, muss er die Fehler der Planer seinem Auftraggeber vorwerfen. Denn der Auftraggeber schuldet dem Bauunternehmer eine ordnungsgemäße Planung (anders bei der Bauüberwachung).
Der Auftraggeber wiederum hält seinen Planern deren Versäumnisse vor. So dürfte der Architekt versäumt haben, auf das Erfordernis eines Nachweises gegenüber dem Aufschwimmen der Bewehrung hinzuweisen und die erforderlichen Leistungen zu koordinieren und zu integrieren. Auch der Planer der Technischen Ausrüstung dürfte nicht daran gedacht und darauf hingewiesen haben, dass seine umfangreich vorgesehenen dichten Rohre aufschwimmen können. Auch einem Tragwerksplaner muss klar sein, dass ein System aus Leerrohren wie ein Schwimmkörper wirkt und die gesamte Bewehrung zum Aufschwimmen bringen kann. Hier wäre eine Berechnung erforderlich gewesen, welche das Gewicht der Bewehrung mit dem Auftrieb vergleicht.
Für den Auftraggeber ist es also im Allgemeinen ohne Bedeutung, wer am Ende mit welchem Anteil für den Schaden aufkommt. Er hat ein mangelfreies Bauwerk bestellt und wird sich bei allen schadlos halten können. Die anderen können dann untereinander (meist über ihre Versicherungen) den jeweiligen Schadensanteil regeln.
Ergänzend weisen die Autoren darauf hin, dass ein Nachweis gegen Aufschwimmen am besten beim Tragwerksplaner aufgehoben wäre, weil dieser das Gewicht der Bewehrung kennt und damit den Nachweis führen und zudem erforderliche Verankerungen oder Auflasten berechnen kann. Eine solche Berechnung wäre als „Nachweis eines besonderen Bauzustands“ eine Besondere Leistung im Sinne der HOAI.

Antwort 3: Anlage 15.1 zu § 55 Abs. 3 HOAI führt in der Leistungsphase 5 die „Leerrohrplanung mit besonderem Aufwand (zum Beispiel bei Sichtbeton oder Fertigteilen)“ als Besondere Leistung auf. Demgegenüber sind Schlitzpläne Grundleistung. Schlitze werden ausschließlich in Wänden erstellt, können aber auch durch Leerrohre ersetzt werden. Entsprechend sind in Wänden entweder Schlitzpläne oder Leerrohrpläne erforderlich. Das eine ersetzt oder entspricht dem anderen. Folglich bewerten die Autoren Leerrohrpläne in Wänden als Grundleistung, weil sie als Ersatz für Schlitzpläne dienen und entsprechend keinen besonderen Aufwand erfordern (so auch ohne Begründung Sonntag/Seifert in Fuchs/Berger/Seifert, Beckscher HOAI und Architektenrechtskommentar 2016, § 55 Rdn.105; a. A. Locher in Locher/Koeble/Frik, Kommentar zur HOAI, 13. Auflage 2017, § 55 Rdn.33, 36, der Leerrohrpläne als vom ausführenden Unternehmen geschuldet bewertet).
Decken werden demgegenüber niemals im gleichen Sinn „geschlitzt“. Kommt es zu dem Wunsch, Leerrohre auch in Decken zu verlegen, stellt die Planung dazu die in der HOAI genannte Besondere Leistung dar. Solche Leerrohrplanungen in Decken erzeugen beim Planer der Technischen Ausrüstung einen besonderen Aufwand, weil diese aufwändig zu planen sind, wie zuvor in den Antworten 1 und 2 dargelegt ist. Auf Nachfrage ergänzt der Auftraggeber, dass es nur um Leerrohre in Wänden gehe. Dies bewertet die GHV als Grundleistung.

Fazit

Bei den heutigen Gebäuden werden die Stahlbetondecken zunehmend als Installationsraum für Rohrleitungen der Technischen Ausrüstung genutzt. Das ist interessant, spart es doch Raum, muss jedoch gut geplant werden. Zudem sind auch ungewöhnliche Nachweise, wie z. B. die Gefahr des Aufschwimmens von Bewehrung, zu führen. Für die Technische Ausrüstung gilt: Leerrohrpläne in Wänden entsprechen Schlitzplänen und sind damit Grundleistungen. Leerrohrpläne in Decken sind Besondere Leistungen. Am Ende müssen alle beteiligten Planer und die ausführenden Unternehmen so zusammenarbeiten, dass kein Schaden entsteht.

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