Gefühle spielen beim täglichen Miteinander in Unternehmen eine wichtige Rolle. Deshalb brauchen Führungskräfte feine Antennen für offen und versteckt formulierte Emotionen.
Montagmorgen. Der Führungskreis eines mittelständischen Unternehmens tagt. Debattiert wird, wie die Firma auf die aktuelle Wirtschaftsflaute reagieren soll. Ein Vorschlag lautet, den Verkäufern niedrigere Abschlussprämien zu zahlen.
Da ergreift der Vertriebsleiter das Wort: „Das geht nicht. Sie können unseren Vertriebsleuten doch jetzt, wo sie ohnehin nur wenige Abschlüsse tätigen, nicht auch noch die Prämien kürzen. Das ...“ Doch bevor der Vertriebsleiter sein Votum begründen kann, fällt ihm der Firmeninhaber ins Wort und sagt: „Nun kriegen Sie sich mal wieder ein! Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen – auch Ihre Mitarbeiter.“ Damit ist das Thema für ihn vom Tisch.
Gefühle werden nicht ernstgenommen
Wenn Mitarbeiter in Unternehmen Gefühle zeigen und sich für eine Sache auch emotional engagieren, wird dies von ihren Gesprächspartnern häufig als Schwäche interpretiert. Schlimmer noch: Sie werden oft sogar mundtot gemacht mit Aussagen wie
- „Nun lassen Sie uns mal sachlich bleiben!“
oder
- „Malen Sie nicht gleich den Teufel an die Wand!“
Die Tatsache, dass ein Mitarbeiter Gefühle zeigt, wird also als Legitimation genutzt, um sich mit seinem Anliegen nicht ernsthaft zu befassen. Und zeigt eine Person regelmäßig Gefühle? Dann wird sie schnell in eine Schublade gesteckt:
- „Ach die, die reagiert schnell hysterisch.“
oder
- „Der Kollege macht aus jeder Mücke einen Elefanten.“
Das wissen die Mitarbeiter. Deshalb sind sie in der Regel bemüht, am Arbeitsplatz wenig emotionale Betroffenheit zu zeigen. Stattdessen verbergen sie ihre Empfindungen hinter scheinbar rationalen Argumenten. Als Folge davon wird in Unternehmen oft endlos über Nichtigkeiten diskutiert. Und erreichen die betreffenden Personen mit ihrer scheinbar rationalen Argumentation ihre Ziele nicht, dann versuchen sie dies häufig über Umwege – zum Beispiel, indem sie Beschlüsse und Aufgaben bewusst vergessen oder fehlinterpretieren. Deshalb erreichen Unternehmen häufig ihre Ziele nicht und es scheitern viele Projekte.
Denn letztlich besteht jeder Betrieb aus einer Vielzahl von Menschen, die alle eigene Wünsche und Werte, Interessen und Erfahrungen haben – und folglich auch Emotionen.
Gespür für Situationen und Konstellationen
Führungskräfte sollten deshalb über die erforderliche emotionale Intelligenz verfügen,
- um Emotionen zu erkennen,
- diese richtig zu bewerten und
- auf sie so zu reagieren, dass die betreffenden Personen sich ernst genommen fühlen.
Das setzt neben Antennen für die Gefühle anderer Personen ein feines Gespür für Situationen und Konstellationen voraus – um Fehleinschätzungen zu vermeiden.
Ein Beispiel: Ein Dienstleistungsunternehmen startet ein Change-Projekt mit dem Ziel, kundenorientierter zu werden. Aus Sicht der Unternehmensführung läuft alles gut, bis der Vorstand entscheidet: Künftig müssen alle Mitarbeiter mit persönlichem Kundenkontakt Firmenkleidung tragen. Daraufhin bricht eine mehr oder minder offene Revolte im Unternehmen aus. Aus zwei Gründen: Zum einen macht die Kleidungsvorschrift vielen Mitarbeitern erst klar: „Unsere Vorgesetzten meinen es mit den Veränderungen ernst.“, zum anderen betrachteten sie die Vorschrift als Eingriff in ihre Privatsphäre.
Das gesamte Projekt droht an der Kleiderfrage zu scheitern – vor allem, weil der Vorstand nicht erkennt, welch emotionale Bedeutung dies für die Mitarbeiter hat und dass sich dahinter grundsätzliche Bedenken gegen das Change-Projekt verbergen.
Die „Quelle“ der Emotionen ermitteln
Emotionen werden im Unternehmenskontext selten offen artikuliert. Deshalb kann zum Beispiel die Aussage eines Mitarbeiters „Das geht nicht.“ zweierlei bedeuten:
- „Das funktioniert aus fachlichen Gründen nicht.“ und
- „Ich möchte dies aus persönlichen Gründen nicht.“
Was zutrifft, müssen Führungskräfte oft erst ermitteln. Das ist nicht immer einfach. Deshalb sollten Führungskräfte Mitarbeitern eigentlich dankbar sein, die offen ihre Emotionen zeigen. Das erleichtert es ihnen, tragfähige Lösungen zu finden.
Emotionen können verschiedene Ursachen haben. Sie können daraus resultieren, dass sich eine Person sehr stark mit ihrer Aufgabe identifiziert und deshalb für bestimmte Lösungen kämpft. Zuweilen ist jedoch auch das Gegenteil der Fall: Ein Mitarbeiter identifiziert sich kaum mit seinem Job und denkt bei jeder Aufgabe: „Nun muss ich diesen Mist auch noch machen.“ Dann ist eine andere Reaktion gefragt.
Emotionale Killerphrasen lösen kein Problem
Generell sollten Führungskräfte auf emotionale Äußerungen nicht mit Killerphrasen wie „Regen Sie sich nicht so auf!“ oder „Lassen Sie die Kirche im Dorf!“ reagieren. Solche Aussagen verletzen das Gegenüber. Sie zerstören letztlich das, was sich Führungskräfte von ihren Mitarbeitern wünschen:
- Identifikation mit ihrer Aufgabe sowie dem Unternehmen und
- die Bereitschaft, sich hierfür zu engagieren.
Sinnvoller ist es in einer solchen Situation, dem Mitarbeiter zunächst zu signalisieren, dass man seine Emotionalität bemerkt hat– zum Beispiel mit einer Aussage wie „Ich sehe, dass Sie das Thema sehr interessiert.“ Oder: „Es freut mich, dass Sie sich so stark dafür engagieren, dass ...“
Verschaffen Sie sich anschließend als Führungskraft ein Bild davon, warum der Mitarbeiter so reagiert, um vorschnelle Schlüsse zu vermeiden. Zeigt sich dann, dass sich der Mitarbeiter zu wenig mit seinem Job identifiziert, sollten Sie ihm klar machen, dass seine Grundeinstellung zur Arbeit nicht stimmt und dies mittelfristig für ihn unliebsame Konsequenzen haben könnte. Zeigt sich hingegen, dass der Mitarbeiter sich (zu Recht) überfordert fühlt, dann erarbeiten Sie mit ihm eine tragfähige Lösung.