Frei ist Frei!

HOAI 2021 und freie Honorarvereinbarung

Deutsches Ingenieurblatt 4/2021
ProSiebenSat.1 Produktion GmbH
Recht
HOAI

Wollen Planende die Honorarzone III anbieten, obwohl nach HOAI objektiv die Honorarzone II vorliegt, können sie das. Wird bei Aufträgen ein Angebot über eine Honorarermittlung mit nur einem Objekt statt der nach HOAI vorliegenden zwei Objekte vergeben, ist das ebenfalls möglich. Die Parteien sind seit HOAI 2021 in der Angebotsphase vollkommen frei, was sie anbieten oder was sie anfragen. Die HOAI 2021 gibt keine Grenzen vor. Erst bei Änderungen gilt ohne anderslautender Vereinbarung der Basishonorarsatz.

Frage 1: Ein Planer für Technische Ausrüstung: Kann ich für eine Lüftungsanlage die Hono-rarzone III anbieten, auch wenn diese im Sinn der HOAI nur Honorarzone II ist? Ich brauche das Honorar, um auskömmlich zu arbeiten, weil ich den Auftraggeber kenne und er immer viele Besprechungen wünscht.

Frage 2: Eine Auftraggeberin: Ich möchte die Planung einer Abwasser- und einer Trinkwasserleitung anfragen. Ich weiß, dass das im Sinn der HOAI zwei Objekte sind. Kann ich diese dennoch mit einer Summe anrechenbarer Kosten anfragen? Denn dann entfällt die schwierige Zuordnung der Kosten der Erdarbeiten zu den beiden Objekten.

Frage 3: Eine Planerin: Ich soll ein Angebot zur Sanierung eines Gebäudes mit einer denkmalgeschützten Fassade abgeben. Kann ich die mitzuverarbeitende Bausubstanz mit pauschal 500.000,- € abschließend und fest anbieten? Dann spare ich mir eine aufwändige Herleitung zur Honorarberechnung.

Frage 4: Eine Planerin einer Verkehrsanlage: Kann ich die Planung der Beschilderung als Besondere Leistung anbieten? Denn als Teil der anrechenbaren Kosten der Gesamtanlage kann ich diese einfach nicht auskömmlich planen.

Frage 5: Ein Tragwerksplaner: Ich habe eine Anfrage für ein Angebot für eine Tragwerksplanung mit der Vorgabe der Honorarzone III. Ich halte diese nach jetziger Einschätzung auch für zutreffend. Was aber ist, wenn sich aus dem Baugrund heraus eine schwierige Gründung ergibt oder doch Berechnungen mit finiten Elementen erforderlich werden?

Vorab: Alle Fragen betreffen den Kern der neuen HOAI 20211, die in § 1 Satz 2 normiert, dass die Regelungen dieser Verordnung zum Zweck der Honorarberechnung zugrunde gelegt werden können. Das Wort „können“ macht deutlich, dass die Regelungen der HOAI 2021 herangezogen werden können und auch sollten2, aber nicht müssen. Es steht den Vertragsparteien somit frei, Regelungen der HOAI zu verwenden oder eben nicht. So regelt § 3 HOAI 2021, was Grundleistungen und was Besondere Leistungen sind, § 4 HOAI 2021, wie sich anrechenbare Kosten ergeben, § 5 HOAI 2021, dass sich der Schwierigkeitsgrad durch die Honorarzone zeigt, § 11 HOAI 2021, wie Objekte zu behandeln sind, und § 6 HOAI 2021, wie sich aus all diesen Parametern das Honorar ergibt. All diese Parameter der HOAI 2021 können (und sollten) von den Parteien verwendet werden; zwingend ist dies allerdings nicht mehr.

Antwort 1: Ja, eine Lüftungsanlage, die über § 5 Abs. 2 HOAI 2021 in Verbindung mit Anlage 15.2 zu § 56 Abs. 3 HOAI 2021 in der Honorarzone II eingeordnet ist, kann auch in der Honorarzone III angeboten werden. Für Planende besteht heute die Freiheit, Randbedingungen, die die HOAI bisher unbeachtet gelassen hat (hier der Besprechungsaufwand) bei ihrem Angebot zu berücksichtigen, so, wie sie das für richtig erachten. Diese Freiheit gilt auch für andere Randbedingungen, welche die Tafelwerte der HOAI grundsätzlich nicht erfassen: wie besonders kurze oder lange Planungszeiten, abschnittsweises Planen, Planen unter Betrieb oder einfach nur ein „schwieriger“ Auftraggeber. Dies kann der Planende durch eine frei gewählte Honorarzone frei anbieten, mag es auch technisch-fachlich nach althergebrachter Bewertung „falsch“ sein.

Antwort 2: Ja, die in § 11 HOAI vorgesehene Trennung in verschiedene Objekte kann vertraglich3 unberücksichtigt bleiben. Damit können die Beteiligten sowohl in recht einfachen Fällen, wie hier gegeben, aber auch in sehr komplexen Fällen die Honorarberechnung stark vereinfachen, indem sie im Vertrag nur ein Objekt als Abrechnungseinheit vereinbaren. Eine gegenüber der HOAI niedrigere Vergütung können die Parteien dann z. B. durch einen Zuschlag kompensieren.

