Beim Planen und Bauen im Bestand sieht die HOAI vor, dass einerseits der Bestand bei den anrechenbaren Kosten als mitzuverarbeitende Bausubstanz (§ 4 Abs. 3 HOAI) berücksichtigt wird und andererseits eine Erhöhung des Honorars durch einen Umbauzuschlag (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 HOAI) erfolgt. Beide honorarerhöhende Faktoren greifen gleichzeitig, wenn die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind.
Anfrage 1:
Ein Auftraggeber möchte wissen, ob sein Planer bei einer umzubauenden Brücke im Vertrag die nicht vereinbarte mitzuverarbeitende Bausubstanz fordern könne, obwohl bereits ein Umbauzuschlag von 30 % vereinbart sei. Hier käme es doch wohl zu einer Doppelvergütung, wenn beides angesetzt würde.
Anfrage 2:
Ein Planer berichtet, dass er die Planung eines Umbaus von technischer Ausrüstung eines Gebäudes im Auftrag habe. Er möchte nun wissen, ob er auch nachträglich noch einen im Vertrag nicht vereinbarten Umbauzuschlag ansetzen könne, wenn bereits ein Ansatz von 500.000 € mitzuverarbeitender Bausubstanz vereinbart sei. Sein Auftraggeber verneint das, denn das Honorar ergebe sich ja bereits aus erhöhten anrechenbaren Kosten.
Mitzuverarbeitende Bausubstanz (mvB)
§ 2 Abs. 7 HOAI 2013 definiert, dass die mitzuverarbeitende Bausubstanz (mvB) der Teil des zu planenden Objekts ist, der bereits durch Bauleistungen hergestellt wurde und durch Planungs- oder Überwachungsleistungen planerisch oder gestalterisch mitverarbeitet wird. § 4 Abs. 3 HOAI regelt, dass die mvB angemessen zu berücksichtigen und schriftlich zu vereinbaren ist. Das Wort „ist“ ist so zu verstehen, dass ein Anspruch auf Berücksichtigung besteht; sogar dann, wenn es (bisher) zu keiner schriftlichen Vereinbarung gekommen ist (BGH, Urteil vom 27.02.2003 - VII ZR 11/02).
Umbau
§ 2 Abs. 5 normiert, dass dann ein Umbau vorliegt, wenn eine Umgestaltung eines vorhandenen Objekts mit wesentlichen Eingriffen in Konstruktion oder Bestand erfolgt. Demnach ist die Voraussetzung für einen Umbau, dass Bestand vorhanden ist und in diesen nicht nur unwesentlich, sondern wesentlich eingegriffen wird. § 6 Abs. 2 S. 4 regelt, dass ein Umbauzuschlag von 20 % als vereinbart gilt, wenn keine andere schriftliche Vereinbarung getroffen wurde und mindestens ein durchschnittlicher Schwierigkeitsgrad vorliegt.
Wille des Gesetzgebers
Die amtliche Begründung (BR-Ds. 334/13) führt zu § 6 Abs. 2 (Grundlagen des Honorars) zum Umbauzuschlag und zu dessen Verhältnis zur mvB wie folgt aus: „Gemäß § 6 Absatz 2 Satz 4 wird unwiderleglich vermutet, dass ein Zuschlag von 20 Prozent ab einem durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad vereinbart ist, sofern die Vertragsparteien keine schriftliche Vereinbarung getroffen haben. (...) Insgesamt ist zu beachten, dass der Auftragnehmer im Einzelfall für Umbauten oder Modernisierungen sowohl einer Erhöhung der anrechenbaren Kosten über die mitzuverarbeitende Bausubstanz gemäß § 4 Absatz 3 als auch den Zuschlag nach § 6 Absatz 2 Nummer 5 beanspruchen kann, wenn die dafür in der HOAI festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind. Während die Berücksichtigung der mitzuverarbeitenden Bausubstanz dazu dient, den Auftragnehmer beim Bauen im Bestand nicht schlechter zu stellen als beim Neubau, soll der Umbau- und Modernisierungszuschlag dem besonderen Schwierigkeitsgrad der Anforderungen für Architekten und Architektinnen sowie Ingenieuren und Ingenieurinnen beim Umbau und der Modernisierung von Bestandsobjekten Rechnung tragen.“
Der hier zitierte Satz 1 der Begründung stellt klar, dass ein Umbauzuschlag von 20 % ab durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, also ab Honorarzone III bei Gebäuden und Ingenieurbauwerken und ab Honorarzone II bei Technischer Ausrüstung, greift, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Der folgende Satz stellt klar, dass die mvB die anrechenbaren Kosten erhöht und gleichzeitig ein Umbauzuschlag greifen kann, wenn die jeweiligen Voraussetzungen der HOAI dafür gegeben sind, also für den Umbau § 2 Abs. 5 HOAI und für die mvB § 2 Abs. 7 HOAI. Und das ist in der Praxis beim Planen und Bauen im Bestand gegeben. Der zitierte Satz 4 erläutert, dass die mvB dazu dient, dass der Planer beim Planen und Bauen im Bestand nicht schlechter gestellt wird als beim Neubau. Denn beim Neubau ergeben sich die anrechenbaren Kosten aus Neuherstellungskosten. Der Bestand ist aber da und führt zu keinen Neuherstellungskosten, obwohl der Planer auch mit dem Bestand Arbeit hat. Ein kompletter Neubau wäre dann viel lukrativer für ihn und er würde bestraft, wenn er sich Mühe gibt, so zu planen, dass möglichst viel Bestand erhalten bleibt. Daher ist die mvB ein angemessener Teil der anrechenbaren Kosten.
