Wenn die Schalung einen Kopfstand macht

Anspruchsvolles Ingenieurbauwerk: Straßenbrückenanlage

Bauplaner 03/2023

Derzeit entsteht in Intschede südöstlich von Bremen eine neue, knapp 380 m lange Straßenbrückenanlage. Sie stellte ihre Planer und das ausführende Unternehmen in einigen Bereichen vor besondere Herausforderungen. Eine davon war die Frage: Wie können wir einzelne Elemente betonieren?

Das ursprünglich dort errichtete Bauwerk war im Laufe der Zeit baufällig geworden. Doch die örtlichen Voraussetzungen stellen alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Dies zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass es sich eigentlich um drei (!) Bauwerke handelt: eine Wehrbrücke, eine Kraftwerksbrücke und eine Flutbrücke. Die Wehrbrücke ist über 165 m lang und dient genau wie die Kraftwerksbrücke dazu, die Weser zu überqueren. Wobei die Kraftwerksbrücke eine Länge von über 35 m hat und parallel zu einem Turbinenhaus verläuft, das zur Herstellung von Strom genutzt wird. Mithilfe der über 179 m langen Flutbrücke soll die Fahrbahn auch bei Hochwasser genutzt werden können. Das gesamte Bauwerk ruht auf neun Pfeilern und zwei Widerlagern, die im folgenden Text ebenfalls als Pfeiler gezählt werden. Sämtliche anfallenden Arbeiten werden von dem Oldenburger Bauunternehmen Ludwig Freytag übernommen. Dies begann zunächst damit, den kompletten Bestand außer Pfeiler 2, 3 und 4 abzubrechen. Denn bei jenen wurden lediglich die Pfeilerköpfe abgetragen, um die Lagersockel für die neuen Brückenlager zu fertigen. Als es daranging, die tragenden Elemente neu zu errichten, stellten insbesondere Pfeiler 5 und 6 die Baubeteiligten vor sehr große Herausforderungen.
 

Raumfuge durch Pfeiler
Da bereits im Bestandsgebäude nicht nur die Fahrbahn, sondern auch der tragende Pfeiler Nr. 5 mit einer Raumfuge (siehe Kasten) versehen war, musste diese auch beim Neubau erstellt werden. Eine knifflige Aufgabe, wenn man bedenkt, dass der Baukörper eine Grundfläche von 3,20 x 5,50 m hat und als Strompfeiler mit 10,30 m eine beachtliche Höhe aufweist. Hinzu kam, dass der neue Pfeiler auf dem alten Fundament errichtet werden sollte, dessen Oberfläche eine Neigung von ungefähr 20 Grad hatte. Hier waren also gleich mehrere Lösungsansätze erforderlich: Zunächst einmal mussten die Verantwortlichen mithilfe von Spundwänden einen trockenen Arbeitsbereich schaffen, um dann das Fundament mit einer zusätzlichen Betonschicht zu egalisieren. Dabei blieb aber immer noch die Frage: Wie schafft man es, mitten in eine Stütze, die halbrund ausläuft, eine Raumfuge zu integrieren?

Kopfüber
Die Lösung bestand in einer Kombination der NOEtop XXL mit einer Sonderschalung sowie einem besonderen Kniff. Die Wandschalung NOEtop gehört zu den am meisten genutzten Elementen der NOE-Schaltechnik. Sie überzeugt durch ihre Vielseitigkeit sowie einfaches und sicheres Handling. Der Hersteller bietet sie in unterschiedlichen Formaten an – unter anderem auch in dieser XXL-Version deren Abmessungen bei 5,30 x 2,65 m liegen, womit sie die größte verzinkte Schaltafel ist, die es aktuell auf dem Markt gibt. Dieses Großformat war unbedingt erforderlich, um die Schalung für Pfeiler Nr. 5 zu fertigen. Hierfür wurde die NOEtop XXL im Werk des Schalungslieferanten mit einem Sonderelement verbunden, das als formgebende Schalung des Strompfeilers diente. Jetzt kommt der eben beschriebene Kniff ins Spiel! Um die gewünschte Raumfuge herzustellen, wurde nur die Hälfte des Stützenquerschnitts gefertigt. Dazu stellten die Baustellenmitarbeiter die Schalung auf das egalisierte Fundament und verspannten sie sicher mit dem Bestand. Nun füllten sie den Beton in voller Höhe ein. Sobald dieser ausgehärtet war, entfernten sie die Schalungskonstruktion und drehten diese um 180 Grad in ihrer Horizontalachse. Dadurch stand sie jetzt kopfüber. Um die Fuge erstellen zu können, wurde nun die trennende Schalwand entfernt und durch eine 3 cm dicke Styrodurplatte ersetzt. Fixiert wurde die Schalung unter anderem dadurch, dass die Verantwortlichen die Spannstäbe durch die Spannlöcher des zunächst erstellten Baukörpers steckten. Auf diese Art und Weise konnte mit ein und derselben Kombination aus NOEtop XXL und Sonderschalung die zweite Hälfte des Brückenpfeilers betoniert und dabei die geforderte Raumfuge erstellt werden.
 

