Es ist schon etwas abwegig, am größten See Norwegens ein Hochhaus zu bauen. Bauland ist in dieser Gegend weder teuer noch rar. Und für einen fantastischen Ausblick auf den Mjøsa See reicht es, einfach auf einen kleinen der vielen Hügel zu wandern. Trotzdem haben das norwegische Büro Voll Arkitekter AS und die Projektentwickelnden AB Invest AS und Hent AS den Mjøstårnet, das höchste Holzhochhaus der Welt, genau in der norwegischen Provinz errichtet. Sie sind überzeugt: Mjøstårnet ist der Protoyp für einen nachhaltigen, zukunftsfähigen Holzhochbau. Und die positiven Schlagzeilen, die dieser Turm macht, geben ihnen recht.
Auf insgesamt achtzehn Geschossen verteilen sich ein Restaurant, ein Schwimmbad, mehrere Büroetagen und darüber Etagen mit 72 Hotelzimmern sowie in den oberen sieben Geschossen 33 Wohnungen. Über allem lockt eine Dachterrasse mit einem fantastischen Ausblick und einer Dachskulptur. Dieser ist es schließlich zu verdanken, dass der Turm mit 85,4 Meter Höhe ca. einen Meter höher ist als ein Wiener Holzhochhaus und damit als größtes Holzhochhaus der Welt gilt. Es ist aber nicht allein die Rekordhöhe, die die Fachwelt interessiert, sondern die Konstruktionsweise des Turmes und seine Lösungen hinsichtlich Vorfertigung und Logistik, Statik und Brandschutz.
Holzbrücke mal anders
Das Architekten- und Statikerteam plante den Turm wie die Konstruktion einer Holzbrücke, nur eben vertikal und mit außergewöhnlichen Dimensionen. Die Tragkonstruktion besteht aus Fachwerkträgern und zusätzlichen Stützen aus Brettschichtholz, die über Stahlschwerter und Dübel miteinander und mit einem Betonfundament kraftschlüssig verbunden sind. Die einzelnen Stützen haben jeweils einen ungewöhnlich großen Querschnitt von mindestens 62,5 x 63 cm2. Die Eckpfeiler sind als Hauptlasttragende sogar mehr als doppelt so groß. Massive, formstabile Brettsperrholzwände bilden den Gebäudekern und tragen die beiden Treppenhäuser und die Aufzüge.
Vorgefertigte Rahmenbauteile aus Furnierschichtholz bilden die Zwischendecken vom zweiten bis zum elften Geschoss. Sie liegen auf 58 Zentimeter hohen Brettschichtholzträgern. Die Windlast kann das Gebäude in den oberen Stockwerken mehrere Zentimeter von einer zur anderen Seite schwanken lassen. Deshalb brauchten die oberen sieben Geschosse eine Beschwerung der Zwischendecken, um die Schwankungen kleiner, langsamer und so verträglich für die Bewohnenden zu halten. Ab dem zwölften Geschoss planten die Architektinnen und Architekten daher höhere Brettschichtholzträger und eine schwere Deckenplatte aus Betonfertigteilen.
Nachhaltig mit lokalen Nadelhölzern
Alle tragenden und nicht tragenden Konstruktionsbauteile wurden industriell vorgefertigt und in nur wenigen Monaten auf der Baustelle errichtet. Der hohe Grad an Vorfertigung und Fertigungsverfahren von biegesteifen Holz wänden, -decken, - stützen und Holzträgern ermöglichte auch bei den Zwischendecken eine schnelle, millimetergenaue und hoch belastbare Konstruktion. Und die ist insbesondere nachhaltig, denn in Mjøstårnet wurden die Bauteile vor allem aus regionalem und schnell wachsendem Nadelholz gefertigt. Die beteiligten Bauunternehmen hatten viel Erfahrung mit der Holzverarbeitung.
Ein Knackpunkt war der Brandschutz, der bei Hochhäusern immer anspruchsvoll ist. Evan Andersen, der beteiligte Brandschutzingenieur des Büros Sweco, verspricht: „Mjøstårnet ist so gebaut, dass es einem vollständigen Brand standhält.“ Dabei geht es zum einen um die Tragfähigkeit des Gebäudes selbst: Das Holztragwerk muss mindestens 120 Minuten feuerbeständig sein und darf nicht einstürzen. Hierbei kommen die statisch notwendigen großen Querschnitte der Brettschichtholzträger und - stützen dem Brandschutz entgegen. In Studien wurde vorab deren Brandverhalten untersucht.
Mineralwolle schützt Menschenleben
Der zweite, wichtigere Aspekt des Brandschutzes ist der Schutz von Menschenleben: Die Evakuierung des Gebäudes muss 90 Minuten lang gewährleistet sein. 90 Minuten müssen Oberflächen feuerbeständig sein, die Rauchentwicklung verträglich und Fluchtwege brandfrei bleiben. Den wichtigsten Schutz gegen Brandausbreitung bietet Mineralwolle. Sie verhindert einen möglichen Brandüberschlag über die Bauteile hinweg. So ist in jeder der Holzzwischendecken Mineralwolle verlegt und die Trennwände sind mit Mineralwolle gedämmt. Weiterhin sind alle tragenden Holzoberflächen feuerschutzhemmend lackiert und entlang der Fluchtwege mit Gipskarton verkleidet. Damit bildet jede Einheit und jedes Geschoss eine eigene Brandzelle, die im Brandfall über eine Sprinkleranlage schnell und lokal gelöscht ist.
Auch die Fassade besteht aus vorgefertigten Holzrahmenbauteilen und einer Verkleidung aus Thermokiefernholz, das ebenfalls feuerhemmend lackiert ist. Die gesamte Fassade ist in kleine Hohlkammern aufgeteilt, die mit Mineralwolle sicher gedämmt und über Hohlraumventile hinterlüftet sind. Fugen und Löcher sind zudem mit Brandschutzstreifen ausgefüllt, die sich bei Brandtemperaturen ausdehnen und sich verändernde Fugen vollständig ausfüllen.
Insgesamt wurde auf 5.500 Quadratmetern Mineralwolle verbaut, was nicht nur den Brandschutz sichert, sondern auch wärme- und vor allem schalldämmend wirkt. Mithilfe der Mineralwolle lassen sich bei Mjøstårnet verschiedene Nutzungen sicher und mit hohem Raumkomfort kombinieren. Dr. Thomas Tenzler, Geschäftsführer des FMI Fachverband Mineralwolleindustrie e. V., sagt: „Das Projekt Mjøstårnet zeigt, welche nachhaltigen, zukunftsfähigen und hinsichtlich Sicherheit synergetischen Baustandards möglich werden, wenn man Holz und Mineralwolle intelligent miteinander verknüpft