Es ist noch nicht allzu lange her, dass der Holzbau sich anschickte, seinen Marktanteil im Gewerbebau zügig zu vergrößern. Inzwischen stehen für viele Holzbauunternehmen weitere Schritte an. Einer könnte die Entwicklung eines standardisierten Systems für Gewerbebauten sein.
Ein solches Gebäudesystem ist der „Nature Office Cube“ (NOC). Baustoff der Wahl sind verleimte Brettsperrholz-Elemente oder die „Massiv-Holz-Mauer“ (MHM) aus kreuzförmig vernagelten Fichteholzbrettern – vor allem als Außenhülle und teilweise auch im Gebäudeinneren, kombiniert mit einer tragenden Holzskelettkonstruktion.
Senkrechte Lasten werden von BSH-Stützen (Stärke 240 x 280 mm) abgetragen, die über alle drei Geschosse durchlaufen. Auf den Stützen liegen oben 240 x 360 mm starke BSH-Unterzüge als Dachtragwerk, in den unteren Geschossen sind Unterzüge gleicher Stärke in die tragenden Stützen eingehängt.
Auf den Unterzügen fungieren BSH-Deckenelemente als aussteifende Scheiben. Bis zu 22,5 m lang, wurden diese Vierfeldträger beim Bau der Tierklinik am Stück auf die Baustelle geliefert und montiert. Über dem Dachgeschoss sind die Deckenelemente 120 mm, über dem Erd- und Obergeschoss 160 mm stark.
An ihren äußeren Enden liegen die BSH-Unterzüge auf der massiven Holzaußenhülle auf, die damit eine tragende Funktion übernimmt. Die diffusionsoffenen Außenwände bestehen bei der Tierklinik aus 240 mm starken MHM-Elementen, die außen mit einer 120 mm starken Holzfaserplatte gedämmt, davor mit einer Fassadenbahn als luftdichte Ebene ausgestattet und mit repräsentativen, hinterlüfteten Fassadenplatten versehen sind. Im Erdgeschoss mussten die Wände wegen der Erdbebenzone 1 auf 280 mm verstärkt werden; weitere Anpassungen des Gebäudesystems waren nicht erforderlich.
Statisch relevant für die Aussteifung sind neben der Außenhülle der zentrale Treppenhauskern, der das Gebäude in zwei symmetrische Flügel teilt, und ein durchlaufendes Versteifungskreuz aus Massivholzelementen in der Mitte jedes Flügels. Treppenhaus und Aufzugsschacht bestehen aus Brettsperrholz und sollten in der Tierklinik laut ursprünglicher Planung mit sichtbaren Holzoberflächen einen besonderen Akzent setzen. Da es sich um einen Flucht- und Rettungsweg handelt, wurde allerdings aus Brandschutzgründen eine doppelte Beplankung mit Gipskartonplatten vorgeschrieben. Eine Befreiung war nicht möglich.
Offenes Tragsystem für vielfältige Anforderungen
Das offene Tragsystem ermöglicht ein flexibles Raumkonzept, in dem nur das Stützenraster von 560 cm, die BSP-Versteifungskreuze und das zentrale Treppenhaus fixe Eckpunkte vorgeben. Dies erlaubt einen variablen Mix aus Einzel- und Großraumbüros, Pausenbereichen, Arbeits-, Besprechungs-, Ausstellungs-, Verkaufs-, oder Schulungsräumen, die sich sehr flexibel an den Bedarf des jeweiligen Nutzers anpassen lassen.
Durch den zentralen Treppenhauskern können kleinere Unternehmen Teilflächen im mehrgeschossigen Gebäude beziehen, ohne dass es mit der Erschließung Probleme gibt. Die Optionen reichen von einem Flächenachtel auf einer Ebene bis zur kompletten Nutzung aller drei Geschosse.
So ließ sich das Gebäude ohne besonderen Aufwand an die Anforderungen einer Tierklinik anpassen, die sich von ihrer Ausstattung her an Humankliniken orientiert. Dies bedeutete lediglich eine Angleichung des Raumprogramms, da die Tierklinik neben Verwaltungsbüros, Sprechzimmern und einem großen, teilbaren Schulungsraum über einen Operationstrakt mit vier OPs und speziell ausgestattete Räume für MRT-, CT-, Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen verfügt.
Die Sonderausstattung in diesen Räumen schlug sich in anspruchsvollen Vorgaben an die Installation nieder: Neben den zusätzlichen Wasserleitungen für viele Handwaschbecken standen Narkosegas-, Absaug,- Druckluft- und Sauerstoffleitungen im Pflichtenheft.
Die gesamte Installation verschwindet hinter einer Beplankung unter dem ohnehin schon eingeplanten Elektro- und EDV-Brüstungskanal im Bereich der Fenster. Alle Installationskanäle lassen sich im Installationssystem nachträglich für Revisionen oder Änderungen öffnen.
Die ebenfalls bereits im Gebäudekonzept angelegten Systeme für eine kontrollierte Raumlüftung mit Wärmerückgewinnung waren in Großen und Ganzen für die Belange der Klinik ausreichend. Hinzu kamen zwei voll klimatisierte Räume, weil die dort installierte Technik nur in einem engen Temperaturfenster störungsfrei arbeitet, und eine Kühlung für die OPs. Außerdem mussten mehrere zentrale Staubsauger in die Wartezimmer eingebaut werden, wo sie bei Publikumsverkehr für Staubfreiheit sorgen.
Sonderinstallationen sowie die erforderliche AbschirBinzmung durch spezielle Innenbeplankungen in den MRT-, CT- und Röntgenbereichen ließen sich ohne große bauliche Änderungen integrieren. Lediglich für ein knapp zwei Tonnen schweres Physiobad mussten die Verbindungen der betroffenen Unterzüge durch stählerne Knaggen verstärkt werden. Außerdem wurden an einigen Stellen im Gebäude Unterzüge aus Buchenfurnierschichtholz eingebaut, um hohe Belastungen mit moderaten Querschnitten aufnehmen zu können.
Ökologisch bauen als Grundidee
Zur „sportlichen“ Herausforderung wurde nur den Wunsch des Bauherrn, die Fassade etwas lebendiger zu gestalten: Die mittlere Fensterreihe sollte zu diesem Zweck um einen Fensterflügel verschoben werden, sodass sich die Lasten der Außenwand nicht mehr geradlinig abtragen ließen. Aber mit etwas Tüfteln konnte dieses Problem über die massive Außenwandkonstruktion gelöst werden.
An der Peripherie der Stadt Stuttgart angesiedelt, profitierte die Tierklinik vom ökologischen Grundgedanken hinter dem Gebäudesystem. Da die Ökologie für die Stadt bei allen Neubauprojekten sehr weit oben auf der Prioritätenliste steht, öffnete es deshalb etliche Türen im Genehmigungsverfahren, dass der Nature Office Cube aus einem nachhaltigen Baustoff besteht und der Effizienzhaus-55-Standard bereits zum Konzept gehört.