Sonderschalung sparen
Ähnlich anspruchsvoll war der Bau von Strompfeiler Nr. 6, denn auch für ihn war eine Sonderschalung erforderlich. Da Spezialanfertigungen jedoch immer Zusatzkosten bedeuten, bemühen sich meist alle Baubeteiligten diese so gering wie möglich zu halten. Selbstverständlich war dies auch in Intschede der Fall. Konkret bedeutete dies, dass man anstrebte, die Sonderkonstruktion gleich mehrfach zu verwenden und dabei den Bauablauf nicht zu stören. Infolgedessen entschied sich das Bauunternehmen Ludwig Freytag auch hier für eine Kombination aus NOEtop XXL und Sonderanfertigung. Doch im Gegensatz zu Pfeiler Nr. 5 wurde dieses Mal der gesamte Pfeilerquerschnitt auf einmal geschalt und betoniert – aber nicht in voller Höhe! Zunächst errichteten die Baustellenmitarbeiter den unteren Teil des Pfeilers, warteten bis dieser ausgehärtet war, und hoben dann die Kombination aus Standard- und Spezialschalung an, um auch den oberen Teil zu betonieren. So war es auch hier möglich, mithilfe einer „halben Schalung“ den kompletten Baukörper zu errichten und dabei Geld zu sparen.
 

Der Überbau
Eine weitere Herausforderung hinsichtlich des Schalungsbaus war der Brückenüberbau mit seiner ca. 5,0 m breiten Fahrbahnplatte. Entsprechend einer Studie nutzen täglich bis zu 3000 Fahrzeuge das Bauwerk, um die Weser zu überqueren. Damit diese Lasten effizient aufgenommen werden können hat man sich für eine vorgespannte Brücke mit einem -förmigen Querschnitt entschieden. Dieser wurde mithilfe von insgesamt 800 individuell angefertigten Formlehren und der NOE Alu L hergestellt. Bei Letzterer handelt es sich um eine robuste Wandschalung, die dank ihrem Aluminium-Rahmen und den Aluminium-Gussecken eine lange Lebensdauer aufweist. Mit ihr lassen sich Schalflächen von bis zu 5,50 m² in einem einzigen Arbeitsgang errichten. Doch für die Mitarbeiter der Baustelle Intschede war ein ganz anderer Aspekt wichtig: das geringe Gewicht der NOE Alu L! Denn diese wurde speziell daraufhin entwickelt, dass man sie allein mit Muskelkraft transportieren kann. Deshalb ist sie auch ideal für Baustellen, bei denen kein Kran vorhanden ist, oder für Bereiche, die schwer zugänglich sind – genau wie bei dem Überbau in Intschede. Bei diesem Bauabschnitt bestand

die Herausforderung weniger im Errichten der Schalung, sondern vielmehr darin, sie wieder zu entfernen. Denn durch das Betonieren wurde zwischen der Unterseite der Fahrbahn und den Jochen des Traggerüstes ein geschlossener Raum geschaffen. Dieser hat, je nachdem an welcher Stelle der Fahrbahnplatte man sich befindet, eine Höhe von nur 0,8 bis 1,2 m und ist 2,0 m breit. In diesen beengten Raum mussten die Baustellenmitarbeiter kriechen, um Formlehren, NOE AluL und die Deckenschalung zu entfernen. Ein geringes Gewicht ist somit eine echte Arbeitserleichterung!
 

Fazit
Im Beitrag sind nur drei repräsentative Beispiele der Herausforderungen beschrieben, vor welchen die Baubeteiligten der Straßenbrückenanlage in Intschede standen. Bei dem Thema Schalung arbeiteten sie eng mit den Beratern der Firma Noe zusammen. Nur, weil alle Beteiligten ihr Fachwissen, ihre große Erfahrung und ihr herausragendes Können bei dem Projekt einbringen, ist es möglich, diese anspruchsvollen Bauaufgaben zu vollenden. Voraussichtlich kann die Straßenbrückenanlage zum Jahresende 2023 für den Kraftfahrzeugverkehr freigegeben werden.

 

Raumfuge
Beton dehnt sich bei Hitze aus und zieht sich bei Kälte zusammen. Dies kann bei längeren Fahrbahnen zu Ausdehnungen von mehreren cm führen. Um zu vermeiden, dass Spannungsrisse entstehen, werden in bestimmten Abständen (Raum-)Fugen angebracht. Sie trennen die kompletten Betonelemente.

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