Weiter ist erläutert, wozu der Umbauzuschlag dient. Dieser soll dem besonderen Schwierigkeitsgrad beim Planen und Bauen im Bestand Rechnung tragen. Das Honorar aus den Tafelwerten berücksichtigt nämlich nur die (normalen) Schwierigkeiten einer Neubauplanung. Beim Neubau ist ein Planer viel freier, als wenn er auf den Bestand Rücksicht nehmen und neue Bauteile in und um den Bestand herum planen muss. Deshalb soll das Honorar mit einem Aufschlag versehen werden. Beide Faktoren decken somit unterschiedliche Aspekte ab. Die mvB erzeugt anrechenbare Kosten und der Umbauzuschlag erhöht die Tafelwerte, um den höheren Schwierigkeitsgrad beim Planen und Bauen im Bestand abzubilden. Dass beides gleichzeitig gilt, bestätigt das Urteil des BGH vom 19.06.1986 - VII ZR 260/84. Bereits damals stellte der BGH fest, dass mvB auch dann angesetzt werden kann, wenn bereits ein Umbauzuschlag vereinbart ist.
Zur Anfrage 1:
Der Wille des Gesetzgebers und die Rechtsprechung zeigen, dass es Absicht war, in der HOAI sowohl mvB als auch den Umbauzuschlag vorzusehen, und dass ein bereits vereinbarter Umbauzuschlag, egal in welcher Höhe, keinen Einfluss auf den Anspruch auf mvB hat. Wird vorhandene Bausubstanz, wie auf Nachfrage vom Auftraggeber bestätigt, vom Planer technisch oder gestalterisch mitverarbeitet, kann der Planer diese auch noch nachträglich ansetzen, allerdings nur in angemessener Höhe. Eine Doppelhonorierung liegt nicht vor.
Zur Anfrage 2:
Der Planer teilt auf Nachfrage mit, dass die Technische Ausrüstung in Honorarzone III eingestuft sei und unstrittig ein Umbau im Sinne von § 2 Abs. 5 HOAI vorliege. Damit liegen auch hier die Voraussetzungen der HOAI vor, neben der mvB einen Umbauzuschlag zu verlangen. Es liegt ein Umbau vor und das mit mehr als durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad. Aufgrund der fehlenden schriftlichen Vereinbarung greift § 6 Abs. 2 S. 4 HOAI mit der Folge, dass ein Umbauzuschlag von 20 % als vereinbart gilt. Der Planer kann also auch noch nachträglich einen Umbauzuschlag von 20 % ansetzen.
Fazit:
Beim Planen und Bauen im Bestand hat der Gesetzgeber in der HOAI vorgesehen, dass sowohl ein Umbauzuschlag als auch mitzuverarbeitende Bausubstanz anzusetzen sind, wenn ein Umbau im Sinne von § 2 Abs. 5 und mitverarbeitete vorhandene Bausubstanz im Sinne von § 2 Abs. 7 HOAI vorliegen. Beide honorarerhöhende Faktoren bilden unterschiedliche Gesichtspunkte der Honorierung ab. Während der Umbauzuschlag die erhöhte Schwierigkeit bei Bestandsobjekten qualitativ erfasst, dient die mvB der quantitativen Berücksichtigung des Bestands bei den anrechenbaren Kosten im Sinne von „alt statt neu“!