"Wir haben ein Verfahren entwickelt, um aus Typha einen vollwertigen und vor allem klimafreundlichen Baustoff herzustellen", berichtet Prof. Dr. Martin Krus, verantwortlich für das am Fraunhofer IBP angesiedelte Teilprojekt "Entwicklung, Prüfung und Herstellung sowie Materialeigenschaften Typha-basierter Bauprodukte". Der vielseitig einsetzbare Dämm- und Wandbaustoff besteht aus Blättern des Rohrkolbens und einem mineralischen Bindemittel, die zu multifunktional einsetzbaren Platten gepresst werden. "Das Typhaboard vereint viele Eigenschaften, die einen produktiven Baustoff ausmachen", erklärt der Wissenschaftler. "Es ist stabil, bietet einen guten Schallschutz, hervorragende feuchtetechnische Eigenschaften, ist schimmelresistent, hat eine hohe Dämmwirkung und bietet darüber hinaus einen hohen Brandschutz."
Rohrkolben ist aufgrund seiner enormen Produktivität prädestiniert als Rohstoff für die industrielle Verwertung: Typhabestände sind unempfindliche, natürliche Monokulturen, die jährlich 15 bis 20 Tonnen Trockenmasse pro Hektar hervorbringen – die sich wiederum zu rund 100 bis 200 Kubikmeter Baustoff verarbeiten lassen. Dies entspricht dem Vier- bis Fünffachen des Rohstoffertrags heimischer Nadelwälder. Mit dem Anbau auf Niedermoor- und Talböden in Deutschland ließe sich mit Typha eine ausreichende Grundlage zur Deckung des Gesamtbedarfs an Dämm- und Wandbaustoffen bilden, so die Einschätzung von Expert*innen. Zudem binden die mit Rohrkolben bewachsenen Moore Kohlendioxid, vermeiden als wiedervernässte Niedermoore die enormen klimaschädlichen Emissionen konventionell bewirtschafteter trockener Niedermoore, verhindern Bodenerosion und bieten ein hohes Maß an Biodiversität.
Für eine nachhaltige Lebensweise sind nachwachsende Rohstoffe von zentraler Bedeutung – auch für eine klimaschonende Moorbewirtschaftung. "Typha hat einen weiteren großen Vorteil: Die Pflanzen können als nachwachsende Rohstoffe auf vernässten organischen Böden angebaut werden", so Krus. Wie dieser wertvolle Rohstoff für den Moorschutz der Zukunft genutzt werden kann und wie stark die klimaregulierende Wirkung ist, wird im Rahmen des Modell- und Demonstrationsverfahrens ebenfalls untersucht.
Im Kreis der Vertreterinnen und Vertreter des Projektkonsortiums unter Leitung von 3N Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie e. V. hat Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, den Förderbescheid offiziell an Prof. Dr. Martin Krus übergeben. Krus forscht seit mehr als 15 Jahren mit Kolleg*innen und dem Architekten Werner Theuerkorn, typha technik, zu Baumaterialien aus dem nachhaltigen Rohstoff Typha.
Hintergrundinformationen zum Projekt RoNNi
Das Modell- und Demonstrationsverfahren RoNNi verfügt über ein Gesamtfördervolumen von 11,1 Millionen Euro und wird vom 3N Kompetenzzentrum Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie e. V. in Werlte koordiniert. Am 1. Oktober 2023 startete das Forschungsprojekt, das nach einer Laufzeit von neun Jahren am 30. September 2032 endet. Im Fokus steht die Transformation der Bewirtschaftung von entwässerten, landwirtschaftlich genutzten Niedermoorböden hin zu einer klimaschonenden, moorbodenkonservierenden Nassbewirtschaftung durch den Anbau von Rohrkolben. Hierzu wird in zwei Modellregionen in den Landkreisen Emsland und Cuxhaven mit unterschiedlicher landwirtschaftlicher Struktur die großflächige, qualitätsoptimierte Erzeugung von Rohrkolben (lat. Typha angustifolia / T. latifolia) und die Verwertung der Biomasse als Baustoff und als Gartenbausubstrat (Torfersatz) entwickelt, demonstriert und für die Vermarktung vorbereitet.