Antwort 3: Ja, auch § 4 HOAI 2021 kann ganz oder teilweise verändert vereinbart werden. Der hier maßgebliche § 4 Abs. 3 HOAI 2021 regelt, dass die mitzuverarbeitende Bausubsstanz zum Zeitpunkt der Kostenberechnung zu ermitteln und zu vereinbaren ist. Treffen die Parteien aber in Textform eine Vereinbarung, nach der die mitzuverarbeitende Bausubstanz von vornherein fix vereinbart ist (hier mit 500.000,- €), dann ist das eine wirksame Vereinbarung über den Parameter anrechenbare Kosten als Grundlage für die Honorarermittlung. So steht es den Parteien auch frei zu vereinbaren, dass Kosten, welche nach § 4 Abs. 1 HOAI 2021 nicht zu den anrechenbaren Kosten zählen, wie z. B. Inbetriebnahmekosten, mit zu den anrechenbaren Kosten zählen, oder Kosten, die nach § 4 Abs. 2 HOAI 2021 sehr wohl zu den anrechenbaren Kosten hinzuzählen, z. B. vom Auftraggeber beigestelltes Material, nicht mit zu den anrechenbaren Kosten zählen.

Antwort 4: Ja, § 3 HOAI 2021 definiert Grundleistungen und Besondere Leistungen nur im Sinn der HOAI. Bei Vertragsschluss steht es den Parteien frei, für eine Leistung ein gesondertes Honorar in beliebiger Höhe zu vereinbaren. Daher kann die Beschilderungsplanung als Besondere Leistung definiert werden, obwohl sie eigentlich eine Grundleistung und an die anrechenbaren Kosten anzukoppeln ist4. Das gilt aber auch umgekehrt: So können die Parteien auch vereinbaren, dass eine im Sinn der HOAI Besondere Leistung, z. B. die Bestandsaufnahme, über das Honorar für die Grundleistungen mit abgedeckt sein soll.

Antwort 5: Beim Angebot sollte der Tragwerksplaner darauf hinweisen, dass sein Honorar vorbehaltlich der noch offenen Ergebnisse seiner Leistungsphase 1 gilt. Erhält er dann den Auftrag und stellt im Zuge seiner Bearbeitung, z. B. nach Übergabe des Baugrundgutachtens oder nach Durchsicht der Unterlagen des Objektplaners, fest, dass nun eine schwierige Flachgründung oder Berechnungen mit finiten Elementen erforderlich werden, hat er den Auftraggeber möglichst vor Beginn der weiteren Leistung auf eine notwendige Änderung der Beauftragung hinzuweisen. Im Sinn des BGB ist eine Änderung zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs erforderlich, die der Auftraggeber haben will („begehren“, § 650b Abs. 1 Nr. 2 BGB). Darauf weist der Tragwerksplaner in der Art hin, dass sein Auftrag bisher nur Berechnungen mit Honorarzone III (durchschnittlichen Planungsanforderungen) umfasse. Im vorliegenden Fall wären aber Berechnungen erforderlich, welche der Honorarzone IV (hohe Planungsanforderungen5) oder der Honorarzone V (sehr hohe Planungsanforderungen6) zuzuordnen wären (je nach Sachverhalt). Er sollte dem Auftraggeber ein neues Angebot machen und auf einen Auftrag in Textform warten, § 650b Abs. 1 Satz 2 und § 650b Abs. 2 BGB. Kommt es zu keiner Einigung über die Vergütung, kann der Auftraggeber die Leistung gem. § 650b Abs. 2 BGB dennoch anordnen und der Tragwerksplaner muss leisten. Da nach § 650q Abs. 2 BGB die HOAI vorrangig ist, kann der Tragwerksplaner dann nach § 7 Abs. 1 Satz 2 HOAI 2021 den Basishonorarsatz abrechnen, der sich unter zutreffender Anwendung der HOAI ergibt, also mit dann zutreffend beauftragter Honorarzone IV oder eben V. Der Vertrag ist also anzupassen und kann über die HOAI auch einfach angepasst werden. Gerade in solchen Fällen zeigt sich auch der Vorteil, wenn sich der Vertrag eng an der HOAI orientiert, weil Anpassungen einfach zu vereinbaren sind und meist auch nicht zu einer Neuausschreibungspflicht führen.

Fazit
Die HOAI 2021 gibt den Parteien die Freiheit, den Vertrag so zu schließen, wie sie das wollen. Sie müssen keinen Parameter der HOAI mehr zwingend beachten. Frei ist eben frei. Freiheit bedeutet allerdings auch Verantwortung. Denn so erfinden sich die Parteien bei Vertragsschluss eine eigene HOAI und tragen dann zu ihrem Vor- oder Nachteil auch die Verantwortung für die Vereinbarung. Das will gut durchdacht sein, vor allem, wenn man Begriffe anders als die HOAI definieren will. Es empfiehlt sich, die Begrifflichkeiten der HOAI beizubehalten, um etwaige spätere Anpassungen nicht zu erschweren. Kommt es zu vertraglichen Änderungen ohne Einigung über das neue Honorar, greift nämlich doch wieder der Basishonorarsatz der HOAI, § 7 Abs. 1 S. 2 HOAI 2021, und dann bleibt man lieber schon bei der Anfrage und beim Angebot innerhalb der HOAI.

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